Smartphone am Steuer: Tödliche Ablenkung im Auto - auch mit Freisprechanlage
Immer häufiger werden Smartphones im Auto benutzt. Doch das schnelle Texten und Online-Surfen ist riskant. Studien zeigen: Auch wer frei spricht, hat den Kopf nicht fürs Fahren frei.
„Ich wünschte, ich könnte zu diesem Tag zurück und alles ändern“, sagt Chandler Gerber. Die Uhr zurückstellen, das würde für den jungen Amerikaner bedeuten: den Tod von drei Menschen verhindern. Ein Jugendlicher und zwei Kinder, Angehörige der Amish-People, die in einer Kutsche saßen und vor ihm fuhren, sind gestorben, weil Gerber unaufmerksam war. „I love you“, hatte er seiner Frau wenige Minuten zuvor geschrieben. Dann kam der Moment, in dem die Antwort seiner Frau sich mit einem Piepton angekündigte. Er konnte nicht anders, als die SMS anzuschauen, verlor dafür für Sekunden die Straße aus den Augen.
Jeder Dritte liest hinter dem Steuer Textnachrichten
„Bitte, textet nie etwas auf Eurem Smartphone, während Ihr Auto fahrt“, beschwört der Familienvater jetzt, im Abstand von einigen Jahren, die Zuschauer. Er ist einer von vier Protagonisten des Films „Von einer Sekunde zur nächsten“, den Werner Herzog im Auftrag einer amerikanischen Telefongesellschaft gedreht hat, um vor dem Schreiben von SMS und E-Mails am Steuer zu warnen.
Polizei und Verkehrsforscher gehen in den USA davon aus, dass jedes Jahr mindestens 100.000 Verkehrsunfälle passieren, weil Fahrer oder Fahrerin von ihrem Handy, Smartphone oder Tablet abgelenkt werden. Trotzdem ist deren Nutzung während der Fahrt in vielen Bundesstaaten bisher nicht verboten oder eingeschränkt. In Deutschland, wo als einzige Nutzung mobiler Telefone seit 2004 das Telefonieren mit Freisprechanlage erlaubt ist, gibt es in jedem Jahr Hunderttausende von Verstößen gegen diesen Punkt der Straßenverkehrsordnung. Eine Befragung, die die Allianz-Versicherung 2011 startete, ergab: 30 Prozent der Autofahrer lesen während der Fahrt Textnachrichten, 20 Prozent schreiben sie, wenn auch meist nur „selten“ oder „ab und zu“.
Viele Fahrer halten sich für Multitasking-fähig - andere Verkehrsteilnehmern aber nicht
Eine kausale Beziehung zu tragischen Verkehrsunfällen wie dem des jungen Chandler Gerber herzustellen, ist kaum möglich. Doch offensichtlich empfinden die Autofahrer selbst die Kombination von Smartphone und Steuer als Gefahr. Neun von zehn amerikanischen Autofahrern, die die Foundation for Traffic Safety zu dem Thema interviewte, finden Telefonieren im Auto gefährlich. Fast so viele, wie sich über Trunkenheit am Steuer echauffieren. 95 Prozent der Befragten finden es „völlig inakzeptabel“, beim Fahren Kurznachrichten zu schreiben. Mehr als jeder Vierte von ihnen hat es im letzten Monat trotzdem mindestens einmal getan. Und mehr als jeder Dritte hat sich hinreißen lassen, eine eingegangene Botschaft während der Fahrt zu lesen.
„Kontroll-Illusion“, so nennt der Verkehrspsychologe Markus Hackenfort den Grund für diese Diskrepanz. Hackenfort ist skeptisch, was die Wirkung von Filmen betrifft, die mit schlimmen Einzelereignissen schockieren. „Keiner unterschätzt die Folgen schwerer Verkehrsunfälle, doch ihre statistische Seltenheit stützt die Vorstellung, man selbst sei nicht betroffen“, sagt der Forscher von der Züricher Hochschule für Angewandte Psychologie. „Beinahe-Unfälle“ würden zudem meist gar nicht registriert. Viele Fahrer überschätzten ihre eigene Fähigkeit zum Multitasking, während sie die anderen Verkehrsteilnehmern eher absprechen.
SMS: Unfallrisiko um das 23fache erhöht
Auch Berufsfahrer erliegen offensichtlich diesem Trugschluss. Eine Studie von Richard Hanowski und seinem Team vom Virginia Tech Transportation Institute, für die Kabinen von Lkw-Fahrern über 18 Monate hinweg mit Videokameras ausgestattet wurden, ergab: Wenn die Fahrer während der Arbeit SMS schrieben, stieg das Unfallrisiko um das 23fache. „Verglichen mit anderen Ablenkungsursachen ist das SMS-Schreiben eine eigene Gefahrenwelt“, schreiben die Autoren.
Eine Maßnahme gegen die Selbstüberschätzung sieht Sicherheitsforscher Hackenfort darin, Autofahrern ihre eigene „Kontroll-Inkompetenz“ vor Augen zu führen. Um jungen Autofahrern zu verdeutlichen, wie leicht man sich überschätzt, hat er Probanden während einer Fahrt am Simulator telefonieren lassen und dabei Stressindikatoren wie den Hautwiderstand gemessen. Außerdem bat er sie, den Grad ihrer Beanspruchung subjektiv einzuschätzen. Subjektive und objektive Daten lagen erwartungsgemäß weit auseinander.
Fragwürdiger Nutzen von Freisprecheinrichtungen
Hackenfort warnt davor, jede Gefahr für gebannt zu halten, nur weil der Fahrer beim Telefonieren die Hände nicht vom Steuer nehmen muss. „Die geringere Beanspruchung motorischer Ressourcen beim Nutzen einer Freisprecheinrichtung wirkt sich offenbar deutlich weniger positiv aus, als dies die Gesetzgebung in vielen Ländern nahelegt.“
„Hands free is not risk free“, sagt auch David Strayer von der Universität Utah. Seine Arbeitsgruppe testete junge Probanden am Computer im Institut, in einem Fahrsimulator und am Steuer eines Pkw in einem Wohngebiet. In jeder der drei Situationen sollten sie Musik und ein Hörbuch anhören, sich mit einem Nachbarn unterhalten, ohne oder mit Headset telefonieren, eine E-Mail in ein Sprachumwandlungsprogramm sprechen, eine knifflige Mathe- und Gedächtnisaufgabe lösen. Dabei wurden per EEG ihre Hirnströme abgeleitet, ihre Reaktionen und Augenbewegungen aufgezeichnet und ihr subjektiver Eindruck von der jeweiligen Belastung erfragt.
Es zeigte sich zunächst, dass das Telefonieren mit Freisprechanlage die Versuchsteilnehmer kaum weniger ablenkte als Gespräche mit dem Hörer am Ohr. Am meisten waren sie gedanklich vereinnahmt, wenn sie mündlich eine E-Mail verfassten. Gerade diese stimmgeführten Assistenzsysteme werden immer häufiger genutzt. Für Strayer ist dieser Trend „höchst beunruhigend“.
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