Wissen: „Sprachenlernen endet nicht mit der Schulzeit“
EU-Koordinator Wolfgang Mackiewicz will, dass Studierende besser auf den internationalen Arbeitsmarkt vorbereitet werden
Herr Mackiewicz, wie gut sind die deutschen Hochschulen im europäischen Vergleich, wenn es darum geht, ihren Studierenden die notwendigen fremdsprachlichen Qualifikationen zu vermitteln?
Viele deutsche Hochschulen verfügen über eigene Sprachenzentren. Und in letzter Zeit sind einige Neugründungen von Sprachenzentren erfolgt, unter anderem in Freiburg und Hamburg. Eine zentrale Sprachausbildung ist allerdings nicht in allen europäischen Ländern Standard. Vorbild ist Finnland, das flächendeckend an allen Hochschulen Sprachenzentren hat. Die deutschen Zentren sind durchaus bestrebt, eine breite Palette an Sprachen anzubieten. Weniger sicher bin ich mir, ob sie immer in der Arbeitswelt benötige Fähigkeiten und Fertigkeiten vermitteln.
Ein Problem ist der Spracherwerb im Bachelorstudium: In drei Jahren kann man kaum eine Sprache ganz neu erlernen und gleichzeitig ein Fachstudium absolvieren.
In anderen Staaten Europas wird vor allem bei den sogenannten schweren Sprachen wie Arabisch oder Chinesisch auf Bachelorniveau das Schwergewicht auf den Spracherwerb gelegt. Die darauf aufbauenden Masterstudiengänge haben einen stärker wissenschaftlichen Charakter. In Deutschland ist man dagegen eher bemüht, auch im Bachelor die wissenschaftlichen Inhalte zu betonen. Hier ist noch einiges zu klären.
Welche Voraussetzungen bringen die Studienanfänger mit?
Erstaunlich viele Studienanfänger in den Fächern Englische Philologie und Nordamerikastudien bestehen an der Freien Universität den auf vergleichsweise hohem Niveau angesetzten Zulassungstest. Viele der Bewerber mit sehr guten Sprachkenntnissen haben allerdings während der Schulzeit oder im Anschluss an das Abitur ein Jahr im Ausland verbracht. Insgesamt hat sich die Kommunikationsfähigkeit in Englisch und Französisch verbessert, auch bei Nichtfachstudenten.
Wie gut muss ein deutscher Bachelorabsolvent Englisch können, um auf dem europäischen Arbeitsmarkt eine Chance zu haben?
Deutschen Absolventen werden europaweit gute bis sehr gute Englischkenntnisse bescheinigt. Das stimmt, wenn man sie mit Studierenden aus bestimmten anderen Staaten vergleicht – besonders in der mündlichen Ausdrucksfähigkeit. Aber wir kennen auch Aussagen aus der Wirtschaft, wonach Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge desolate Englischkenntnisse haben.
Die Anforderungen sind je nach Beruf unterschiedlich. Wie soll sich der Sprachunterricht darauf einstellen?
Unabhängig von der beruflichen Position müssen Hochschulabsolventen mit ihren Kenntnissen in kommunikativen Situationen bestehen. Sie müssen auf konkrete Sprachverwendung vorbereitet werden. In Englisch gehört dazu die Fähigkeit, Verhandlungen zu führen und mündliche Präsentationen zu machen oder auch schriftliche Berichte anzufertigen. Daneben müssen die Studierenden mit dem Gebrauch heute vorhandener technischer Hilfsmittel vertraut gemacht werden, um sich für bestimmte Situationen sprachliche Mittel selbst zu besorgen.
Wissen die Unis, was Arbeitgeber von den Bewerbern erwarten?
Das glaube ich nicht. Ich habe neulich von einer Universität gehört, die eine Veranstaltung „Englische Grammatik für Chemiker“ anbietet. Die Beherrschung der Grammatik und letzte sprachliche Korrektheit stehen aber nicht im Vordergrund. Wichtiger ist die Beachtung von Höflichkeitsregeln in der internationalen Kommunikation. Die Hochschulen müssen einen Dialog mit der Wirtschaft führen. Sie sollten die Praktikumsberichte der Studierenden auswerten und ihre Absolventen befragen: Welche Sprachen brauchen sie in welchen Situationen?
Wer eine Fremdsprache kann, findet sich noch längst nicht in der fremden Kultur zurecht. Gibt es neue methodische Ansätze, um beides zu vermitteln?
Ein Ansatz ist die Verständigung über Werte. Man muss die eigenen Wertvorstellungen entdecken, man muss erkennen, welche Wertvorstellungen verhandelbar sind und welche man am besten vergessen sollte. Dies gelingt am besten bei Auslandsstudienaufenthalten und Auslandspraktika, wobei es allerdings ohne eine entsprechende Vorbereitung nicht geht. Hier muss an den Hochschulen noch einiges getan werden.
In der Sprachenpolitik der EU geht es um „die neue vielsprachige Herausforderung“ und um die Förderung der „individuellen Mehrsprachigkeit“. Was tut sich da?
Die Europäische Union rechnet seit dem letzten Jahr die Mehrsprachigkeit zu den Schlüsselkompetenzen des lebenslangen Lernens – vor dem Hintergrund der Ziele der Lissabon-Agenda: wirtschaftliches Wachstum, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Beschäftigungssicherung in Zeiten der Wissensgesellschaft und der Globalisierung. Auch kleine und mittelständische Betriebe benötigen zunehmend die Kommunikationsfähigkeit in mehreren Sprachen. Unsere Studierenden scheinen das längst begriffen zu haben: An der FU sind Sprachen wie Arabisch, Portugiesisch, Niederländisch und Türkisch sehr gefragt – ganz zu schweigen von Spanisch, Französisch und Italienisch.
An immer mehr Schulen wird Chinesisch als die Sprache des 21. Jahrhunderts unterrichtet. Sind die Hochschulen auf die steigende Nachfrage eingestellt?
Zum einen geht es um die Ausbildung von Chinesisch-Lehrkräften für unsere Schulen – und da stehen wir noch am Anfang. Zum anderen geht es um Ausbildungsangebote für Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen. Dringend erforderlich ist es da, sich europaweit über Qualifikationsziele beim Erwerb von Sprachen wie Arabisch und Chinesisch zu verständigen. Es geht also nicht einfach nur um eine Ausweitung des Angebots in Chinesisch.
Europäische Politik ist nach den letzten EU-Erweiterungen mehr denn je auf Vermittlung durch Dolmetscher angewiesen. Steht qualifizierter Nachwuchs bereit?
Das Problem ist weniger die Heranbildung eines qualifizierten Nachwuchses, sondern die Wahrung der Qualität – trotz der gestiegenen Zahl der Amtssprachen und veränderter Arbeitsbedingungen. Es wird ja nicht mehr ausschließlich in die Muttersprache gedolmetscht; man arbeitet zum Teil mit Relaissprachen – Übersetzung aus der Sprache A ins Englische und von dort in die Sprache B. Auch kommen heute viele Freiberufler zum Einsatz.
Stichwort „lebenslanges Lernen“: Europaweit sollen ab der Primarschule bis in die Erwachsenenbildung zwei Fremdsprachen unterrichtet werden. Wie soll das gehen?
Das lebenslange Sprachenlernen ist eine große Herausforderung für die Bildungssysteme und für den Einzelnen. Es geht um die Kontinuität der Lernpfade, aber auch darum, dass das Ende der Schulzeit nicht das Ende des Sprachenlernens sein darf. Die Hochschulen haben bei der Sprachausbildung eine zentrale Aufgabe. Sie müssen ihren Studierenden die Möglichkeit bieten, in der Schule begonnene Sprachen weiter zu lernen und neue Sprachen hinzuzufügen, und sie müssen ihre Studenten für das Weiterlernen im Arbeitsleben fit machen. Das gelingt am besten, wenn die Sprachausbildung in das Studium integriert wird – mit Leistungspunkten und einem angemessenen zeitlichen Umfang. Die in der Bologna-Struktur übliche Modularisierung der Studiengänge bietet da günstige Voraussetzungen. Die Entscheidungsträger in den Hochschulen müssen allerdings die Zeichen der Zeit erkennen.
Das Gespräch führte Amory Burchard.
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