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Schneller ins Studium. Mehr Abiturienten als früher gehen direkt nach dem Schulabschluss an eine Hochschule.
© dpa

Sozialerhebung des Studentenwerks: So leben Studierende in Deutschland

Gefordert, aber nicht überfordert: So leben Studierende in Deutschland. Der Zeitaufwand fürs Lernen sinkt, Auslandsaufenthalte können sich nicht alle leisten. Akademikerkinder dominieren noch immer die Unis.

Für Mara Musterstudentin gleicht das Studium einem Vollzeitjob. 35 Stunden wendet sie dafür in der Woche auf. 18 Stunden davon verbringt sie in Vorlesungen und Seminaren, 17 Stunden lernt sie in Eigenregie. Wie es an der Uni zugeht, weiß sie von den Eltern: Denn sie kommt aus einer Akademikerfamilie. Ihre Eltern finanzieren auch zum größten Teil ihren Lebensunterhalt, 864 Euro kann Mara im Monat ausgeben. Insgesamt fühlt sie sich gefordert von ihrem Studium  – aber nicht überfordert.

Mara repräsentiert den Durchschnitt der deutschen Studierendenschaft: Dieses Bild zeichnet die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde (hier die ganze Studie). Die Studie ist die umfangreichste zur sozialen Lage der Studierenden in Deutschland. Mehr als 15 000 Studierende an über 200 Hochschulen wurden dafür befragt. Die Sozialerhebung erfasst alle drei Jahre, wie Studierende leben.

Zwar gebe es im Vergleich zur letzten Studie viele positive Entwicklungen, sagte Dieter Timmermann, Präsident des Deutschen Studentenwerks. So scheinen die Reformen beim Bachelor und Master zu wirken. „Die Belastung im Studium wird weniger stark empfunden als früher“, sagte Timmermann.

„Erschreckend“ nannte er dagegen die soziale Selektivität des deutschen Hochschulsystems, die trotz steigender Studentenzahlen tendenziell sogar eher zugenommen hat: „Bildungsbiografien sind nach wie vor stark abhängig von der Herkunft der Studierenden.“ Er forderte, neben den Leitthemen Exzellenz und Hochschulautonomie müsse die Politik endlich die Frage der sozialen Gerechtigkeit ganz oben auf die Agenda der Hochschulpolitik setzen. Thomas Rachel, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, bezeichnete es als „Herausforderung“, Chancengerechtigkeit herzustellen. Da inzwischen aber mehr als die Hälfte eines Jahrgangs ein Studium aufnehme, könne nicht davon die Rede sein, dass nur „eine privilegierte Elite“ studiere. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick.

Soziale Herkunft

Akademikerkinder dominieren weiter die Hochschulen. Von hundert Kindern aus Akademikerfamilien studieren 77 – während das von hundert Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien nur 23 gelingt. Die Schere ist im Vergleich zu 2009 etwas auseinandergegangen. So ist der Anteil der Studierenden, deren Eltern maximal einen Hauptschulabschluss haben, im Vergleich zu 2009 um zwei Prozentpunkte auf jetzt neun Prozent gesunken. 41 Prozent der Studierenden haben Eltern mit einer mittleren Bildungsherkunft, 50 Prozent kommen aus Elternhäusern mit einem hohen Bildungsabschluss. Die Studie erklärt die Entwicklung auch mit „gesamtgesellschaftlichen Prozessen“: Das Bildungsniveau der Bevölkerung steige insgesamt.

23 Prozent der Studierenden haben einen Migrationshintergrund, ein Plus von zwölf Prozent. Das erklärt sich vor allem dadurch, dass zum ersten Mal Studierende aus Spätaussiedlerfamilien in die Kategorie einbezogen sind. Studierende mit Migrationshintergrund haben viermal so häufig Eltern mit einer niedrigen Bildungsherkunft wie Nicht-Migranten.

Finanzen

Mit durchschnittlich 864 Euro im Monat verfügen Studierende über 52 Euro mehr als vor drei Jahren. 87 Prozent der Studierenden bekommen Geld von ihren Eltern, im Schnitt 476 Euro im Monat. 61 Prozent jobben neben den Vorlesungen, etwas weniger als vor drei Jahren. Der Job bringt zusätzlich 323 Euro ein. Mehr als drei Viertel der Befragten arbeiten, um sich „etwas mehr leisten zu können“, bei 57 Prozent ist es für den Lebensunterhalt „unbedingt notwendig“. Bafög erhalten 24 Prozent der Studierenden (im Schnitt 443 Euro). Vor allem für Studierende aus einem bildungsfernen Elternhaus ist das Bafög die wichtigste Einnahmequelle. Sechs Prozent nehmen einen Kredit auf, vier Prozent erhalten Stipendien. Stipendien bekommen dabei tendenziell diejenigen, die ohnehin aus wohlhabenderen Familien kommen. Die Opposition im Bundestag forderte die Bundesregierung auf, schnell für eine Bafög-Erhöhung zu sorgen. Nur so könne die soziale Öffnung der Hochschulen gelingen.

Berlin gehört zu den zehn teuersten Unistandorten

Studium

Die Bologna-Reform stresst die Studierenden: Diese Klage ist immer wieder zu hören. Bestätigt wird sie jetzt kaum. Der Zeitaufwand fürs Studium ist im Vergleich zu 2009 um eine Stunde gesunken. 44 Prozent der Befragten fühlen sich optimal gefordert (plus sechs Prozent). Immerhin 48 Prozent sagen, der Zeitaufwand sei hoch oder zu hoch (minus acht Prozent). Für den Nebenjob gehen 13 Stunden drauf, wobei die arbeitenden Studierenden sechs Stunden weniger in die Uni investieren als die nicht arbeitenden Kommilitonen. Für Job und Uni zusammen werden im Schnitt 46 Stunden gebraucht.

Die beliebteste Fächergruppe sind zum ersten Mal seit 1994 die Ingenieurwissenschaften, die 22 Prozent der Erstsemester wählen (plus vier Prozent). Staatssekretär Rachel führte das auf die guten Arbeitsmarktaussichten für diese Fächer zurück. Es folgen Rechts- und Wirtschaftswissenschaften (21 Prozent, minus ein Prozent), und jeweils unverändert Mathematik- und Naturwissenschaften (20 Prozent) sowie Sprach- und Kulturwissenschaften (19 Prozent). Abiturienten nehmen schneller als früher ein Studium auf, 35 Prozent innerhalb von drei Monaten nach dem Schulabschluss.

Wohnen

Am meisten geben Studierende für ihre Miete aus, bis zu einem Drittel ihres Budgets. Am höchsten sind die Mieten in den großen Städten, auch Berlin kommt inzwischen unter die Top Ten der teuersten Städte. 37 Prozent der Befragten wohnen in ihrer eigenen Wohnung, allein oder mit Partner. 29 Prozent leben in WGs, jeder Vierte bei den Eltern, jeder Zehnte in einem Wohnheim. Um die Wohnungssituation erträglicher zu machen, forderte Studentenwerks-Präsident Timmermann Bund und Länder erneut auf, im Rahmen des Hochschulpaktes auch die soziale Infrastruktur zu fördern.

Auslandsaufenthalte

Etwa dreißig Prozent der Studierenden gehen ins Ausland, die Quote ist unverändert. Dabei wählen immer weniger ein Praktikum, mehr dagegen tatsächlich den Aufenthalt an einer Uni. Das größte Hindernis für einen Auslandsaufenthalt ist fehlendes Geld. Lieblingsziele bleiben Großbritannien, die USA, Spanien und Frankreich.

Tilmann Warnecke

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