zum Hauptinhalt
Physiker wie Jens Eisert wollen Quantensimulatoren bauen, die höchst komplexe Phänomene der Physik simulieren und enträtseln helfen.
© privat

Quantentechnologien: TÜV für die Zukunftstechnik

Projekt des Physikers Jens Eisert ist Teil des mit rund einer Milliarde Euro geförderten europäischen Flaggschiffprogramms.

Jens Eisert glaubte schon an den Quantencomputer, als die Medien von dieser Art superschnellem Rechner noch keine Notiz nahmen. Wochenlang las der heutige Physikprofessor am Dahlem Center for Complex Quantum Systems der Freien Universität Berlin Fachliteratur, um sich in das damals noch junge Gebiet der Quanteninformationsverarbeitung einzulesen. Er sei „ganz heiß“ darauf gewesen zu lernen, wie man die bizarren Gesetze der Quantenphysik für neue Informationstechnologien nutzen kann, sagt Jens Eisert.

Heute gibt es dank Quantenphysik schon abhörsichere Verschlüsselungsverfahren. Schon bald könnte es auch Quantensimulatoren oder sogar Quantenrechner geben, die bei bestimmten Anwendungen die schnellsten konventionellen Supercomputer in punkto Rechentempo übertrumpfen. Bestimmte Probleme könnten so gelöst werden, die selbst die heutigen Supercomputer nicht knacken können.

An diesem Ziel arbeitet Jens Eisert heute mit anderen Koryphäen der Quanteninformationsverarbeitung wie Immanuel Bloch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und Rainer Blatt von der Universität Innsbruck. Das Berliner Team des 48-Jährigen gehört zu den wenigen Konsortien, die von der Europäischen Union im Rahmen eines sogenannten Flaggschiffprogramms für Quantentechnologien gefördert werden.

Winzige Teilchen können zwei Energiezustände gleichzeitig einnehmen

Insgesamt steht dem Flaggschiff rund eine Milliarde Euro zur Verfügung. Quantenphysiker wie Bloch, Blatt oder Eisert eint eine Vision: Rechner und Quantensimulatoren zu bauen, die höchst komplexe und potenziell sehr nützliche Phänomene der Physik simulieren und somit enträtseln helfen. Zu den größten Herausforderungen für Physiker gehören etwa sogenannte Hochtemperatursupraleiter. Dies sind Festkörper, die man zwar auch weit unter den Gefrierpunkt abkühlen muss, damit sie Strom verlustfrei leiten, aber längst nicht so weit wie normale Supraleiter. Würde man auf der Ebene von Atomen und Elektronen verstehen, wie Hochtemperatursupraleiter funktionieren, könnte man – so die Hoffnung – elektrische Leiter herstellen, die den Strom auch bei Normaltemperatur ohne Verlust leiten. Das könnte das Verkehrswesen revolutionieren oder die Energieversorgung, etwa um Strom über weite Distanzen zu transportieren.

Ähnlich wie Ingenieure, die die Aerodynamik einer neuen Karosserie per Computersimulation testen, versuchen Physiker, Kristalle und andere Festkörper Atom für Atom in einem Simulator nachzubauen, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen einer Unzahl von Atomen und Elektronen zu verstehen, die zu Phänomenen wie der Hochtemperatursupraleitung führen.

Doch schaffen herkömmliche Rechner dies nur sehr begrenzt. Sie arbeiten nach den Gesetzen der klassischen Physik. Diese erlauben einem elektronischen Schalter, entweder an- oder ausgeschaltet zu sein. Winzige Teilchen wie Atome, Elektronen oder Lichtquanten jedoch gehorchen der Quantenphysik und können gewissermaßen Parallelexistenzen führen: etwa simultan linksherum und rechtsherum rotieren oder zwei Energiezustände gleichzeitig einnehmen. Ein klassischer Rechner, der solche Phänomene zu simulieren versucht, muss alle Möglichkeiten berücksichtigen. Die Schwierigkeit: Mit jedem zusätzlichen Teilchen addiert sich die Zahl der Möglichkeiten nicht nur, sondern sie multipliziert sich. Moleküle oder Festkörpermodelle mit mehr als rund 50 Teilchen kann daher selbst der derzeit leistungsstärkste Superrechner nicht vollumfänglich simulieren.

Kann man dem Ergebnis eines Quantensimulators trauen?

Der amerikanische Physiknobelpreisträger Richard Feynman hatte in den 1980er Jahren die rettende Idee: Warum nicht den Rechner selbst aus Atomen oder anderen Quantenteilchen bauen? Dann würde er selbst nach den Gesetzen der Quantenphysik funktionieren und könnte Möglichkeiten parallel verarbeiten, ohne dass der Speicherbedarf aus dem Ruder läuft. Damit war die Idee des Quantensimulators geboren. Inzwischen gelingt es Physikern, einzelne Atome mit Laserlicht in regelmäßigen Gittern anzuordnen wie Eier in einem Eierkarton, ihre Wechselwirkungen zu kontrollieren und somit einfache Moleküle oder Festkörper zu simulieren.

Sie versuchen nun, solche einfachen Quantensimulatoren zu vergrößern und leistungsstärker zu machen, um komplexe Systeme zu simulieren, die ein klassischer Rechner nicht mehr schafft. Allerdings können Quantensimulationen keine beliebigen Rechnungen ausführen. Man baut sie entsprechend „zugeschnitten“ auf das Problem, das sie lösen sollen. Jens Eisert liefert dafür theoretische Grundlagen, „immer in sehr enger Abstimmung mit Experimentalphysikern“, wie er ergänzt. Eiserts Team lotet aus, was Quantensimulatoren können. So konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etwa zeigen, dass ein Quantensimulator, bestimmte Aussagen über dynamische und ungeordnete Systeme von Teilchen in kürzerer Zeit machen kann als ein Supercomputer heute.

Auch die Frage, ob man dem Ergebnis eines Quantensimulators trauen kann, beschäftigt die Berliner Physiker. Ihr Ziel ist eine Art Zertifizierung für Quantensimulatoren. Schwierig ist das, weil sich der Quantenzustand eines Teilchens oder Systems nicht beobachten lässt, ohne dieses zu verändern. Der Rechenprozess selbst bleibt somit hinter einer Art Schleier verborgen. Daher, so nahm man lange an, ließen sich nur Ergebnisse prüfen, die auch ein klassischer Rechner erzielen kann. Doch Eiserts Team zeigte, dass es selbst bei komplexeren Rechnungen, die ein klassischer Rechner nicht bewältigen kann, mithilfe einiger Messungen möglich ist, die korrekte Arbeitsweise des Quantensimulators zu überprüfen.

Die Zertifizierung ist eine der Herausforderungen, die das Flaggschiff-Programm lösen soll. Mit den Berliner Quantenphysikern dürfte es dafür die richtige Schlagkraft haben.

Zur Startseite