Künstlich erzeugte Samenzellen: Spermien aus der Retorte
Aus Hautzellen unfruchtbarer Männer züchten Forscher Vorläufer von Samenzellen. Ob das eine Methode für eine Kinderwunschbehandlung sein könnte, ist fraglich - in mehrfacher Hinsicht.
Es klingt so logisch wie trivial: Ein Mann, der erblich bedingt keine Spermien produziert, kann keine Kinder zeugen. Die Zwangsläufigkeit dieses Schicksals stellen Biologen jetzt infrage. Offenbar ist es Wissenschaftlern um Renée Reijo Pera von der kalifornischen Stanford und der Montana State University erstmals gelungen, aus den Stammzellen erblich bedingt unfruchtbarer Männer Vorläufer von Spermien zu gewinnen. Sie berichten davon im Fachmagazin „Cell Reports“. Die Technik habe großes Potenzial für die Behandlung von Patienten, die keine Spermien produzieren können, sei es aus erblichen Gründen oder nach einer aggressiven Chemotherapie gegen Krebs, sagt Pera. „Vielleicht wird es sogar möglich, aus Stammzellen gezüchtete Keimzellen direkt in die Hoden von Männern zu transplantieren, die Probleme mit der Spermienproduktion haben.“
Bisher gelang es nicht, Spermien in der Petrischale zu züchten
Peras Team stellte zunächst aus Hautzellen unfruchtbarer Männer Stammzellen her, die als induzierte pluripotente Stammzellen (ipS-Zellen) bezeichnet werden. Die Zellen haben das gleiche Erbgut wie der Patient, werden vom Immunsystem bei einer Transplantation also nicht abgestoßen. Theoretisch lassen sich damit alle Zelltypen des Menschen herstellen – also auch Spermien und Eizellen.
Bislang waren Versuche, die Spermienentwicklung in der Petrischale nachzuvollziehen, wenig erfolgreich. Pera injizierte die Stammzellen daher in Hodenkanälchen, die aus Mäusen stammten. In diesen Kanälchen läuft bei Mensch wie Maus die Reifung der Spermien unter hormoneller Kontrolle ab. Tatsächlich wuchsen die Stammzellen des unfruchtbaren Mannes im Maushoden an, und sie entwickelten sich immerhin zu intakten Spermien-Vorläuferzellen.
Werden Männer überflüssig?
Zwar sind die Kanälchen der Maushoden bislang nicht in der Lage, auch noch die letzten Reifungsschritte anzustoßen, damit sich aus den Vorläuferzellen schließlich befruchtungsfähige Spermien entwickeln. Mithilfe dieser Technik können die Forscher jedoch studieren, wie sie Stammzellen behandeln müssen, um die komplette menschliche Spermienproduktion in der Petrischale nachvollziehen zu können.
Zu dieser vollständigen Spermienproduktion sind unter anderem Stoffe nötig, die vom männlichen Y-Chromosom bereitgestellt werden. „Die Entwicklung von Spermien hängt ab von Genen, die auf dem Y-Chromosom liegen, und das besitzen nur Männer“, sagt George Daley, Stammzellforscher an der Harvard University. Doch es sei nicht auszuschließen, dass zukünftig Wege gefunden werden, den Einfluss des Y-Chromosoms zu umgehen oder zu ersetzen. Damit wäre eine Spermienentwicklung in der Petrischale auch ausgehend von Stammzellen von Frauen möglich.
Aus solchen Spermien würden ausschließlich weibliche Nachkommen entstehen, weil Stammzellen von Frauen kein Y-Chromosom enthalten, das entscheidend für die männliche Entwicklung ist. Doch wenn es eines Tages gelingt, sowohl Eizellen als auch Spermien aus weiblichen Stammzellen zu züchten, dann werden Männer zumindest für die Reagenzglas-Befruchtung überflüssig.
Ethisch umstrittener Weg
An dieser Stelle wird deutlich, wie weitreichend die Eingriffe des Menschen in die Biologie sein könnten. Sei es – wie im genannten Beispiel – das Züchten von Keimzellen in der Petrischale oder das Untermischen menschlicher und tierischer Stammzellen, das Entstehen von Mensch-Tier-Chimären für Forschung oder als Organspender – es ist ein ethisch umstrittener Weg, den die Stammzellforschung mit ihren Experimenten eröffnet. Das hat auch George Daley erkannt. Der ehemalige Präsident der Internationalen Stammzellforschungsgesellschaft ISSCR ist jetzt Vorsitzender einer „Taskforce“, die „Richtlinien für eine verantwortungsvolle Stammzellforschung und klinische Umsetzung entwickeln“ will.
Das betrifft auch die Frage, wofür die künstlich aus Stammzellen erzeugten Ei- oder Samenzellen verwendet werden. „Um die Mechanismen der Unfruchtbarkeit zu verstehen, neue Verhütungsmittel zu entwickeln oder die Reproduktionsmedizin zu verbessern, ist es nötig, die Keimzell-Biologie zu erforschen“, sagt Daley. „Ob solche Keimzellen aus der Stammzellforschung aber jemals sicher und effektiv genug sind, um damit eine künstliche Befruchtung zu wagen, wird sich zeigen müssen.“
Als in den 1970er Jahren die ersten Methoden der Gentechnik entstanden, trafen sich Forscher im kalifornischen Asilomar und entwarfen Regeln für den sicheren Umgang mit der neuen Technik. Für die Stammzellforschung steht eine vergleichbare Selbstreflexion und -verpflichtung noch immer aus – obwohl sie mit jeder weiteren Erfolgsmeldung dringender wird.
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