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Ein Student steht mit aufgeklapptem Laptop zwischen den Regalen einer Bibliothek.
© Nicolas Armer/picture alliance/dpa

Urheberrecht in der Wissenschaft: Studierende zurück in den Copyshop?

Hochschulen und Bibliotheken sind verunsichert: Wie viel Literatur dürfen sie elektronisch zugänglich machen? Ein Streit zu Lasten von Studierenden und Lehrenden.

Für Studierende sind digitale Semesterapparate eine praktische Sache. Während frühere Generationen ihre Lernmaterialien in Copyshops vervielfältigen mussten, können Studierende heute ihre Seminarunterlagen auf Onlineplattformen der Uni einsehen. Schluss mit der Zettelwirtschaft, Schluss mit verbummelten Papieren. Für viele Dozenten aber führen digitale Handapparate zu „Verdruss“ und „Unsicherheit“. So sagt es jedenfalls Jürgen Christof, der Direktor der Unibibliothek der TU Berlin.

Das liegt nicht daran, dass Dozenten mit neuen Techniken auf Kriegsfuß stehen. Vielmehr sind es die rechtlichen Rahmenbedingungen, die ihnen Kopfzerbrechen bereiten. Das fängt schon bei der Frage an, wie viele Seiten eines Werkes sie Studierenden als digitale Kopie zur Verfügung stellen dürfen, ohne sich vorher beim Verlag eine Genehmigung einholen zu müssen. „Kleine Teile“ sind erlaubt, heißt es im Urheberrecht – eine Formulierung, die für Interpretationen offen ist.

Jede Seite einzeln abrechnen? Unis sagen: Es reicht!

Als Ende vergangenen Jahres auch noch die Vergütung für die digitalen Semesterapparate geändert werden sollte, führte das zu einem Aufschrei unter den Hochschulen. Bisher überweisen die Länder an die dafür zuständige Verwertungsgesellschaft Wort eine Pauschale. Künftig sollten Dozenten jede digital verwendete Seite einzeln abrechnen. „Da haben sich viele Universitäten gesagt: Es reicht. Wenn das wirklich so kommt, müssen Studierende wieder zum Copyshop gehen“, sagt Christof. Geschlossen weigerten sich die Hochschulen, eine von den Kultusministern ausgehandelte Rahmenvereinbarung zu unterschreiben, die eben jene Einzelabrechnung vorsah.

Der Streit um die digitalen Semesterapparate ist ein prominentes Beispiel für den Kampf und die Unsicherheiten rund um das Urheberrecht in der Wissenschaft. Zwar ist es Hochschulen genauso wie Schulen, Bibliotheken und Archiven schon jetzt gestattet, urheberrechtlich geschützte Werke in der Lehre und in der Forschung einzusetzen und zu vervielfältigen, ohne sich das vom Verlag extra genehmigen lassen zu müssen. Das geht auf verfassungs- und völkerrechtliche Vereinbarungen zurück, die Wissenschaft und Bildung solche Privilegien einräumen.

Bisherige Normen sind unverständlich und rechtlich umstritten

Entsprechende Regelungen – im Fachjargon „Schranken“ genannt, weil sie das Recht des Urhebers einschränken – machen das im deutschen Urheberrecht möglich. Doch wie und in welchem Umfang diese Ausnahmen gelten sollen, ist zwischen Bildungseinrichtungen und Verlagen umstritten. Gerade erst hat das Justizministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die bislang geltenden Vorschriften vereinfachen soll. Während Hochschulen, Bibliotheken und Wissenschaftsorganisationen den Entwurf begrüßen, reagieren Verlage entsetzt.

Der Unmut in der Wissenschaft am zurzeit geltenden Recht ist groß. Er entzündet sich daran, dass die entsprechenden Vorschriften über viele verschiedene Stellen im Gesetzestext verteilt und auslegungsbedürftig sind. „Die Normen sind schwer auffindbar. Und wenn man sie doch findet, sind sie unverständlich und rechtlich umstritten“, sagt Katharina de la Durantaye, Juristin an der Humboldt-Uni, die sich intensiv mit dem Urheberrecht befasst. Juristische Laien – und das sind die meisten Dozenten und Studierenden nun einmal – könnten das Recht daher gar nicht anwenden. Und da es zuletzt vor zehn Jahren überarbeitet wurde, bilde es den digitalen Wandel nur unzureichend ab: „Die Möglichkeiten der Digitalisierung können nur unzureichend genutzt werden“, sagt Durantaye.

Eingeschränkte Nutzung - aus Sicht der Leser unzumutbar

Das treibt bisweilen bizarre Blüten. Ein Beispiel: Digitalisieren Bibliotheken urheberrechtsgeschützte Werke, dürfen diese allein an speziell dafür eingerichteten Leseplätzen eingesehen werden. Nur eingesehen, wohlgemerkt: Speichern und vervielfältigen ist verboten, selbst der parallele Zugriff von mehreren Lesern in der Bibliothek ist eingeschränkt. Unibibliotheken dürfen Forschern die entsprechenden Bücher auch nicht im Intranet der eigenen Hochschule zugänglich machen. Die TU verzichtet daher komplett darauf, solche Leseplätze einzurichten, sagt Bibliotheksdirektor Christof: „Aus Nutzersicht ist das doch unzumutbar.“

Problematisch ebenso, wenn ein Forscher einen Zeitschriftenartikel per Fernleihe bei einer Bibliothek bestellt. Per Post oder Fax darf der Artikel versendet werden. Elektronisch ist dagegen nur ein abfotografierter Text erlaubt. „Den kann man weder bearbeiten noch durchsuchen. Für die wissenschaftliche Arbeit ist das praktisch wertlos“, kritisiert der Informatiker Rainer Kuhlen, Sprecher des Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“. Auch ist rechtlich unscharf gefasst, ob Werke elektronisch nur während einer Vorlesung zur Verfügung gestellt werden dürfen, oder ob das auch für die Vor- und Nachbereitung von Lehrveranstaltungen gilt.

"Das geht schlicht zu Lasten der Studierenden"

Und so landen Streitfälle immer wieder vor Gericht – hauptsächlich weil die Verlage fürchten, urheberrechtlich geschützte Inhalte würden ohne Genehmigung zu intensiv genutzt. Nicht immer hatten sie Erfolg. Urteile haben geklärt, dass elektronische Kopien sehr wohl auch in der Vor- und Nachbereitung von Seminaren eingesetzt werden können. Die Nutzung von einem „kleinen Teil“ von Werken entspricht einem Anteil von maximal zwölf Prozent, wobei hundert Seiten nicht überschritten werden dürfen, lautete ein weiteres Urteil.

In der Praxis aber heißt das, dass die erlaubte Nutzung im regulären Unibetrieb „nur noch mit Hilfe von Kommentarliteratur erschlossen werden kann“, wie die Allianz der Wissenschaftsorganisationen kritisiert. Und welcher Dozent kann das im Alltag schon leisten? Viele würden lieber auf Nutzungen verzichten, weil sie die Konsequenzen nicht einschätzen können, sagt Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz: „Das geht schlicht zu Lasten der Studierenden.“

Das Aktionsbündnis um Kuhlen hat zur Lösung der Probleme eine allgemeine Wissenschaftsschranke vorgeschlagen. Die würde das öffentliche Zugänglichmachen und Vervielfältigen von urheberrechtlich geschützter Literatur in Forschung und Lehre prinzipiell erlauben, egal in welchem Umfang, solange kein kommerzieller Gedanke dahintersteckt.

Gesetzentwurf sieht einen Nutzungsanteil von bis zu 25 Prozent vor

Dem ist das Justizministerium in seinem Gesetzentwurf in dieser Radikalität nicht gefolgt. Gleichwohl finden sich dort erstmals alle wichtigen Bestimmungen unter einem Paragrafen wieder. Klar- gestellt wird unter anderem, dass wissenschaftliche Einrichtungen künftig in der Regel bis zu 25 Prozent eines veröffentlichten Werkes genehmigungsfrei nutzen, vervielfältigen und zugänglich machen dürfen – also mehr als bisher und unabhängig davon, ob es sich um analoge oder digitale Formate handelt. Die Fernleihe könnte vereinfacht werden. „Die Lösungen sind geeignet, Rechtsfrieden zu schaffen“, findet TU-Bibliotheksdirektor Christof. Auch Kuhlen spricht von „einem Schritt in die richtige Richtung“.

Vor allem würde die Fehde um die digitalen Semesterapparate beendet. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass eine pauschale Vergütung prinzipiell ausreicht – die Einzelabrechnung wäre damit endgültig vom Tisch. Das jedoch ist ein Punkt, der unter den Verlagen großen Widerstand auslöst. Ihnen ist auch der 25-Prozent-Anteil viel zu hoch. „Die Rechte von Autoren und Verlagen werden hemmungslos geschwächt“, heißt es auf der Seite „Publikationsfreiheit.de“, auf der mehr als 5000 Menschen gegen den Entwurf unterschrieben haben. Sollte dieser Gesetz werden, drohe „unsere freie, demokratische Gesellschaft Schaden zu nehmen“.

Das Verhältnis zwischen Verlagen und Unis ist ohnehin nicht das beste, man denke an den Streit um teure Zeitschriften-Abos oder um Open Access. Diese Themen sind von dem Gesetzentwurf nicht direkt berührt. Die großen Fragen, die hinter allen Konflikten stehen, sind gleichwohl dieselben:  Wie kann man auf Wissen zugreifen, welche Geschäftsmodelle haben Verlage künftig?

TU-Präsident kann sich vorstellen, die Pauschale zu erhöhen

Der teilweise aggressive Ton in der Urheberrechts-Kampagne dürfte kaum dazu beitragen die Stimmung aufzuhellen. Dass etwa von Verlagsseite insinuiert wird, Autoren und Verlage würden künftig praktisch leer ausgehen, obwohl eine Pauschalvergütung weiter vorgesehen ist, können unter Hochschulvertretern nur wenige nachvollziehen. „Natürlich sollen Autoren für ihre Arbeit Geld bekommen. Das stellt doch niemand ernsthaft infrage“, entgegnet TU-Präsident Christian Thomsen. Er kann sich sogar vorstellen, dass die Pauschale künftig erhöht wird. TU-Bibliotheksdirektor Christof hält es ohnehin für „trügerisch zu hoffen, dass durch die Einzelabrechnung der große Reichtum ausbricht“. Die Verlage würden da „bitter enttäuscht werden“.

So oder so: Bis der Gesetzesentwurf – in welcher Form auch immer – tatsächlich Gesetz wird, dürften noch einige Konflikte ausgetragen werden.

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