Hebammen und Geburtshilfe: Trotz Versicherungsstreit - viele junge Frauen wollen Hebamme werden
Längst nicht alle Hebammen sind vom aktuellen Versicherungsstreit betroffen. Und der Andrang auf Ausbildungs- und Studienplätze ist ungebrochen.
Nach wie vor wollen viele junge Frauen Hebamme werden – ungeachtet der Diskussionen um die Zukunft der Profession, die derzeit wieder aufleben. Ein Aussterben des Berufsstandes, das in den vergangenen Wochen manche Schlagzeile suggerierte, ist nicht erkennbar. Hebammen (und, soweit es sie gibt, die männlichen Entbindungspfleger) werden weiterhin gefragt sein: Müssen sie doch – ein deutsches Unikum – von den Ärzten zu jeder Entbindung verpflichtend hinzugezogen werden.
Manche Kliniken versichern freie Hebammen mit
Dazu kommt: Wenn die Versicherungsprämien steigen, so trifft das längst nicht alle Hebammen. Es lohnt sich, zu unterscheiden. Diejenigen, die in einer Klinik angestellt sind, sind über ihren Arbeitgeber versichert. Aber auch für die freiberuflich Tätigen, die sich nur zeitweise in den Krankenhausablauf integrieren, dort den normalen Schichtdienst machen oder nur mit „ihrer“ Schwangeren in den Kreißsaal kommen, bieten viele Kliniken Verträge an, die den Versicherungsschutz beinhalten. „Sie verdienen etwas weniger, dafür übernimmt das Haus die gesamte Haftpflichtversicherung“, sagt Babett Ramsauer, kommissarische Leiterin der Geburtshilfe am Vivantes Klinikum in Berlin-Neukölln.
Das Versicherungsproblem betrifft also nicht jede der rund 3500 Hebammen, die als Freiberuflerinnen bei Entbindungen helfen, sondern nur jene „Beleg“-Hebammen, die direkt mit den Krankenkassen abrechnen. Besonders schwer belastet es jene, die nur wenigen Kindern auf die Welt helfen, aber trotzdem die einheitliche Prämienpauschale zahlen müssen. 15 Geburten im Krankenhaus müsse sie individuell betreuen, nur um die Haftpflichtprämie für ein Jahr wieder hereinzuholen, berichtet Susanna Rinne-Wolf, freiberufliche Hebamme und Erste Vorsitzende des Berliner Hebammenverbands.
Nur 1,7 Prozent der Babys werden außerhalb von Kliniken geboren
Selbst versichern müssen sich auch ihre Kolleginnen, die freiberuflich in Geburtshäusern oder zu Hause ihre Hilfe bei der Entbindung anbieten. Ihre Zahl ist gering, wie der 2012 erschienene Bericht des Iges-Instituts im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums zeigt. Nur ein Fünftel der Freiberuflerinnen bietet Hausgeburten an, nur jede Zehnte ist zeitweise in einem Geburtshaus tätig. Die Nachfrage bleibt noch einmal hinter diesem Angebot zurück. Gerade 1,7 Prozent der Babys werden in Deutschland außerhalb einer Klinik geboren, in Berlin sind es rund vier Prozent.
Bei der aktuellen Debatte um die Versicherungen geht es indes nicht allein um die Anzahl der Hebammen, die außerklinische Geburtshilfe anbieten. Es geht auch um die Freiheit, den Geburtsort selbst zu bestimmen. Diese Wahlfreiheit ist gesetzlich festgeschrieben. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schließt sie auch das Recht auf professionelle Hilfe zu Hause ein.
Und dann geht es doch ins Krankhaus
Ist die Wahlfreiheit medizinisch sinnvoll? In der „Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie“ warnten Birgit Arabin vom Mutter-Kind-Zentrum der Universität Marburg und zwei ihrer amerikanischen Kollegen im vergangenen Jahr, dass der Traum von der natürlichen Geburt zu Hause schnell zum Albtraum eines Eiltransports in die Klinik werden könne. In den Niederlanden, wo ein Viertel der Entbindungen außerhalb von Kliniken stattfinden, wird fast die Hälfte der Erstgebärenden letztlich doch in ein Krankenhaus gefahren. In England, wo es ebenso viele geplante wie ungeplante Hausgeburten gibt, passiert das Studien zufolge in über einem Drittel der Fälle. Bedenklich sei, dass es dann besonders oft zum Einsatz von Saugglocke und Zange oder zu einem Kaiserschnitt komme. Beides wäre mit weniger Hektik vermeidbar gewesen, meint Arabin.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Berufsverband der Frauenärzte befanden in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2011, dass „größtmögliche Sicherheit für Mutter und Kind während der Geburt nur in einer Geburtsklinik gewährt“ sei, vor allem wegen der zeitraubenden Transporte im Notfall. Daten der Gesellschaft zur Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe zeigen, dass in Deutschland in den letzten Jahren 16 Prozent der außerklinisch begonnenen Entbindungen in der Klinik endeten. Die Mehrzahl der Verlegungen geschehe allerdings nicht in Eile, so wird dort betont.
Für Frauen mit geringem Risiko ist eine Hausgeburt kein Nachteil
Dass alles anders läuft als geplant, kann Folgen haben. „Daten aus den Niederlanden belegen: Frauen leiden noch Jahre später unter den Ängsten, die mit einem solchen Transport verbunden sind“, sagt Arabin, die 15 Jahre lang dort in einem Perinatalzentrum tätig war. Darüber, ob es für Mutter und Kind wirklich gefährlich ist, wird aber seit Jahren erbittert gestritten.
Was eine Gefährdung der Mütter durch Blutungen und andere Komplikationen bei Hausgeburten betrifft, so gab die Hebamme und Gesundheitsforscherin Ank de Jonge von der Universität Amsterdam im letzten Jahr Entwarnung. Sie hatte Daten von fast 150 000 niederländischen Frauen analysiert und kam zu dem Schluss: „Es gab keinen Beleg dafür, dass geplante Hausgeburten bei Frauen mit niedrigem Risiko eine erhöhte Gefahr für die Mutter darstellen – zumindest in einem Gesundheitssystem mit gut ausgebildeten Hebammen und einem funktionierenden Überweisungs- und Transportsystem.“
Schäden bei den Kindern
Doch was ist mit den Babys? In einer großen Vergleichsstudie, die 2011 im „British Medical Journal“ erschien, wurden nach außerklinischen Geburten häufiger Schäden des kindlichen Gehirns, Probleme mit der Atmung und Armlähmungen gefunden. „Inzwischen zeigen auch Daten aus den USA, dass dort die kindliche Sterblichkeit und die Schädigungsrate der Kinder nach außerklinischen Geburten statistisch erhöht sind“, sagt Arabin.
„Frauen haben das Recht zu wählen, wo sie entbinden, aber sie haben nicht das Recht, ihr Kind in Gefahr zu bringen“, kommentierte 2010 das Fachmagazin „Lancet“. Ob sie das tun, wird aber umstritten bleiben. Schon weil Studien zu dieser Frage mehrere methodische Tücken beinhalten. Erstens lassen sich Schwangere nicht zu Studienzwecken nach dem Zufallsprinzip einer Hausgeburts- und einer Klinikgeburtsgruppe zuteilen. Und zweitens gehen Frauen, die ihr Kind eigentlich nicht in der Klinik bekommen wollten, letztlich aber doch dorthin transportiert wurden, meist als Problemfälle bei den Kliniken in die Statistik ein.
Dank Hebammen ist die Klinikgeburt sanfter geworden
„Wir Ärzte sehen die Fälle, die schief laufen“, sagt Michael Abou-Dakn, Gynäkologe am St. Joseph-Krankenhaus in Berlin-Tempelhof. „Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass alle medizinischen Möglichkeiten schnell verfügbar sind.“ Salomonisch fügt er zu seinem Plädoyer für die Klinikgeburt aber noch hinzu: „Es ist den Hebammen zu verdanken, dass die Geburtshilfe in den Kliniken inzwischen sanfter und natürlicher geworden ist.“
Bei allem fachlichen Streit um Risiken ist zu bedenken: Dass die Kosten für die Berufshaftpflichtversicherung explodieren, hat nicht mit einer Zunahme der Schadensfälle, sondern mit der der Schadenssummen zu tun. Es trifft auch nicht nur die Hebammen und die Geburtshilfe. Allein 2013 seien die Haftpflichtbeiträge der Kliniken gegenüber dem Vorjahr um 60 Prozent gestiegen, war kürzlich beim Deutschen Chirurgenkongress zu hören. Im „Deutschen Ärzteblatt“ wurde zeitgleich der Fall eines niedergelassenen Gynäkologen aus Süddeutschland geschildert, der nach 23 Jahren seine Tätigkeit als Belegarzt im örtlichen Krankenhaus aufgegeben hat, weil die Geburtshilfe bei der Berufshaftpflicht mit 12 000 Euro jährlich zu Buche schlug. Nun müssen die Schwangeren zum nächsten Krankenhaus fahren. Im dicht besiedelten Deutschland, wo 88 Prozent der Frauen laut Iges-Studie im Umkreis von zehn Kilometern mindestens eine Klinik mit Kreißsaal finden, ist das zwar kein großes Problem. Doch der niedergelassene Frauenarzt gibt zu bedenken: „Wir kennen die Frauen, behandeln sie während der Schwangerschaft und auch nach der Geburt.“
Auch Mediziner befürworten die Eins-zu-Eins-Betreuung
Ein Argument, das auf die freiberuflichen Hebammen mindestens ebenso zutrifft. Sie führen erste Gespräche mit den werdenden Müttern am Ende der Schwangerschaft, besuchen die Wöchnerinnen zu Hause, beraten die jungen Mütter beim Stillen und bei der Babypflege, leiten bisweilen auch Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse. „Was liegt näher, als sie auch in den Kreißsaal zu begleiten?“, fragt Hebamme Susanna Rinne-Wolf. „Das ist ein Betreuungsmodell, das sich viele Frauen und Familien wünschen, es gibt schon heute deutlich mehr Nachfrage als Angebot.“ Auch Mediziner wie Abou-Dakn befürworten das Modell der Eins-zu-Eins-Betreuung. Es wäre ein Rückschritt, wenn es im Einzelfall an Versicherungsproblemen scheitern müsste.
Wenn 62 Prozent der freiberuflichen Hebammen in Deutschland heute ausschließlich in der Vor- und Nachsorge arbeiten und „ihre“ Frauen nicht in den Kreißsaal begleiten, dann liegt das aber nicht allein an den leidigen Versicherungskosten, die bei einigen ohnehin von der Klinik übernommen werden. Viele Hebammen wollen und können auch aus familiären Gründen nicht Tag und Nacht rufbereit sein. Und 27 Prozent der Freiberuflerinnen finden nicht, dass die Entbindung das „Kerngeschäft“ ihres Berufs sei, wie die Iges-Befragung belegt. Viele von ihnen arbeiten inzwischen auch als speziell fortgebildete „Familienhebammen“, die Frauen und Familien mit besonderen Problemen über einen längeren Zeitraum besuchen und umfassend psychosozial beraten.
Nach wie vor der beliebteste Gesundheitsberuf
Der Attraktivität des Berufs konnte die Debatte um die Berufshaftpflicht jedenfalls bisher kaum etwas anhaben. Der kaum zu bewältigende Andrang auf die Ausbildungsplätze und das Studium habe zwar in den letzten Jahren leicht abgenommen, doch sei er nach wie vor deutlich höher als in jedem anderen Sozial- oder Gesundheitsberuf, berichtet Heike Polleit, Hebamme und Koordinatorin im neuen Studiengang Hebammenkunde, den das St. Joseph-Krankenhaus und die Evangelische Hochschule Berlin gemeinsam anbieten. „Hebamme bleibt einfach ein Traumberuf“, sagt sie.
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