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Maus am MDC
© Mike Wolff

Zellen statt Mäuse: Tiere schonen und trotzdem Patienten helfen

An der Freien Universität entsteht die erste Berliner Professur zu Alternativen für Tierversuche. Bisher wird dort vor allem mit Hautmodellen geforscht.

Auf den ersten Blick wirkt es, als experimentiere Christian Zoschke mit leuchtendrotem Wackelpudding, auf dem ein Klecks Vanillesoße eingetrocknet ist. Tatsächlich hat er ein Modell für den hellen Hautkrebs entwickelt. Er ist einer von zwölf Doktoranden und drei Juniorprofessoren, die am Graduiertenkolleg „Innovationen in der 3R-Forschung“ an der Freien Universität Berlin nach Alternativen zu Tierversuchen fahnden. Sie zerlegen Haut, die bei Operationen übrig bleibt, in ihre Bestandteile, vermehren Keratozyten und Fibroblasten (zwei Hautzelltypen) und fügen sie dann in einer Nährflüssigkeit wieder zusammen. Im Brutschrank entsteht eine organähnliche Kultur von etwa zwei Zentimetern Durchmesser mit Epidermis und Lederhaut. Zoschke lässt darin Hautkrebs wachsen, ein Kollege fügt Immunzellen hinzu und simuliert so allergische Reaktionen, ein weiterer verändert bestimmte Gene. Nebenbei belegen sie Kurse zu Labortierkunde, Alternativmethoden, Tierversuchen und Ethik & Recht.

Was hier entstand, will das Land Berlin nun weiter stärken: An der Freien Universität (FU) soll die erste Universitätsprofessur Berlins zur Erforschung von Ersatzmethoden für Tierversuche eingerichtet werden, 400 000 Euro zusätzlich stehen dafür zur Verfügung. Das Berufungsverfahren läuft bereits. „Wir wollen unnötiges Leiden und Sterben von Tieren verhindern und gleichzeitig wissenschaftlichen Fortschritt ermöglichen“, sagte Thomas Heilmann, Senator für Justiz und Verbraucherschutz. Besonders wichtig sei, dass an der FU Nachwuchsforscher an das Thema herangeführt werden und es so für sich entdecken können, ergänzte Sandra Scheres, Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft.

Die Zahl der Tierversuche sank - weil anders gezählt wurde

Auf absehbare Zeit könne man allerdings nicht ganz auf Tierversuche verzichten, sagte Heilmann. Der Neubau entsprechender Labore am Max-Delbrück-Centrum sei daher kein Widerspruch. „Es ist besser, die Mäuse und Ratten in hellen, tiergerechten Räumen unterzubringen als in einem Bunker.“ Insgesamt sei die Zahl der gemeldeten Versuchstiere von 422 175 im Jahr 2013 auf 259 779 im Jahr 2014 gesunken – vermutlich vor allem, weil die Schwanzspitzenbiopsie, durch die genveränderte Tiere oft doppelt gezählt wurden, im Jahr 2014 außer Acht gelassen wurde.

„Die Sicherheit des Menschen geht vor, wir müssen erst zeigen, dass die Ersatzmethoden wirklich besser funktionieren“, sagte Monika Schäfer-Korting, Pharmakologin und FU-Vizepräsidentin. Die Hautmodelle, die sie seit den 1990er Jahren erforscht, seien am weitesten fortgeschritten. Das Krebsmodell zum Beispiel zeige, dass die Lipidstruktur der kranken menschlichen Haut erheblich gestört sei. Das erkläre die Nebenwirkungen einiger Medikamente. „Wir brauchen neue Mittel“, sagte sie. Der helle Hautkrebs sei zwar bei Menschen mit gesundem Immunsystem nicht lebensbedrohlich; immunsupprimierte Patienten dagegen seien gefährdet. Mit den Hautmodellen könne man gezielter nach neuen Substanzen suchen. Nur was sich hier bewährt, würde dann in den vorgeschriebenen Tierversuchen getestet. „Ich bin davon überzeugt, dass sich die Zahl erheblich reduzieren lässt“, sagte sie.

Das Ziel: Der Zehn-Organ-Chip

Die Pharmakologin und ihre Kollegen sind nicht die einzigen, die in Berlin und Brandenburg an diesem Ziel arbeiten. Im Verbund BB3R (3R steht für die Maxime „reduce, replace, refine“, die für alle Tierversuche gilt) erforscht zum Beispiel Gilbert Schönfelder vom Bundesinstitut für Risikobewertung, wie das Leid der Mäuse durch Schmerzmittel gelindert werden kann. An der Charité beobachten Stefan Hippenstiel und Andreas Hocke, welchen Schaden Erreger wie die Vogelgrippe oder das Mers-Virus in menschlichem Lungengewebe anrichten. An der Technischen Universität Berlin will das Team um Uwe Marx den Menschen auf eine Chipkarte bannen. Ein Zehn-Organ-Chip könnte wesentliche menschliche Stoffwechselprozesse im Labor nachbilden und damit effektiver sein als viele Tierversuche. „Wir arbeiten alle zusammen“, sagte Schäfer-Korting. „Anders geht es gar nicht.“

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