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Aufgezeigt. Mehrsprachigkeit sollte in der Schule gefördert werden.
© dpa

Gastbeitrag zum Sprachunterricht: Türkisch in die Schulen!

Migranten sollten ihre Muttersprachen im Unterricht üben können - das fordern Experten vom Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft in einem Gastbeitrag.

François und Ahmed wohnen in Berlin. François spricht zu Hause Französisch, Ahmed spricht zu Hause Arabisch. Lässt man sie einen Satz sagen, in dem „ich“ vorkommt, sagen beide „isch“. Die Mehrheit der Hörer glaubt allerdings, dass François besser Deutsch spricht als Ahmed, wie am Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) gezeigt werden konnte.

Die Bewertung von Sprachen und den Kompetenzen ihrer Sprecher ist fest in den Köpfen verankert und Kenntnisse des Französischen oder Spanischen werden oft mehr geschätzt als Kenntnisse des Türkischen oder Arabischen, des Hindi oder Vietnamesischen. Wenn ein Schulkind eine dieser Sprachen in der Familie gelernt hat, gilt dies nicht als besondere Qualifikation, sondern als besondere Belastung auf dem Bildungsweg. Im vom ZAS mit initiierten Berlin-Brandenburger Positionspapier zur Mehrsprachigkeit wird genau diese unterschiedliche Bewertung von Fremdsprachenkenntnissen explizit kritisiert.

Aus gutem Grund fordert der Europäische Rat in seiner Entschließung vom November 2008, Mehrsprachigkeit in Europa zu fördern. Zwei Fremdsprachen sollen Kinder und Jugendliche neben ihrer Muttersprache in der Schule lernen, spätere Anlässe im Alltag und Berufsleben gibt es genug: Der polnischsprachige Investor findet einen Ansprechpartner in der Bank, der türkischsprachige Pflegedienst schafft Vertrauen in der Versorgung, der arabischsprachige Helfer vermittelt bei der Anerkennung eines Dokuments. Kann daher die zweite Fremdsprache, wenn es so von den Eltern gewünscht wird und wenn sie an der Schule genügend häufig vertreten ist, nicht auch die zu Hause gesprochene Sprache sein?

Ein Mehr an Muttersprache schadet nicht dem Erwerb des Deutschen

An den wenigen Staatlichen Europaschulen in Berlin ist dies längst der Fall. In bilingualem Unterricht wird auf Deutsch und Russisch, Polnisch, Portugiesisch, Griechisch oder Türkisch unterrichtet. Niederschwelliger kann das auch durch ein erweitertes Angebot an Fremdsprachen an anderen Schulen realisiert werden und so mehr Schüler erreichen. Zu Hause erworbene Fähigkeiten in der Familiensprache könnten ausgebaut und die schrift- und kultursprachlichen Aspekte der Muttersprache im Schulalltag kennengelernt werden. Wissenschaftlich bewiesen ist es längst, dass ein Mehr an Muttersprache dem Erwerb des Deutschen nicht schadet – ganz im Gegenteil, der erzwungene Gebrauch des Deutschen zu Hause beeinträchtigt den Spracherwerb.

Insa Gülzow und Manfred Krifka.
Insa Gülzow und Manfred Krifka.
© promo

Ja, das kostet etwas. Lehrkräfte müssen ausgebildet, Lehrpläne erstellt, Lehrmaterialien entwickelt werden. Schulbücher aus anderen Staaten sind für andere Umstände gemacht, spiegeln möglicherweise andere Ideologien wider und können nicht direkt übernommen werden. Und nein, man wird im ersten Schritt nicht alle Interessen bedienen können. Viele Sprachen sind zu selten vertreten, für manche gibt es nicht einmal verbindliche Standards. Dennoch wäre es sinnvoll, mit den großen Immigrantensprachen in Deutschland anzufangen.

An den Unis fehlt es an entsprechenden Studiengängen

Bislang interessieren sich vor allem die Sprechergruppen selbst oder Staaten wie Griechenland, Russland und die Türkei für die Sprecher ihrer Sprachen in Deutschland. Da es an den Universitäten an Studiengängen fehlt, werden häufig von den Konsulaten Lehrer entsandt, die an staatlichen Schulen in Deutschland unterrichten. Die Perspektive dieser Programme ist oft nicht die der dauerhaft hier lebenden Menschen. Ein mehrsprachiges Angebot an Schulen, das dem Lebensumfeld von Migranten in Deutschland entspricht, bedeutet eine lebensnahe Alternative zu Sprachprogrammen aus dem Herkunftsland, die eher für kurzfristig hier lebende Menschen gedacht sein sollten. Den Status dieser Sprachen kann Deutschland durch ein erweitertes Fremdsprachenangebot an Schulen selbst erhöhen – und damit für eine bessere Integration ihrer Sprecher sorgen.

- Manfred Krifka ist Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) an der Humboldt-Universität und Direktor des Zentrums für Allgemeine Sprachwissenschaft sowie Mitglied des Berliner Interdisziplinären Verbundes für Mehrsprachigkeit (BIVEM). Insa Gülzow forscht ebenfalls am Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft und ist dort zuständig für Forschungskommunikation.

Mehr zu Schulen in Berlin lesen Sie hier.

Manfred Krifka, Insa Gülzow

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