zum Hauptinhalt
313995_0_7ff7ca64.jpg
© - Foto: p-a/dpa

Interview: "Spekulationen als Sicherheit verkauft"

Hans von Storch, Leiter des Instituts für Küstenforschung in Geesthacht, plädiert für mehr Offenheit und weniger Alarmismus in der Klimaforschung.

Seit zwei Wochen gibt es unter Klimaskeptikern kein anderes Thema als „Climategate“. Hacker haben vertrauliche Mails und Daten des Klimaforschungszentrums CRU der Universität von East Anglia gestohlen und ins Internet gestellt. Die Mails zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Bild der Klimaforschung, die Andersdenkende an den Rand zu drängen versucht. Auch Sie waren jemand, über den in den Mails nicht eben freundlich geschrieben wurde. Ist damit die Glaubwürdigkeit der etablierten Klimaforschung erschüttert?



Die Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit, nicht innerhalb der Klimaforschung selbst. Natürlich gibt es in der Klimaforschung Diskussionen, auch wenn manche den Eindruck erwecken, als ob dem nicht so sei. Aber dass ein Problem da ist, belegen die Mails. Und dass ein erheblicher Schaden entstanden ist, kann man auch empirisch nachvollziehen. Nach einer Umfrage des amerikanischen Umfrageinstituts Rasmussen sagen 59 Prozent von 1000 Befragten, sie halten es für möglich, dass einige Klimaforscher tatsächlich gemogelt, also gefälscht haben, um die erwünschten Ergebnisse zu erzielen. Die Öffentlichkeit glaubt der Klimaforschung nur noch eingeschränkt. Diese Umfrage deutet darauf hin, dass massiv überverkauft worden ist.

Was heißt überverkauft?

Das spekulative Aussagen als Sicherheit dargestellt wurden. Zum Beispiel wurde in den Nachrichten vermeldet, dass Rajendra Pachauri, Chef des UN-Weltklimarats IPCC, gesagt habe, am Ausmaß des Klimawandels gebe es keinen Zweifel. Das ist horrender Unsinn, natürlich gibt es erhebliche Zweifel am Ausmaß. Woran es keinen Zweifel gibt, ist, dass wir es mit einem vom Menschen gemachten Klimawandel zu tun haben, der mit Kohlendioxid zusammenhängt. Ein ernstes Problem. Das heißt aber nicht, dass wir uns einig sind über das Ausmaß. Pachauris Aussage ist unverantwortlich.

Noch einmal zurück zu „Climategate“: Was für Lehren sollten gezogen werden?

Es muss möglich sein, dass veröffentlichte Ergebnisse von Dritten nachgeprüft werden können, und zwar auch von solchen, die feindlich gesinnt sind.

Ist der Zugang zu den Messdaten der Klimaforscher nicht gewährleistet?

Überhaupt nicht. Immer wieder wurden die Forscher der CRU gebeten, Einsicht in ihre Daten zu gewähren. Aus den gehackten Mails geht hervor, wie der direkte Wille des Gesetzgebers mit fadenscheinigen Gründen unterlaufen wurde. Das war schon peinlich.

Wie zuverlässig sind die Klimaprognosen, etwa, was den Temperaturanstieg geht?

Das sind keine Prognosen, sondern mögliche Zukünfte. Eine Prognose oder Vorhersage würde bedeuten: Ich gebe die wahrscheinlichste Zukunft an. Die können wir aber nicht angeben, weil wir nicht sagen können, wie viele Chinesen im Jahr 2035 mit was für Autos wie oft zum Supermarkt fahren – unter anderem davon hängt nämlich der Kohlendioxidausstoß am Ende ab. Wenn ich diesen nicht vorhersagen kann, kann ich den Klimawandel nicht prognostizieren. Ich kann aber sagen: Es spricht alles dafür, dass die Kohlendioxid-Konzentration nicht sinken, sondern zunehmen wird. Deshalb spricht alles dafür, dass die Temperaturen zunehmen werden. Und deshalb ist eine Spannbreite von zwei bis vier Grad Zunahme durchaus plausibel.

Wie sieht es mit dem Anstieg des Meeresspiegels aus?

Das ist ein bisschen schwieriger, weil wir nicht genau wissen, wie die großen Eisblöcke, nämlich die Antarktis und Grönland, sich verhalten werden. Da gibt es aufgeregte Meldungen, besonders aus dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die sich teilweise als methodisch problematisch erwiesen haben. Es wäre vernünftiger, die Wissenschaftler würden sich erst gründlich untereinander besprechen. Es ist nicht gut, ununterbrochen mit neuen Alarmmeldungen an die Öffentlichkeit zu gehen.

Sie plädieren dafür, Wissenschaft und Politik zu trennen – ist das überhaupt möglich?

Wahrscheinlich nur sehr eingeschränkt. Aber da gibt es ein Problem. Wir haben einige Personen, die eigentlich Politiker sind, aber sich als Wissenschaftler ausgeben, um die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern beanspruchen zu können. Das ist Etikettenschwindel.

Was sollte die Politik tun?

Sie sollte sich nicht hinter Sicherheiten aus der Wissenschaft verstecken, die es so ohnehin nicht gibt. Wir haben Restunsicherheiten, und wir müssen trotzdem handeln. Eine massive Emissionsminderung ist vernünftig, daneben sollte die Wirkung von Klimagefahren verringert werden. Ein dramatisches Beispiel war die Sturmflut im April 2008 in Myanmar, dem ehemaligen Burma, bei der 100 000 Menschen zu Tode kamen.

Sie wenden sich gegen Alarmismus, sind aber auch kein Klimaskeptiker. Wie würden Sie Ihre Position beschreiben?

Ich bin ganz sicher, dass ein von Menschen ausgehender Klimawandel passiert, und dass wir den ernst nehmen müssen. Das bedeutet nicht, dass wir aufgeregt alle möglichen Dinge hinzufantasieren, sondern dass wir weiterhin seriöse Wissenschaft machen. Natürlich müssen wir die Politik beraten, aber die Verantwortung liegt bei den Politikern.

Wie sollte entschieden werden?

Als Wissenschaftler kann ich dazu gar nichts sagen, nur als Hamburger Bürger: Als solcher möchte ich, dass weitgehende Maßnahmen gegen den Ausstoß von Treibhausgasen beschlossen werden. Aber die Vorgaben sollen realistisch sein, nicht irgendwelche Mondzahlen, die nicht erreicht werden können.

Was halten Sie von der Forderung, die Industrienationen sollten bis 2050 80 Prozent ihrer Emissionen verringern?

Das kann ich Ihnen wunderbar versprechen. Der Vorteil: Ich bin 2050 tot und kann nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Ich frage mich, welche langfristigen Wirkungen solche Versprechen haben. Am Ende stellt sich heraus, dass Aussagen aus der Politik ohnehin nicht belastbar und irgendwie beliebig sind.

Was gibt es noch für Maßnahmen?

Es geht darum, Gesellschaften und Ökosystemen gegenüber den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Wir sollten uns auch um die Gefahren kümmern , die heute drohen, siehe Myanmar. Also sollten wir jene 100 000 Menschen schützen, die heute zu Tode kommen und nicht nur die, die 2052 in Gefahr sind.

Warum ist die Temperaturgrenze von zwei Grad so entscheidend?

Das ist eine gesellschaftliche Verabredung, keine naturwissenschaftliche Vorgabe. Ich glaube, dass es jene Temperaturgrenze ist, von der man glaubt, man könnte sie gerade noch erreichen. Um sie dann zu erzwingen, wird sie als das Maximum dargestellt, das noch tolerabel ist.

Sollte die Grenze höher oder tiefer liegen?

Ich als Bürger verlange, dass das Ziel auch erreichbar ist. Aber ich habe Zweifel, dass das gelingt. Ich fürchte, wir werden über die zwei Grad hinausgehen.

Was halten Sie von der These, dass 2015 der Wendepunkt erreicht werden soll, von dem an weniger Emissionen in die Luft geblasen werden soll?

Das ist eine mathematische Spielerei; ich glaube, aus Potsdam.

Auf Potsdam sind Sie nicht gut zu sprechen.

Die Leitung des Potsdam-Instituts politisiert die Forschung in erheblichem Maß. Die Medien sind bereit, alles zu glauben, wenn es geschickt formuliert wird. Doch die Klimaforschung in Deutschland ist wesentlich reicher und umfasst mehr als nur das Institut in Potsdam. Nicht, dass Kollegen in Potsdam nicht hervorragende Arbeit machen würden – aber es gibt eine Menge mehr.

Werden wir den Wandel bewältigen?

Da wird uns nichts anderes übrig bleiben. Wir müssen uns aber über die ganze Breite der Maßnahmen klar werden und uns nicht nur auf die Reduktion der Emissionen beschränken. Das ist bitter nötig, Anpassung an die Gefahren aber auch.

HANS VON STORCH (60) ist Klimaforscher und Meteorologe an der Universität Hamburg und Leiter des Instituts für Küstenforschung am GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht.

Interview: Hartmut Wewetzer

Zur Startseite