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Der Mann „in Gelb“ hat wohl aus irgendwelchen Gründen zu viel Kraft. Denn müsste er mit seiner Energie haushalten, dann sollte er mindestens zwei, drei Reihen weiter hinten fahren. Dort wäre es sogar nicht ganz unfitten Freizeitsportlern möglich, sich bei einer Flachlandetappe mitziehen zu lassen.
© Action Images / Reuters

Radsport: Sogar Amateure könnten bei der Tour de France mithalten

Besser als Doping: Im Windschatten zu fahren spart Energie. Sogar Hobbyradler könnten so Etappen bei der Tour de France bewältigen, haben niederländische Forscher berechnet.

Die Fußballweltmeisterschaft ist vorbei. Auch die Diskussionen, was Daten, Packing-Kennzahlen, Laktatmessungen und sonstige Fußballwissenschaft zum Erfolg beitragen können, geht in die Sommerpause. Ein anders Sportereignis ist aber noch im vollen Gange, die Tour de France. Auch sie ist nicht wissenschaftsimmun. Und, so zeigt jetzt eine Studie: Im Gegensatz zum Profifußball, in dem Hobbykicker ganz sicher nicht mithalten können, wären fitte Freizeitradler durchaus in der Lage, eine Etappe zu bestehen.

Bei über 40 Kilometern pro Stunde wird auch dieses Jahr die Durchschnittsgeschwindigkeit liegen. Am Berg holen sie über längere Zeit Leistungen von 400 bis 500 Watt aus sich heraus, im Schlusssprint kurzzeitig noch mehr. Hier können Alltagsradler nicht mithalten. Auf einer Flachetappe allerdings wäre dies durchaus möglich. Voraussetzung dafür ist ein bisschen regelmäßiges Training, aber vor allem ein guter Platz: Wer sich ständig inmitten einer Gruppe von wenigstens einigen Dutzend Rennfahrern hält, wird – nicht nur sprichwörtlich, sondern auch physikalisch – sehr gut „mitgezogen“.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie eines Forscherteams um Bert Blocken von der Universität Eindhoven, veröffentlicht im aktuellen „Journal of Wind Engineering and Industrial Aerodynamics“.

Jeder Radrennfahrer weiß aus Erfahrung, dass der Luftwiderstand, gegen den er ankämpfen muss, viel größer wird, wenn er, oder sie, sich an die Spitze des Fahrerfelds setzt. Wenn die Fahrer im Peloton beschließen, einen Ausreißer wieder einzuholen, wenden sie eine einfache Taktik an: Die Athleten an der Spitze des Feldes erhöhen die Geschwindigkeit, kämpfen eine kurze Zeit lang schnell gegen den hohen Fahrtwind an und lassen sich dann wieder in das Feld zurückfallen. Dort erholen sie sich, während sich nun andere an der Spitze anstrengen.

Radrennen im Computer

Gegen diese Taktik hat kaum ein Ausreißer eine Chance. Bei langen Rennen wie der Tour de France oder dem Giro d’Italia fahren die Mannschaftskapitäne und sonstigen Klassement-Fahrer nur selten ganz vorne. Sie rollen meistens kräftesparend im Peloton mit, oft so sehr von anderen Fahrern verdeckt, dass nur die Hubschrauberkamera das gelbe Trikot überhaupt einfangen kann.

Dass das zentrale Feld die rollende Ruhezone für jene ist, die an diesem Tag einfach nur ankommen, oder aber Reserven aufsparen wollen für die entscheidenden Rennsituationen, ist längst bekannt. Bis jetzt wusste aber niemand, wie groß – oder klein – der Luftwiderstand für einen Fahrer im Peloton tatsächlich ist im Vergleich zu einem Fahrer an der Spitze. Genauso unbekannt war, welches die aerodynamisch günstigsten Positionen im Fahrerfeld sind. Untersuchungen an kleineren Fahrergruppen ließen schon lange vermuten, dass der Luftwiderstand in einem großen Peloton im Vergleich zu einem Einzelfahrer um 50 bis 70 Prozent geringer ist. Profis berichten jedoch, dass sie mitten in einem Peloton oft kaum noch zu treten brauchten. Das würde dann für einen tatsächlich noch deutlich geringeren Luftwiderstand sprechen.

Rudelradeln. Der Erste im Feld eines Radrennens spürt den Widerstand des Gegenwinds am stärksten (rot), während die Fahrer in den hinteren Reihen und in der Mitte teilweise nur noch gegen einen Bruchteil davon (fünf bis sieben Prozent) ankämpfen müssen.
Rudelradeln. Der Erste im Feld eines Radrennens spürt den Widerstand des Gegenwinds am stärksten (rot), während die Fahrer in den hinteren Reihen und in der Mitte teilweise nur noch gegen einen Bruchteil davon (fünf bis sieben Prozent) ankämpfen müssen.
© Bert Blocken

Die Studie von Bert Blocken und seinem Team bestätigt das nun. Mit der sogenannten „Computational Fluid Dynamics“-Methode berechnete ein Supercomputer, wie die Luft um ein 54 Kilometer pro Stunde schnelles Peloton aus 121 Fahrern herumströmt. Die Luftströmung wurde dabei in drei Milliarden Einzelzellen zerlegt – laut Blocken ein Weltrekord für sportwissenschaftliche Anwendungen. Der Computer benötigte eine Rechenzeit von 54 Stunden und einen Arbeitsspeicher von 49 Terabyte, um den Luftwiderstand für einen einzigen Fahrer gemäß seiner Position zu berechnen.

Miniatur-Rennfahrer im Windkanal

Die Ergebnisse waren teils so unerwartet, dass Blocken ihnen nicht traute. Um sie zu überprüfen, ließ er ein Modell eines Pelotons aus 121 Fahrern im Maßstab eins zu vier bauen und machte daran Messungen im Windkanal. Die Tests kamen nahezu zum gleichen Ergebnis wie die Simulationen im Computer: Der Luftwiderstand innerhalb des Pelotons kann tatsächlich überraschend gering werden, je nachdem wo ein Fahrer sich einreiht. Im hinteren Teil eines eng beieinander fahrenden Feldes beträgt er nur noch fünf bis sieben Prozent dessen, was einem einzelnen Radler außerhalb des Pelotons entgegenweht. „Es ist, als ob ein Fahrer in den hinteren Reihen eines Pelotons, das mit einer Geschwindigkeit von 54 Kilometern pro Stunde dahinrast, nur mit zwölf bis 15 Kilometern radeln würde“, sagt Blocken. Wenn sich das Feld in einer Kurve oder bei einem Anstieg auseinanderzieht, ist es jedoch vorbei mit der aerodynamischen Bequemlichkeit. Ein Hobbyfahrer müsste dann wohl „abreißen lassen“.

Wenn man auch Aspekte jenseits der Physik einbezieht, sind die besten Positionen in einem Feld in der Mitte vorne etwa ab Fahrerreihe 5. Dort ist die Sturzgefahr am kleinsten, man hat die Spitze im Blick, kann auf Ausreißversuche reagieren und ist immer vorne dabei, falls das Peloton bei Tempoverschärfungen in Einzelgruppen zerfällt. Die Luftwiderstände sind schon ab Reihe 5 fast optimal. Radrennfahrer wussten all das offenbar auch ohne Supercomputer längst. Jedenfalls sind die mittleren Positionen in den Reihen 5 bis 10 fast immer die „Chefreihen“ der Tour de France und anderer großer Rundfahrten. In einem Peloton mit einer Geschwindigkeit von 54 Kilometern pro Stunde bummelt ein Fahrer in der Mitte der fünften Reihe mit dem Aufwand, den er sonst bei 20 km/h hätte. In Reihe 10 in der Mitte läge der Vergleichswert sogar bei nur 14 Kilometern pro Stunde – und das alles ganz ohne unerlaubte Mittel.

Wirklich gemütlich allerdings wäre solch eine Fahrt nicht. Das weiß jeder, der schon einmal mit 50km/h oder mehr auf dem Fahrrad unterwegs war. Wie es ist, mit dieser Geschwindigkeit in einem engen Pulk aus Knochen, Muskeln und zweirädriger Hitech unterwegs zu sein, wissen nur radelnde Leistungssportler. Wie es ist, wenn es da zu einem Crash kommt, wissen die meisten von ihnen auch.

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