Kulturelles Erbe: Syrische Kulturschätze sollen digitalisiert werden
Die Initiative „CyArk“ will 500 Kulturstätten auf der Welt digitalisieren – bevor sie zerstört werden. Nun soll die Arbeit in Syrien beginnen. Möglichst unauffällig.
2000 Jahre stand der Triumphbogen von Palmyra, ein eindrucksvolles Zeugnis aus der Blütezeit der Oasenstadt. Vor zwei Wochen wurde es gesprengt von Fanatikern des „Islamischen Staats“, die auf ihrem Vernichtungszug systematisch Kulturdenkmäler zerstören. Der Baal-Tempel und der Tempel des Baal-Schamin in Palmyra waren bereits zertrümmert, ebenso die historische Stadt Nimrud im heutigen Irak. Täglich wird die Liste länger. „Wir können sie nicht stoppen“, sagt Samir Abdulac vom Internationalen Rat für Denkmalpflege (Icomos). „Wir können nur versuchen zu retten, was noch da ist.“
Viele Statuen und andere Objekte, die nur einigermaßen zu bewegen sind, wurden bereits an sichere Orte gebracht. Ganze Bauwerke hingegen kann keiner fortschaffen. Aber sie können digitalisiert werden, so genau, dass sie als virtuelle Kopien überall auf der Welt dargestellt werden können, sogar auf jedem Smartphone. So genau, dass aus den 3-D-Daten Pläne erstellt werden können, um solche Bauwerke gegebenenfalls wieder zu errichten. Darauf wies Elizabeth Lee von der Organisation „CyArk“ hin, die 500 Kulturschätze weltweit digitalisieren will. Jetzt stellte sie in Berlin das neueste Projekt vor. Zusammen mit Experten von Icomos und den syrischen Behörden sollen historische Stätten in dem Bürgerkriegsland dokumentiert werden.
Die genauen Orte werden geheim gehalten
Welche das sein werden, sei geheim, sagt Abdulac. Um den IS nicht darauf aufmerksam zu machen. Angesichts von rund 10 000 Denkmälern in dem Land sei die Auswahl schwer gefallen. „Wir haben uns auf eine Handvoll Objekte geeinigt und hoffen, in den nächsten Wochen mit der Arbeit beginnen zu können“, sagt er.
CyArk (der Name steht für „cyber archive“) ist eine private Organisation. Ihren Ursprung hatte sie im Jahr 2001, als die Taliban in Afghanistan die Buddha-Statuen von Bamiyan zerstörten. Ben Kacyra, unter anderem mit dem ersten tragbaren Laserscanner zu Geld gekommen, und seine Frau Barbara beschlossen, bedeutende Kulturgüter digital zu dokumentieren – bevor sie der Zerstörungswut von Menschen zum Opfer fallen oder Umwelteinflüssen wie saurem Regen. Nach eigenen Angaben wurden fast 200 Kulturstätten „gesichert“, darunter Pisa, Pompeji und die US-Präsidenten vom Mount Rushmore.
Eine Kopie wird in einem Hochsicherheitstrakt untertage verwahrt
Jedes Objekt wird mit einem Laserscanner vermessen. Dieser sendet zehntausende Laserpulse pro Sekunde aus, die am Denkmal reflektiert werden. Aus der Laufzeit der Signale berechnet eine Software die Koordinaten der einzelnen Bildpunkte. Zusätzlich werden Fotos gemacht, vom Boden sowie mit Drohnen. Im Hauptquartier in Oakland werden aus den Rohdaten 3-D-Modelle errechnet und beispielsweise virtuelle Helikopterflüge durch die historischen Gemäuer erstellt, die dann veröffentlicht werden. Für jedes Denkmal fällt eine Datenmenge von durchschnittlich drei Terabyte an. Diese Informationen werden auf den Servern in Oakland gespeichert, eine weitere Kopie wird in einem Hochsicherheitstrakt in einer ehemaligen Mine in Pennsylvania verwahrt. 20 bis 30 Millionen Dollar koste CyArk im Jahr, sagt Lee. Wobei etwa die Datentechnik und die Sicherung in der Mine von den Firmen Seagate und Iron Mountain gratis angeboten werden. Auch viele Helfer arbeiten unentgeltlich.
Freiwillige sollen in Beirut angelernt werden
Um die Sicherheit der CyArk-Experten zu gewährleisten, wird die Messkampagne in Syrien anders verlaufen. Die Arbeit sollen Freiwillige aus dem Land übernehmen, die zuvor auf neutralem Boden, etwa in Beirut, in die Technik eingewiesen werden, erläutert der Projektleiter Abdulac. „Diese Menschen können sich eher unauffällig im Land bewegen.“ Und sie seien hochmotiviert, schließlich gehe es um ihr Kulturerbe. Abdulac betont, dass nur jene Stätten vermessen werden, an denen die Helfer einigermaßen sicher sind.
Dabei könnte sich die Lasertechnik als Nachteil erweisen. Schließlich erregt es Aufsehen, wenn ein Gerät mit roten Lichtsignalen ein Gebäude abrastert. Eine Alternative ist die Photogrammetrie. Dabei werden viele Bilder von einem Objekt gemacht. „Anhand von Bildpunkten in den überlappenden Bereichen berechnet eine Software zunächst den Standort des Fotografen und anschließend die räumlichen Koordinaten für jedes Pixel“, erläutert Dieter Fritsch von der Universität Stuttgart. Dass das funktioniert, haben er und sein Team bei der Digitalisierung des Brandenburger Tors gezeigt – die Daten wurden jetzt veröffentlicht. Laut Fritsch soll das Verfahren auch in Syrien an ausgewählten Orten genutzt werden.
Er denkt bereits weiter: Jeder könne mit einem Smartphone solche Aufnahmen machen. Man muss nur genügend Bilder haben und sie zusammenführen. Auf diese Weise könnten noch viel mehr Menschen dazu beitragen, Kulturgüter zumindest digital zu erhalten.
Stefan Weber, Leiter des Berliner Museums für Islamische Kunst, ist zurückhaltender. Er ist an einem Projekt beteiligt, das bereits 150 000 Grabungsunterlagen und Fotos von syrischen Kulturdenkmälern digitalisiert hat – eine Grundlage für ein „Nationalarchiv“, wie er sagt. „3-D-Scans können enorm dazu beitragen, historische Stätten zu dokumentieren“, sagt Weber. „Das Original – unmittelbares Zeugnis kulturellen Schaffens aus der Vergangenheit – können sie dennoch nicht ersetzen.“