Bezahlstudium: Studiengebühren - doch nicht abschreckend?
Was gut ist, kostet Geld: Laut einer neuen Studie sollen Studiengebühren doch nicht abschreckend wirken. So würden zumal Kinder aus nicht-akademischen Elternhäusern denken.
Die Studiengebühren haben die Studierneigung in Deutschland nicht gemindert, auch nicht von Abiturienten aus nicht-akademischen Elternhäusern – zu diesem Schluss kommen Tina Baier und Marcel Helbig, Forscher am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), in ihrem aktuellen „WZB-Brief“. Baier und Helbig berufen sich auf sechs Erhebungen der „Studienberechtigtenbefragung“ des Hochschulinformationssystems (HIS) im Zeitraum von 1999 bis 2008. „In keiner unserer Analysen war ein signifikanter Rückgang in der Studierneigung durch Studiengebühren zu beobachten“, schreiben die Forscher in ihrem Aufsatz.
Baier und Helbig ist natürlich bewusst, dass sie sich auf ideologisch vermintem Gelände bewegen. Das Argument, Gebühren wirkten „abschreckend“, wird seit Jahren in der Gebühren-Debatte vorgebracht. Bislang konnten sich Gebührenbefürworter und -gegner jedoch nicht auf eine große Studie stützen, sondern eher auf Hinweise. Die WZB-Forscher erheben nun den Anspruch, die Lücke zu schließen. „War all die Aufregung umsonst?“ lautet die Überschrift der 27-seitigen Langfassung des kurzen „WZB“-Briefes.
Die Antwort der Forscher, „Ja, die Aufregung war umsonst!“, gießt Wasser auf die Mühlen der Befürworter von Gebühren. Erst recht, da die Forscher zur „Projektgruppe bei der Präsidentin“ des WZB, der Sozialdemokratin Jutta Allmendinger, gehören, und ihre Studie aus der Reihe der „WZB-Briefe“ zu fallen scheint: Die „WZB-Briefe“ zur Bildung stehen sonst kaum in Konflikt mit linken bildungspolitischen Überzeugungen. Umso mehr Gewicht scheint Baiers und Helbigs Studie zu haben und entsprechend zufrieden intonierte die konservative „FAZ“ den Aufsatz, den ihr das WZB zur Veröffentlichung vorab überlassen hatte, in ihrer Montagsausgabe.
Studiengebühren wurden in Deutschland im Jahr 2005 erstmals nach 30 Jahren eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht hatte ein Verbot von Gebühren gekippt, das die damalige rot-grüne Bundesregierung neu im Gesetz verankert hatte. Sieben der alten Bundesländer begannen vom Wintersemester 2006 an mit der Einführung. Die vom Bundesverfassungsgericht als sozial verträgliche Richtlinie genannte Summe von 500 Euro pro Semester wurde dabei berücksichtigt.
Baier und Helbig beobachten die Studierneigung auf Basis der HIS-Daten vor Erhebung der Studiengebühren und nach ihrer Einführung. Die Studierneigung eines Jahrgangs wird anhand der Zahl der Abiturienten gemessen, die ein halbes Jahr nach Erlangen des Abiturs schon immatrikuliert waren sowie an der Zahl derer, die noch nicht eingeschrieben waren, aber ein Studium fest planten. In denjenigen Ländern, die später Gebühren einführten, waren das vor Erhebung der Gebühren, zwischen 1999 und 2005, im Schnitt 66,2 Prozent. In den HIS-Studien nach Erhebung der Gebühren sank die Studierneigung in den betroffenen sieben Ländern keineswegs, sondern stieg sogar um 2,7 Prozentpunkte an. In den gebührenfreien Ländern stieg die Studierneigung hingegen nur um 0,8 Prozent an: von 65 Prozent (1999 bis 2005) auf 65,8 Prozent (2006 bis 2008).
Dass Studiengebühren demnach keineswegs abschreckend wirken, erklären die Forscher damit, Abiturienten würden sich von einem kostenpflichtigen Studium sogar noch höhere „Erträge“ für ihren Werdegang versprechen als von einem kostenlosen Studium. Kurz: Was etwas kostet, ist auch mehr wert. So würden zumal Kinder aus nicht-akademischen Elternhäusern denken.
Die Forscher grenzen sich deutlich von den Methoden einer HIS-Studie ab, die zu dem Schluss gekommen war, Gebühren wirkten sehr wohl abschreckend. Im Jahr 2008 hatten Christoph Heine und seine Kollegen vom HIS erklärt, innerhalb der Gruppe von Abiturienten, die sich entgegen dem bundesweiten Trend nicht für ein Studium entscheidet, spielten finanzielle Engpässe eine große, offenbar zunehmende Rolle. So hatten 73 Prozent als „starkes“ oder „sehr starkes“ Motiv gegen das Studium genannt, sie wollten nach dem Studienabschluss keine Schulden aus Krediten oder dem Bafög haben. Und 69 Prozent, darunter überproportional viele Frauen, hatten erklärt: „Studiengebühren überschreiten meine finanziellen Möglichkeiten“.
Das Vorgehen, Abiturienten ihren Studienverzicht mit Studiengebühren rechtfertigen zu lassen, sei methodisch aber problematisch, kritisieren die WZB-Forscher. Denn diese Gruppe sei von vornherein dem Studium „nur wenig zugeneigt“ gewesen. Es handle sich vor allem um Abiturienten „aus Elternhäusern ohne akademischen Hintergrund und Frauen“.
Während die gebührenkritischen Parteien und Gewerkschaften am Montag schwiegen, freute sich die Unionsfraktion im Bundestag: Ein qualitativ hochwertiges Studium sei nur mit Gebühren möglich. Zurzeit denken so allerdings nur noch die Regierungen in Bayern und Niedersachsen. Die übrigen Länder haben die Gebühren wieder abgeschafft.
Anja Kühne
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