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Klimafreundlich. Der Betrieb von Kernkraftwerken, hier das AKW Grohnde, erzeugt kaum Treibhausgase. Auch der Flächenverbrauch für diese Technologie ist gering. Aus Sicht der Biodiversität ein echter Pluspunkt, meinen die Unterzeichner des Aufrufs.
© dpa

Atomkraft für Artenvielfalt: Umweltforscher fordern Ausbau der Kernenergie

Kaum Treibhausgase und geringer Flächenverbrauch: 66 Biodiversitätsforscher sehen in der Kernenergie eine wichtige Säule in der Stromversorgung der Zukunft. Aus Deutschland gibt es Kritik.

Bei der jüngsten UN-Klimakonferenz in Lima waren sich die Delegierten in einem Punkt einig: Die Energieversorgung muss grundlegend geändert, der Ausstoß von Treibhausgasen, allen voran Kohlendioxid (CO2), muss drastisch verringert werden. Aber wie genau soll das gelingen? Während in Deutschland vorrangig auf Biomasse, Wind- und Solarenergie gesetzt wird und der Atomausstieg beschlossene Sache ist, gilt im Ausland die Kernenergie durchaus als eine Option für eine klimafreundliche Stromerzeugung. Immer wieder setzen sich auch Klimaforscher dafür ein, etwa James Hansen und Ken Caldeira.

Unterstützt werden sie jetzt von Wissenschaftlern, die man wohl kaum im Lager der Atomkraftanhänger gesucht hätte: 66 Biodiversitätsforscher haben einen Aufruf unterzeichnet, in dem sie fordern, die Energieversorgung nicht allein auf erneuerbare Quellen auszurichten, sondern auch die Kernkraft zu berücksichtigen. Sie könne „einen wesentlichen, womöglich führenden Anteil“ übernehmen, schreiben sie.

Kern- und Windenergie vor Biomasse und Photovoltaik

Der Aufruf „Brave New Climate“ basiert auf einer Studie im Fachblatt „Conservation Biology“. Sie wurde verfasst von den australischen Umweltforschern Barry Brook (Universität von Tasmanien) und Corey Bradshaw (Universität Adelaide). Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass der globale Energiebedarf weiter deutlich zunehmen wird und daher alle verfügbaren Techniken vorurteilsfrei analysiert werden sollten. Bezogen auf eine Terawattstunde Strom haben sie unter anderem den Treibhausgasausstoß aufgelistet, den Flächenverbrauch, die Stromerzeugungskosten, die Abfallmenge und die Zahl der Todesopfer, die mit der jeweiligen Technik verbunden sind.

Biologische Einöde. Auf vielen deutschen Äckern wird Mais angebaut – auch um daraus Bioenergie zu gewinnen. Die Artenvielfalt leidet unter solchen Monokulturen. Der Flächenverbrauch durch Kernenergie sei viel geringer, argumentieren die Unterzeichner des Aufrufs.
Biologische Einöde. Auf vielen deutschen Äckern wird Mais angebaut – auch um daraus Bioenergie zu gewinnen. Die Artenvielfalt leidet unter solchen Monokulturen. Der Flächenverbrauch durch Kernenergie sei viel geringer, argumentieren die Unterzeichner des Aufrufs.
© picture alliance / dpa

Laut ihrer Kosten-Nutzen-Analyse schnitten Nuklear- und Windenergie am besten ab. Gerade neue Reaktortechnologien (meist als Generation IV bezeichnet), die mehr Sicherheit bieten und den Kernbrennstoff vollständig verwerten, könnten die Anti-AKW-Argumente der Umweltschützer entkräften, schreiben die Autoren. Die Technik sei nicht nur geeignet, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Sie sei auch aus der Perspektive des Artenschutzes eine gute Option.

Bisher keine Unterstützung aus Deutschland

Brook und Bradshaw betonen, dass erneuerbare Energiequellen wichtig seien, um klimafreundlich Strom zu erzeugen. Viele energiehungrige Länder Westeuropas und Ostasiens seien aber so dicht besiedelt, dass ein massiver Ausbau der Erneuerbaren schwer möglich sei.

Die meisten Unterzeichner des Pro–Kernkraft-Aufrufs kommen aus Australien und Großbritannien. Aus Deutschland ist niemand dabei. Von hier gibt es eher Kritik. „Grundsätzlich finde ich es gut, wenn man bei globalen Fragen auch unorthodoxe Dinge anregt und nicht bestimmte Optionen von vornherein ausschließt“, sagt Klaus Henle, Naturschutzforscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Leipzig. Mit den Schlussfolgerungen ist er aber nicht einverstanden. „Bei den Angaben zur Gesundheitsgefahr wurden langfristige Schäden durch radioaktive Strahlung nicht berücksichtigt, doch die sind wesentlich.“ Wie groß diese genau sind – vor allem im Routinebetrieb –, darüber gebe es unter Experten aber Streit, sagt er. Denn die Bevölkerung ist zugleich natürlicher Radioaktivität ausgesetzt, beide Quellen sind schwer voneinander zu trennen.

Auch im Tierreich führte Strahlung zu Schäden, sagt Henle und verweist auf eine Studie, die vermehrt Missbildungen bei Wanzen in der Nähe der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague und dem Akw Gundremmingen fand. Sein größter Kritikpunkt ist jedoch das Abzielen auf Generation-IV-Kraftwerke. „Die gibt es heute noch gar nicht. Wenn man sie heranzieht, muss man den anderen Techniken auch Entwicklungspotenzial zugestehen.“

Kritik: Die Umweltkosten der Kernenergie werden unterschätzt

Aus Sicht des UFZ-Energieökonoms Erik Gawel sind die methodischen Unsicherheiten in der Analyse sehr groß, zumindest größer, als sie dargestellt werden. Die Umweltkosten der Kernenergie hält er für deutlich unterschätzt. „Da wird ein Zeitraum von gut 50 Jahren herangezogen, doch um der Sache gerecht zu werden, müsste man über Jahrtausende rechnen“, sagt er mit Blick auf die strahlenden Abfälle.

Ein ähnliches Argument führt Matthias Glaubrecht an, Leiter des Centrums für Naturkunde an der Universität Hamburg: „Ich finde es zu kurz gedacht, auf einen Energieträger zu setzen, bei dem die Endlagerfrage nicht geklärt ist. Das ist nicht nachhaltig.“ Diese Kritik teilt Johannes Isselstein, Direktor des Göttinger Zentrums für Biodiversitätsforschung, und ergänzt: „Wie sicher zukünftige Reaktoren sind, kann ich nicht beurteilen. Ich habe aber Erfahrung mit dem, was manche Nukleartechniker in der Vergangenheit sagten und was wirklich passiert ist.“

"Der Ruf nach technischen Lösungen ist leicht - aber falsch."

Johannes Vogel, Leiter des Berliner Naturkundemuseums, hat ein grundsätzliches Problem mit solchen Aufrufen. „Das Schreien nach technischen Lösungen fällt Forschern leicht.“ Er findet es besser, wenn sie einen gesellschaftlichen Dialog darüber starten, wie wir uns die Erde in Zukunft vorstellen. Er will, dass die Menschheit beispielsweise über ihren Konsum nachdenkt, ihn auf ein verträgliches Maß reduziert. Vogel: „Es ist nicht unbedingt die Energie, die die Biodiversität bedroht, sondern der Verlust von Lebensräumen, weil die Landwirtschaft sich immer weiter ausbreitet.“

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