Biologie: Überlebensstrategie: Wer sich bewegt, hat verloren
Nachdem vor wenigen Jahrhunderten massenhaft Säugetiere nach Neuseeland eingeschleppt wurden, ist fast die Hälfte der Vogelarten ausgestorben. Nur Tiere, die sich ruhig verhielten, überlebten die Invasion.
„Auf dem Nest völlig ruhig sitzen bleiben“ – hätte der kleine Singvogel mit dem grünlichen Gefieder diese Verhaltensweise nicht gelernt, würden die Neuseeländer auf den glockenähnlichen Gesang der „Bellbird“ genannten Art Anthornis melanura heute vergeblich warten. Schließlich gab es auf den Inseln im Südpazifik über Jahrmillionen keine räuberischen Säugetiere, die sich vom Boden aus anschleichen. Für die Entwicklung der Vögel spielte diese Gefahr also keine Rolle. Das änderte sich schlagartig, als um 1300 erstmals Menschen auf ihren Ausleger-Kanus Neuseeland erreichten. Den auf den Booten heimlich mitgereisten polynesischen Ratten fielen viele Vögel zum Opfer, weil diese an solche flinken Feinde einfach nicht angepasst waren. Und als ab 1769 erst James Cook und später andere Einwanderer aus Europa nach Neuseeland kamen, brachten sie weitere Nesträuber wie die Wanderratte, Igel, Katzen und Mauswiesel mit. Zusammen mit anderen Einflüssen rotteten die Neuankömmlinge in den letzten 700 Jahren rund 40 Prozent der Vogelarten auf Neuseeland aus.
Weshalb ausgerechnet die Bellbirds dieses Massensterben gut überstanden, haben nun Melanie Massaro und ihr Team von der Universität im neuseeländischen Christchurch herausgefunden. Sie berichten davon im Fachmagazin „Plos One“.
Die Forscher untersuchten dazu das Verhalten von Vögeln in zwei unterschiedlichen Wäldern im Norden und Süden des Landes. Bis zu den Poor Knights Islands (Arme-Ritter-Inseln) vor der Küste der Nordinsel hatten es die flinken Landraubtiere nie geschafft. Die dort lebenden Bellbirds mussten sich daher nie mit solchen Feinden abplagen. Ganz anders die Situation im Kowhai-Urwald nahe der Küstenstadt Kaikoura auf der Südinsel: Dort machen Ratten, Hermeline und andere Nesträuber den Vögeln das Leben schwer. Die Bellbirds verhalten sich dort ganz anders als auf den Poor Knights Islands: Völlig regungslos brüten die Weibchen auf dem Nest – Mauswiesel und andere Räuber haben kaum eine Chance, den Vogel zu entdecken. Sobald die Küken geschlüpft sind, fliegen die Eltern nur selten zum Füttern ans Nest und machen so ebenfalls kaum auf ihren Nachwuchs aufmerksam.
Vermutlich hatten einige Bellbirds schon immer diese vorsichtige Verhaltensweise, schreibt Massaro. Als Ratten und andere Räuber dann in Neuseeland ankamen, rotteten sie rasch die unvorsichtigen Bellbirds und viele andere Arten aus. Die übrig bleibenden vorsichtigen Vögel wurden nur selten Beute, konnten sich vermehren und bilden heute große Populationen.
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