Moderne Piraterie: Sie inszenieren sich als Robin Hood der Meere
Historiker, Juristen und Politologen diskutieren, wie die moderne Piraterie bekämpft werden kann. Entwicklungshilfe sei nachhaltiger als wechselseitige Aufrüstung.
Von Klaus Störtebecker über Long John Silver zu Captain Jack Sparrow – die abendländische Kulturgeschichte zeichnet den Piraten meist als ambivalente und schillernde Figur. Raubeinige Räuberei und anarchistisches Abenteuer, Gier nach Reichtümern und faire Verteilung der Beute sind die leicht widersprüchlichen Assoziationen, die im Mythos des Piraten zusammenlaufen.
Das Gewerbe der Freibeuterei ist seit dem 14. Jahrhundert v. Chr. belegt und hatte im 17. und 18. Jahrhundert sein „goldenes Zeitalter“. Seit jeher ranken sich um die „Schrecken der Meere“ zahllose Legenden. Wie aber sieht die Wirklichkeit aus, zumal mit Blick auf die Gegenwart, in der Piraterie wieder stark zugenommen hat?
Somalias Piraten rechtfertigen sich mit angeblichem Kampf gegen Konzerne
Noch heute bedienten sich die somalischen Piraten der Klischees und Narrative des Freibeutermythos, erklärt Patricia Schneider vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Im Rahmen einer von der „Union der deutschen Akademien der Wissenschaften“ ausgerichteten Tagung über die Geschichte der Seefahrt diskutierte die Expertin für maritime Sicherheit und Migration gemeinsam mit Politikwissenschaftlern, Historikern und Völkerrechtlern diverse Fragen der Piraten-Forschung.
Das gängige Argumentationsmuster der Somali sei das „Robin-Hood-Narrativ“, sagt Schneider. So rechtfertigten die somalischen Piraten ihre Kaperfahrten gegen Handelsschiffe mit Verweis auf illegale Fischerei, die europäische und asiatische Fischtrawler rund ums Horn von Afrika betreiben. Dass sich westliche und östliche Konzerne die zerfallenen staatlichen Strukturen Somalias zunutze machen, um unbehelligt afrikanische Gewässer zu befischen, spielt den Piraten sozusagen in die Hände. Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf die mutmaßliche Giftmüllverklappung vor der somalischen Küste, die europäischen und asiatischen Firmen immer wieder vorgeworfen wurde. So könnten sich die Piraten als Protektoren der ausgebeuteten Fischer und Hüter der Küste inszenieren, sagt Schneider.
Gewinne fließen eher in den Drogenhandel
Das Robin-Hood-Narrativ entspreche jedoch kaum der Realität. Tatsächlich würden von den Piraten weniger die Fischtrawler vor der heimischen Küste als vielmehr Handelsschiffe in internationalen Gewässern attackiert. Zudem komme der erbeutete Gewinn nur selten den lokalen Fischern zugute, sondern fließe oft in Drogenhandel, Prostitution und andere Felder des organisierten Verbrechens.
Die zeitgenössischen Hot Spots der Piraten sind neben Somalia vor allem Nigeria, die Gewässer rund um Indonesien und Teile Mittelamerikas. Die Freibeuter verschiedener Regionen zeichnen sich dabei durch unterschiedliche Vorgehensweisen aus. Die südostasiatische Piraterie betätigte sich in den letzten Jahren meist im Feld der klassischen Seeräuberei, das heißt man raubte die aufgebrachten Schiffe aus und ließ sie anschließend weiterfahren. Die Somali hingegen haben vor allem seit 2008 oft ganze Schiffe an die Küste verbracht und Lösegeld für Boote und Besatzungen verlangt.
Hohe Lösegelder für Geiseln zu fordern, hat Tradition
Die Praxis der Entführung hat unter Piraten eine lange Tradition. Der Münchner Althistoriker Martin Zimmermann erklärt, in der Antike hätten die Römer ihren Sklavenbedarf auch über die Angebote kleinasiatischer Piraten gedeckt. Und Michael North, Professor für Allgemeine Geschichte der Neuzeit an der Universität Greifswald, ergänzt, die Korsaren der Barbareskenstaaten Algier, Tunis und Tripolis hätten vom 15. bis zum 19. Jahrhundert zahlreiche Europäer entführt und diese dann oft gegen ein hohes Lösegeld wieder freigelassen. In einigen europäischen Ländern gab es sogar eine Sklavenkasse, die den Freikauf der massenhaft Verschleppten finanzierte.
„Auf dem Mittelmeer entwickelt sich im 15. und 16. Jahrhundert eine regelrechte Lösegeldwirtschaft“, sagt Michael North. „Menschenhandel spielte in der Geschichte der Piraterie immer eine Rolle.“ Doch auch die christlichen Länder setzten Freibeuter auf muslimische Schiffe an und entführten deren Besatzung, so North. Überhaupt wurden Piraten seit dem 18. Jahrhundert vermehrt von Staaten für Kaperfahrten in Dienst genommen und segelten gleichsam durch rechtliche Grauzonen.
Ein bewaffnetes Handelsschiff gilt nicht mehr als Handelsschiff
Heute ist die Piraterie international geächtet und führt aufgrund von ökonomischen Interessen zur Kooperation von Staaten, die ansonsten nur wenig verbindet. Der Kampf gegen die somalische Piraterie hat beispielsweise die Zusammenarbeit von Europäern, Amerikanern, Russen, Chinesen und Arabern bewirkt. Seit 2008 ist die Zahl der Piratenangriffe stark gestiegen.
Inzwischen habe man das Piratenproblem wieder stärker im Griff – nicht zuletzt indem man Schiffe mit Schallgeschützen, Stacheldraht und Wasserschläuchen ausrüste, erläutert der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger. Die Bewaffnung bringe aber auch Probleme mit sich: So gelte ein bewaffnetes Handelsschiff völkerrechtlich nicht mehr als Handelsschiff. Gleichzeitig bestehe die Gefahr einer Bewaffnungsspirale. Die Aufrüstung der von den Piraten bedrohten Schiffe führe dazu, dass diese ihrerseits zu schwererem Gerät griffen.
"Piraterie bekämpft man mit Entwicklungshilfe"
Insgesamt ist sich die Forschung einig, dass sich Piraterie mit militärischen und juristischen Instrumenten nur unzureichend bekämpfen lässt. So müsse man vor allem an die strukturellen Ursachen ran, die die Piraterie auf den Plan riefen. Der Hamburger Seerechtler Marian Paschke erklärt, es seien vornehmlich Armutsstrukturen, die die Seeräuberei bedingten, eine Eindämmung könne nur auf politischer Ebene und nicht mit den Mitteln des Strafrechts geschehen.
Die somalische Piraterie hat sich nicht zuletzt aus den Trümmern eines gescheiterten Staates erhoben. Der Staatenaufbau ist im Kampf gegen Piraten insofern ein probateres Mittel als die Seeschlacht. Marian Paschke resümiert: „Piraterie bekämpft man mit Entwicklungshilfe. Da ist das Geld besser angelegt, als wenn wir Lösegeld an die Entführer zahlen.“