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Regina Jonas, erste in Deutschland praktizierende Rabbinerin.
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Die Geschichte der Rabbinerinnen: „Schon die Idee einer Frau im Amt!“

Es hat lange gedauert, bis Frauen Rabbinerinnen werden konnten. Und auch wenn inzwischen die Hälfte der Studierenden an Rabbinerschulen weiblich ist, gibt es auch hier noch immer eine gläserne Decke.

„Die meisten dachten, ich studiere, um einen Rabbiner zu heiraten, und nicht, um Rabbinerin zu werden“, sagt Sally Priesand, die erste US-Amerikanerin, die als Rabbinerin ordiniert wurde. Gemeinsam mit drei weiteren ihrer Kolleginnen aus den USA diskutierte Priesand jetzt im Berliner Centrum Judaicum über „Herausforderungen für Rabbinerinnen in der Gegenwart“. Eingeladen hatten das Abraham-Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam, die Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschlands und die Jüdische Gemeinde zu Berlin.

Die Zusammenkunft der vier Rabbinerinnen in Berlin ist etwas Besonderes. Erst recht, weil jede von ihnen in ihrer jeweiligen Glaubensrichtung die erste war: Sandy Sasso wurde 1974 am Rabbiner-College der Rekonstruktionisten ordiniert, Amy Eilberg 1985 am konservativen Jewish Theological Seminary und Sara Hurwitz im Jahr 2009 vom orthodoxen Rabbiner Avi Weiss.

Sally Priesand, die das reformierte Judentum vertritt, wurde 1972 am Hebrew College ordiniert. Lange Zeit galt sie sogar als die erste Rabbinerin weltweit. Bis nach der Wende die Archive Ost-Berlins geöffnet wurden und neue Dokumente ans Licht kamen: „Fräulein Rabbiner Regina Jonas“, wie man sie auch nannte, wurde schon 1935 ordiniert. 1902 in Berlin geboren, wurde sie 1942 von den Nazis nach Theresienstadt deportiert und starb 1944 in Auschwitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet sie in Vergessenheit.

Zwischen der Ordination von Regina Jonas und der von Sally Priesand waren 37 Jahre vergangen. Für Frauen war die Lage aber weiter schwierig, sagt Priesand. Viele Mitstudenten hätten ihr offen gesagt, sie hielten es für eine schlechte Idee, wenn eine Frau das Amt des Rabbiners bekleiden würde. „Ich sagte dann: ‚Danke für deine Meinung, und drehte mich um“, erinnert sich Priesand.

Auch Sandy Sasso stieß während ihres Studiums auf Widerstand. 1970, während ihres ersten Jahres an der Rabbinerschule, schrieb ihr eine Frau: „Schon die Idee einer Frau als Rabbinerin bewirkt, dass mir übel wird.“ Bei ihrer ersten Bewerbung wurde sie sofort gefragt, wie sie arbeiten wolle, wenn sie schwanger werden würde. Aber sie fand auch Unterstützung, zum Beispiel in ihrer ersten Gemeinde in Manhattan: „Die Leute hätten meine Großeltern sein können. Ich war in meinen Zwanzigern, und überall stellten sie mich als ihre Rabbinerin vor. Das war großartig“, sagte sie.

In Deutschland, wo es nach 1942 keine Rabbinerschule mehr gab, hat es länger gedauert, bevor Frauen Rabbinerinnen werden konnten. 1999 wurde das Abraham Geiger Kolleg in Potsdam gegründet, 2010 wurde dort Alina Treiger als erste Frau ordiniert. „Ich habe früher nie daran gedacht, Rabbinerin zu werden, in der Sowjetunion gab es das nicht“, sagte sie. Treiger wuchs im heutigen Osten der Ukraine auf. Als die Sowjetunion zerfiel, blühte das jüdische Leben dort auf. Ursprünglich wollte Treiger nach ihrem Studium in Potsdam in ihre Heimat zurückkehren. Jetzt aber erkenne sie, dass „es einen Bedarf an russischsprachigen Rabbinerinnen in Deutschland gibt“ und will weiter in ihren Gemeinden in Oldenburg und Delmenhorst arbeiten.

Die Ordination der Rabbinerinnen war folgenreich. Jacqueline Tabick, 1975 die erste in England ordinierte Rabbinerin, berichtete, wie Frauen in ihrer Synagoge in West-London früher getrennt von den Männern auf der Galerie sitzen mussten. „Sobald ich da war und den Gottesdienst leitete, war das nicht mehr möglich.“ Die orthodoxe Rabbinerin Sara Hurwitz sagte per Skype, Frauen könnten mit Rabbinerinnen andere Fragen besprechen als mit ihren männlichen Kollegen. Da sie sich in Israel befand und alle Flüge von dort wegen des Gazakrieges gestrichen wurden, konnte sie nicht anwesend sein.

Hurwitz schloss mit ihrer Aussage an Regina Jonas an. Die hatte in ihrer Abschlussarbeit zum Thema „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden“ geschrieben: „So wie die Ärztin und Lehrerin heute vom psychologischen Standpunkt mit der Zeit eine Notwendigkeit geworden ist, so auch die Rabbinerin. Gar manche Dinge, die der Mann auf der Kanzel und sonst bei der Jugend nicht sagen kann, kann sie.“ Jonas’ Versuch, die Zulassung der Frauen zum Rabbineramt aus der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, zu begründen, gilt bis heute als der umfassendste.

Inzwischen sind bereits die Hälfte der Studierenden an Rabbinerschulen weiblich, sagt Sasso. Aber nach wie vor gebe es eine „gläserne Decke“ für Frauen. So arbeiteten nur wenige Rabbinerinnen in großen Gemeinden. Tabick bestätigte das: „Wenn Gemeinden einen neuen Rabbiner suchen, wollen sie am liebsten einen jungen Mann mit einer schwangeren Frau.“

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