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Arbeit unter Wasser. In den gefluteten Höhlen auf der Halbinsel Yucatan finden sich viele Zeugnisse der Maya-Kultur. Sie werden akribisch dokumentiert, aber meist nicht geborgen. Viele von ihnen würden beim Kontakt mit Luftsauerstoff bald zerfallen.
© KSM Film/Uli Kunz

Geflutete Höhlen in Mexiko: Tauchgang ins Totenreich

Tonkrüge und Reste von Menschenopfern: In gefluteten Höhlen auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan erforschen Archäologen das Leben der Maya. Von ihrer Arbeit erzählt ein Dokumentarfilm, der jetzt in die Kinos kommt.

Blau und ruhig liegt der Eingang zur Unterwelt mitten im Dschungel. Poröser Kalkstein umschließt den kleinen See, schon vom Rand aus kann man einige Meter in die Tiefe der Cenote schauen, wie die gefluteten Kalksteinhöhlen auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan genannt werden. Ungefähr 3000 bis 5000 davon wurden bisher entdeckt, mehr als 10 000 soll es geben. Deckeneinstürze öffneten die Höhlen für die Außenwelt, Regen und steigendes Grundwasser verwandelten sie in eine geheimnisvolle Unterwasserwelt.

An deren Erforschung ist unter anderem der Unterwasserarchäologe Florian Huber von der Universität Kiel beteiligt. Zusammen mit drei Kollegen – Uli Kunz, Christian Howe und Robert Lehmann – unternahm er mehrere Expeditionen in die Felslabyrinthe. „Es ist wie ein Tauchgang in eine andere Welt. Als Taucher und Archäologe kenne ich keinen vergleichbaren Ort“, schwärmt er.

Die Cenoten sind wahre Schatzkammern. Sie bergen zahlreiche Zeugnisse der Maya, die etwa zwischen 3000 v. Chr. und dem neunten Jahrhundert das Leben in der Region prägten. Die Höhlen enthalten aber auch noch ältere Spuren der Vergangenheit: steinzeitliche Lagerplätze sowie Knochen von Urzeittieren wie dem Mastodon und dem Riesenfaultier. In dieser Epoche vor rund 10 000 Jahren konnten die Höhlensysteme überwiegend trockenen Fußes durchquert werden, denn der Meeresspiegel lag damals am Ende der Eiszeit deutlich tiefer als heute. Vermutlich fanden in den Kavernen Mensch und Tier gleichermaßen Unterschlupf. Mit dem Schmelzen des Eises stieg das Wasser im Meer und auch das Grundwasser – die Kalksteinhöhlen füllten sich.

Zur Zeit der Maya waren sie bereits geflutet und dienten der Versorgung mit frischem Wasser, denn auf Yucatan gibt es keine großen Seen oder Flüsse. Doch die Cenoten waren nicht allein Wasserspender. Die Maya verehrten die Löcher im Boden auch als direkte Zugänge zur Unterwelt Xibalbá, dem „Ort der Angst“. In den Höhlen finden sich Relikte des Maya-Kultes: Krüge, Altäre und sogar Reste von Menschenopfern, die ins Wasser geworfen wurden, um die Götter zu besänftigen. Weiterhin fanden Archäologen Höhlen, die wahrscheinlich als Begräbnisstätten genutzt wurden. In der Las-Calaveras-Cenote zum Beispiel entdeckten Taucher mehr als 100 menschliche Skelette.

Leben in der Unterwelt. Vor Jahrtausenden waren die Höhlen meist noch trocken. Auch Tiere suchten damals dort Unterschlupf. Ihre Reste werden nun von den Wissenschaftlern dokumentiert.
Leben in der Unterwelt. Vor Jahrtausenden waren die Höhlen meist noch trocken. Auch Tiere suchten damals dort Unterschlupf. Ihre Reste werden nun von den Wissenschaftlern dokumentiert.
© KSM Film/Uli Kunz

Für die Archäologen ist die Überflutung der Unterwelt Segen und Fluch zugleich. Abgeschlossen vom Luftsauerstoff bleiben die Objekte im Wasser weitgehend vom Zerfall verschont. „Wir haben in den Cenoten perfekt erhaltene Tonkrüge und fast vollständige Skelette gefunden“, berichtet Huber. „Auf Yucatan selbst wären solche Entdeckungen nicht möglich, dort bedeckt kaum mehr als eine dünne Erdschicht den Kalkstein.“ Will man mehr über die Geschichte der Halbinsel erfahren, sind Tauchgänge unumgänglich.

Gehoben werden die Funde nicht. Bei Kontakt mit Luftsauerstoff beginnt umgehend der Zerfall, eine Restaurierung unterwasserarchäologischer Entdeckungen ist deshalb besonders aufwendig und teuer. „Wir nehmen lediglich Miniproben für Analysen im Labor. Außerdem werden die Funde gefilmt, fotografiert und katalogisiert“, sagt er. An der Uni Kiel hat man inzwischen sogar ein Computerprogramm entwickelt, das aus den Unterwasserbildern 3-D-Modelle der Funde macht. Zusammen mit der Datierung und Erbgutanalyse aus dem Labor lassen sich so auch am trockenen Schreibtisch wichtige Erkenntnisse über die Nutzung der Höhlen gewinnen.

Die Arbeit unter Wasser ist nur etwas für Profis. Schon der Weg zu den Toren der Unterwelt ist beschwerlich: Temperaturen weit über 30 Grad, eine hohe Luftfeuchtigkeit und über 80 Kilogramm Ausrüstung. „Aus Sicherheitsgründen werden alle wichtigen Geräte wie Atemregler, die Flaschen mit speziellen Gasmischungen und Taschenlampen in doppelter Ausführung mitgenommen, dazu kommen noch Kameras und anderes Handwerkszeug“, sagt Huber. Jeder der vier Expeditionsteilnehmer ist ausgebildeter Forschungs-, Höhlen- und Mischgastaucher.

Als Team arbeiten sie seit Jahren zusammen, in den Cenoten ist das eine Lebensversicherung. Manche Durchgänge dort unten sind kaum breit genug für einen Taucher, in den meisten Steinsälen ist es stockdunkel und ohne spezielle Leinen verliert man in den verzweigten Gängen schnell die Orientierung. Um trotzdem sicher arbeiten zu können, wird jeder Tauchgang akribisch geplant. „An einigen Stellen mussten wir zwei oder drei Mal runter, um das Gelände genau zu erkunden. Erst dann konnten wir direkt an den Objekten arbeiten“, berichtet Huber. Manche Expeditionen führte das Team mehrere hundert Meter tief in die Höhlengänge hinein. Ein Fehler kann hier unten schnell den Tod bedeuten.

Gleichzeitig dürfen die Wissenschaftler im Wasser nicht zu viele Gedanken an das Tauchen selbst verschwenden, schließlich müssen die Funde noch archäologisch bearbeitet werden. Vorsichtig und zentimetergenau schweben Huber und seine Kollegen dafür durch das dunkle Wasser, der Schein der Lampen erhellt die Felswände und immer wieder blitzt die Unterwasserkamera auf. Schon ein falscher Flossenschlag könnte die Arbeit ruinieren, das aufgewirbelte Sediment würde die Sicht innerhalb von Sekunden vernebeln. Verlaufen die Tauchgänge aber erfolgreich, so ist der Erkenntnisgewinn umso größer.

Nicht umsonst gilt das Aufkommen der Unterwasserarchäologie vor knapp 30 Jahren als kleine Revolution innerhalb der Wissenschaft. Durch gut erhaltende Funde vom Grund der Meere, Seen und Cenoten wurde so manches Rätsel der Geschichte gelöst und einige Lehrmeinungen über den Haufen geworfen.

So hatte man lange angenommen, dass die Maya die ersten Siedler Yucatans waren. Doch in den Cenoten fanden Forscher Knochen eines Jungen, der vor rund 10 000 Jahren gelebt hatte sowie eine Feuerstelle, die auf ein Alter von 8500 Jahren datiert wurde. Damit war klar, dass die Halbinsel bereits während der Steinzeit besiedelt war.

Mit jeder weiteren Höhle, die erforscht wird, erhalten die Wissenschaftler wichtige Informationen, mit denen sie die Geschichte der Menschen auf Yucatan besser nachzeichnen können. Sie erhoffen sich zudem Erkenntnisse über das Aussterben der großen Säugetiere in Lateinamerika. Bisher ist nicht klar, ob Mastodon und Riesenfaultier durch Klimaveränderungen oder menschliche Einflüsse verschwanden. Und sicher wird es auch noch manche Überraschungen geben, denn bisher wurde nur ein Bruchteil der Cenoten untersucht.

Ein Kamerateam begleitete Florian Huber und seine Kollegen über mehrere Wochen bei ihrer Arbeit in den Cenoten. Am 15. August kommt die daraus entstandene Dokumentation „Verborgene Welten 3-D. Die Höhlen der Toten“ in die Kinos.

Birk Grüling

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