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Gut versorgt. Schwangere Migrantinnen nutzen Vorsorgemöglichkeiten.
© picture alliance / dpa

Vorsorge: Schwanger fern der Heimat

Berliner Studie: Migrantinnen nehmen Angebote der Geburtsmedizin wahr. Müttern und Kindern geht es nach der Entbindung genauso gut wie deutschstämmigen Frauen.

Die Schwangeren leben hier, trotzdem wird ihr Kind nicht in ihrem Herkunftsland geboren, und nicht an einem Ort, an dem ihre Muttersprache gesprochen wird. 57,9 Prozent der Teilnehmerinnen der Berliner Perinatalstudie, deren erste Ergebnisse bei einem Symposium in der Charité vorgestellt wurden, sind Frauen, die nicht in Deutschland geboren wurden, deren Eltern eingewandert oder die nicht mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind.

„Zum ersten Mal sind hier Migrantinnen in einer wissenschaftlichen Studie angemessen repräsentiert“, sagt die Mitautorin Theda Borde, Rektorin der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Das erfreuliche Ergebnis der Untersuchung, an der auch der Gynäkologe Matthias David vom Virchow-Klinikum der Charité und der Gesundheitswissenschaftler Oliver Razum von der Uni Bielefeld beteiligt waren: Die klassischen Schwangerschaftsvorsorge-Untersuchungen bei Ärztin oder Arzt werden von ihnen genauso häufig wahrgenommen wie von deutschstämmigen Schwangeren.

7100 Frauen, deren Kinder 2012 in der Geburtsklinik des Campus Virchow der Charité, in den Vivantes-Kliniken am Urban und Neukölln geboren wurden, konnten für die Studie von Interviewerinnen in neun Sprachen befragt werden: Zum ersten Mal ausführlich bei der Aufnahme in den Kreißsaal, zum zweiten Mal ganz kurz am 2. oder 3. Tag nach der Geburt ihres Babys in der Klinik und zuletzt ein halbes Jahr später am Telefon.

Nachdem Studien aus den 80er Jahren belegt hatten, dass sowohl die Sterblichkeit der Neugeborenen als auch die ihrer Mütter höher lag als die deutschstämmiger Frauen, konnte Gesundheitswissenschaftler Oliver Razum auch hier ein positives Bild zeichnen: Kinder von Migrantinnen kommen nicht häufiger zu früh auf die Welt, sind bei der Geburt nicht häufiger zu leicht oder zu schwer, haben nicht mehr Fehlbildungen und keine schlechteren Ergebnisse bei den medizinischen Untersuchungen direkt nach der Geburt.

Migrantinnen hatten in der aktuellen Studie deutlich weniger Kaiserschnitte und auch weniger Anästhesien während einer natürlichen Geburt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Migrantinnen, die ihr erstes Kind bekamen, im Schnitt zwei bis drei Jahre jünger waren, und dass das im Untersuchungszeitraum geborene Baby seltener ihr erstes war als bei deutschstämmigen Müttern.

Offensichtlich nehmen alle Frauen die Arztbesuche während der Schwangerschaft gleich wichtig. Elf Vorsorgeuntersuchungen waren in der Untersuchung der Schnitt, ganz unabhängig von Herkunftsland, Migrationsstatus und dem Ausmaß, in dem die Schwangeren und ihre Familien sich in Deutschland eingelebt hatten.

Frauen, die in Deutschland noch wenig heimisch sind, gehen allerdings besonders selten zu Geburtsvorbereitungskursen und zur Schwangerschaftsgymnastik, nehmen die ihnen zustehende Betreuung durch eine Hebamme seltener wahr und gehen nur selten vor der Entbindung in die Krankenhäuser, um sich dort zu informieren. Die Sozialwissenschaftlerin Borde leitet daraus die Forderung ab, auf geburtsvorbereitende Angebote gezielter und kultursensibler aufmerksam zu machen.

Borde plädiert dafür, Migration nicht primär als Belastungsfaktor zu betrachten. „Wir sollten auch nach den Ressourcen schauen, die es trotz großer sozialer Differenzen gibt.“ Anpassung an das Einwanderungsland beinhaltet zumindest in einem kritischen Punkt Nachteile für die Gesundheit von Mutter und Kind: Aus der zweiten und dritten Generation der Migrantinnen rauchten deutlich mehr Frauen während der Schwangerschaft als aus der ersten Generation.

Entscheidend ist in diesem Punkt allerdings die Bildung, und das bei allen Schwangeren. Von den Studienteilnehmerinnen ohne Schulabschluss griffen im Vergleich mit den Abiturientinnen fast siebenmal so viele auch in der Zeit, in der sie ein Baby erwarteten, zur Zigarette.

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