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Groß, doch leicht und luftig mit verspielten Fassaden – so präsentieren sich die erhaltenen Yalis (Sommerhäuser) in Istanbul, vorzugsweise direkt am Bosporus.
© /laif

Istanbul: Sultans Lust am Bosporus

Istanbuls Holzhäuser aus der Osmanenzeit stehen unter Denkmalschutz. In einem, der Villa Tarabya, arbeiten deutsche Künstler.

Wenn es nicht allzu warm ist in Istanbul, dann öffnen Süveyda Birisik und Zerhan Gökpinar Türen und Fenster ihres „Yalis“ und lassen die frische Luft des Bosporus samt Schiffsgetöse in die prachtvollen Gemächer strömen. Nur eine Elle tief unter dem pittoresken ochsenblutroten Holzbau platscht das Wasser der Meerenge an die Füße des Hauses. Die beiden Frauen aus der Istanbuler Oberschicht empfangen (zahlende) Gäste im Haus, das einst ihrem Großvater gehörte, dem Hekimbasi Salih Efendi Yalisi.

Der Großvater war oberster Leibarzt im Serail des letzten Sultans von Konstantinopel, wie Istanbul damals noch hieß. Wie viele angesehene Osmanen seiner Zeit, hatte auch er ein Yalis, eine Sommervilla an der Meerenge zwischen Europa und Kleinasien, die das Leben der Metropole so sehr bestimmt.

Istanbul ist ohne seine Holzhäuser nicht vorstellbar. Noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war es, was Wohngebäude betrifft, eine Stadt aus Holz. Die mit den Füßen im Wasser stehenden nennt man Yali. Es gibt nur noch wenige. Die Stadtvillen heißen Konak oder Kösk, was so viel wie Kiosk bedeutet. Alle sind vom 17. Jahrhundert an bis ins 19. hinein gebaut worden. Nicht zuletzt auch ihrer einzigartigen Holzbauweise verdankt Istanbul seine Auszeichnung als Weltkulturerbe. Die meisten der Holzhäuser gibt es allerdings nicht mehr. Ihr Niedergang begann mit dem Ende des Osmanischen Reiches 1922.

Manche fielen seitdem Bränden zum Opfer. Andere vermoderten am Wasser. In der Stadt wurden sie durch ländliche Zuwanderer, die verstärkt in die Stadt strömten, heruntergewohnt. Im Stadtteil Zeyrek sind anscheinend die meisten der Holzhäuser dem Verfall preisgegeben. Manche haben einfach den Halt verloren und sind zusammengesackt. Wer dennoch sein Haus retten wollte, hat oft Beton hochgezogen und nur zum Schein mit Holz verschalt. Vielleicht eine Handvoll originaler Yalis kann man noch am Bosporusufer sehen. Baukunststücke der ökologischen Art. Originale Holzhäuser aus der alten Zeit stehen inzwischen unter Denkmalschutz und erleben eine Art Renaissance. Die Stadt unterstützt ihre Restaurierung.

Wer Süveyda und Zerhan auf der asiatischen Seite Istanbuls besucht, bekommt einen wundervollen Einblick in eine reiche alte Zeit. Mit plüschigen Möbeln, kostbarem Porzellan und Gemälden üppig bestückte Salons und Wohnräume dürfen angeschaut und bestaunt werden, so wie das voll funktionsfähige Hamam- Bad und der hinreißende Garten am Wasser. Manchmal gibt es sogar Konzerte im kleinen Patio. Süveyda und Zerhan haben im Großelternhaus ihre Jugend verbracht, im Bosporus gebadet, gefischt und mit den Nachbarn abends den gefangenen Fisch verspeist.

„Die Zeiten sind längst vorbei“, sagen beide, im Duett seufzend. „Heute haben alle Motoryachten, schlafen im Urlaub oder an freien Tagen bis mittags und machen keinen Sport. Die Menschen fahren lieber in den Süden, nach Alanya. Die Tradition der Yalis als Sommerhäuser geht so leider verloren.“ Ihr Hekimbasi-Yali liegt unter einer der Bosporusbrücken und ist nur noch halb vorhanden. Durch Erbteilung ging die andere Hälfte verloren. Süveyda und Zerhan ließen in den 1970ern ihren Teil restaurieren und die Kastanienholzfassade erneuern. Jetzt machen sie wieder Sommerferien mit ihren Familien in Großvaters Yali und führen interessierte Gäste in Istanbuls farbige Geschichte.

Wie man die Yalis am Besten kennenlernt lesen Sie auf der nächsten Seite...

Am besten lernt man die Yalis am Bosporusufer während einer Schiffsfahrt kennen, oder man wohnt nicht weit vom Hekimbasi-Yali im Ajia-Hotel auf der asiatischen Seite. Das wurde, außen schneeweiß, im Stil der Yalis gebaut, und ist -innen puristisch und ganz modern. Dort kann man das Wasser riechen, die Schiffe vorbeifahren sehen und bekommt eine Ahnung von der exquisiten Wohnlage, in der die osmanischen Baumeister die Holzvillen bauten. Wer auf der europäischen Seite stadtauswärts fährt und den Emirgan-Garten besucht, kann dort mittendrin in einem wunderschönen hölzernen Kösk zu Mittag essen und anschließend durch die gepflegten Anlagen schlendern.

Unbedingt sollte man einen ausführlichen Spaziergang durch das alte Zeyrek machen, wenngleich der Niedergang der morbiden Bauwerke einem das Wasser in die Augen treibt. Dem Deutschen Archäologischen Institut in Istanbul ist es zu verdanken, dass es über diesen historischen Teil der Stadt eine ausführliche und spannende Dokumentation der dortigen Holzhäuser gibt. Draußen in Arnavutköy auf der europäischen Seite, wo sich Istanbul als eine Art Riviera entpuppt, stehen noch jede Menge Yalis und andere Holzhäuser.

Manche sind einzigartige Originale, von sanfter Hand renoviert. Andere verbergen ihren Betonpanzer hinter pfefferminzfarbener Holzverkleidung. Viele tragen ein starkes Gerüst, das ihren Einsturz verhindern soll. Wird einer renoviert, fragen die Handwerker oft ältere Menschen, die das Haus noch von früher kennen, nach seiner ursprünglichen Farbe.

In Tarabya, 15 Kilometer auf der europäischen Seite stadtauswärts und noch zu Istanbul gehörend, steht die frühere Sommerresidenz der ehemaligen deutschen Botschaft. Eine Ansammlung schneeweißer Holzvillen aus osmanischer Zeit. Sultan Abdulmaid II. hatte das Grundstück 1880 dem Deutschen Reich zum Geschenk gemacht. Die sieben Holzhäuser darauf entstanden von 1885 an unter deutscher Leitung. Die europäischen Baumeister vereinten osmanischen Yalistil mit europäischer Sichtweise. Deshalb sagen auch manche „Schweizerhäuser“ zu den Gebäuden.

Wer in den Garten des heutigen Generalkonsulats tritt, sieht sich umgeben von Blumenrabatten wie in deutschen Schlossgärten, in dem Sonnenhüte und Zinnien wachsen. Acht Gärtner pflegen das 16 Hektar große Gelände. Im einstigen Botschafterwohnhaus dominiert die Gründerzeit. Dort finden heute Empfänge statt. Im Botschaftsratshaus arbeitet die deutsch-türkische Industrie- und Handelskammer. Ferien möchte man hier machen, leben wie Sultan und Sultanine.

Das können bald Stipendiaten, denn im Oktober wurde in der Villa Tarabya nach Art der Villa Massimo in Rom eine Kulturakademie eröffnet. In den historischen Gebäuden sollen zunächst fünf, später sieben Künstler aus Deutschland, ausgestattet mit Stipendien für jeweils ein halbes Jahr, arbeiten. Die ersten Stipendiaten aus den Bereichen Bildende Kunst, Literatur, Architektur und Design, Musik, Theater und Film sollen im Frühjahr 2012 einziehen. 2,24 Millionen Euro werden für die Instandsetzung der angenagten Gebäude zur Verfügung gestellt.

Tarabya hat einen der prachtvollsten und größten Gärten auf deutschem Boden in Istanbul. Man spaziert durch den ansteigenden Forst, in dem Laub- und Nadelwald gedeiht, unter den sich Palmen und Bambus gemischt haben. Vorbei geht’s an der ökumenischen Kapelle, am ehemaligen Matrosenhaus der Seemänner der „Hohenzollern“ und am Teehaus, vor dem es sich eine Kleinfamilie zum Picknick bequem gemacht hat. Jeder, der sich anmeldet, kann Tarabya besuchen.

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