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Eine (Kinder-)Krankheit mit Folgen: Auch wer die Windpocken überstanden hat, trägt das Herpesvirus ein Leben lang in sich.
© Getty Images/iStockphoto

Wie Herpesviren vorgehen: Schläfer im Zellkern

Virologen der Freien Universität sind den Tricks der Herpesviren auf der Spur.

Haben Sie Herpes? Aber ja, ziemlich sicher! Auch wer nicht von lästigen Lippenbläschen geplagt wird, verursacht durch das Herpes-Simplex-Virus, ist wahrscheinlich – wie mehr als 90 Prozent der Weltbevölkerung – mit einem der acht anderen humanen Herpesviren infiziert. Wer Windpocken hatte oder als Kleinkind am sogenannten Drei-Tage-Fieber – gefolgt von rotem Ausschlag – litt, trägt die Viren noch in sich. Denn sie sind gekommen, um zu bleiben – ein Leben lang.

Varizella zoster zum Beispiel legt sein Erbgut in menschlichen Nervenzellen ab. 30, 50 oder gar 70 Jahre später, wenn die Windpocken nur noch eine blasse Erinnerung sind, kann das Virus wieder aktiv werden. Stress kann ausreichen, um die Erreger „aufzuwecken“. Und dann wandern sie entlang der Nervenbahnen zur Haut und lösen dort eine äußerst schmerzhafte Gürtelrose aus. Schlecht für den Menschen, aber gut für das Virus! Denn durch Schmierinfektion kann es leicht andere Menschen infizieren und seine Art weiter verbreiten.

Der Virologe Benedikt Kaufer, Professor am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin, hat sich auf Herpesviren von Mensch und Tier spezialisiert und gemeinsam mit Kollegen herausgefunden, wie raffiniert die Erreger vorgehen. „Bisher galt das Dogma, dass alle Herpesviren ihr Erbgut als zirkuläres Genom in den Zellen ihres Wirts ablegen. Doch manchen Erregern gelingt es, ihre DNA direkt in die Enden unserer Chromosomen einzubauen – in die Telomere.“ Mithilfe von künstlich eingeschleusten, grün-fluoreszierenden Proteinen können die Forscher die Virus-DNA in den Chromosomen sogar sichtbar machen.

Menschen können sich bei Tieren nicht infizieren

Herpesviren, die das Drei-Tage-Fieber auslösen, wurden inzwischen sogar in Spermienproben nachgewiesen. „Man geht davon aus, dass ein Prozent der Weltbevölkerung diese Viren somit in jeder Körperzelle trägt – und vererbt.“ Das wirft ganz neue Fragen auf: Welche Erkrankungen ruft das hervor? Und welche Symptome haben Menschen, die das Virus in der Keimbahn tragen?

Gemeinsam mit Amr Aswad, der in Kürze aus Oxford mit einem Einstein International Postdoctoral Fellowhip an die Freie Universität kommen und am Institut für Virologie neue bioinformatische und molekularbiologische Methoden etablieren wird, will Kaufer nun aufklären, wie die Gen-Integration genau vor sich geht. Auch, welche Veränderungen am Virusgenom stattfinden, wenn dieses Herpesvirus in den „Schlafmodus“ geht.

Die Gruppe der Herpesviren ist riesig: Neben den neun humanen Arten sind etwa 200 weitere bekannt, die Tiere befallen. Pferd, Hund, Katze, Maus – kaum eine Tierfamilie, die nicht ihren eigenen Herpesviren hat. Menschen können sich bei Tieren nicht infizieren, weil die Erreger sehr wirtsspezifisch sind. Wenn es um die Gesundheit von Nutztieren geht, sind sie dennoch für uns relevant. Der Hühnerherpesvirus GaHV-2 etwa verursacht bei Geflügel Lähmungen und Tumore. Er versteckt sich in den T-Zellen und kann diese in Krebszellen umwandeln. In kurzer Zeit bilden sich dann solide Tumore – unter anderem im Brustmuskel, in den Nieren und in der Milz. Ungeimpfte Hühnchen erwartet dadurch der sichere Tod. Mareksche Hühnerlähme heißt diese Krankheit, die Benedikt Kaufer stellvertretend für Herpes bei Tieren erforscht.

Was macht GaHV-2 so „erfolgreich“?

Kaufer will wissen, was GaHV-2 zum Killer macht, denn in den vergangenen Jahrzehnten wurde das Virus stetig aggressiver. Bereits seit den 1960er-Jahren werden unsere Hühner in der Regel gegen das Virus immunisiert. „Es war die erste Impfung, die ein Lebewesen vor Krebs schützen konnte“, sagt Benedikt Kaufer. Doch das Virus trumpfte auf, entwickelte sich weiter. Zehn Jahre später gelang es einigen Stämmen, die sogenannte Impfhürde zu überspringen. Die Folge: Erneut verendeten Tausende Hühner binnen kurzer Zeit. Inzwischen werden weltweit Milliarden von Legehennen und Zuchttiere bereits mit der dritten Impfstoffgeneration immunisiert.

Aber was macht das Virus so „erfolgreich“? „Anders als Grippeviren, verändert GaHV-2 seine Oberflächenstrukturen nicht. Wir untersuchen, ob Mutationen bestimmter Gene für die steigende Virulenz verantwortlich sind, wofür einiges spricht“, sagt Kaufer. Die Mareksche Krankheit ist gut dokumentiert. Und so können die Virologen auf Proben aus allen Virulenzstufen zurückgreifen, Gensequenzen analysieren und vergleichen. Kaufers Fokus liegt besonders auf dem Onkogen meq. „Es beeinflusst den Zellzyklus der infizierten Zelle und verhindert deren Zelltod. Entfernt man meq aus dem Genom, verliert das Virus diese Funktionen, und es entstehen keine Tumore mehr.“

Nur wenige Herpesviren enthalten Krebsgene

Benedikt Kaufer will aber auch wissen, wie weit es GaHV-2 noch treiben kann. Deshalb beschleunigt er im Labor mit Chemikalien, die Mutationen auslösen, die Evolution des Virus’. „In kurzer Zeit erhalten wir so ganz viele neue Virus-Varianten. Manche davon können sich gar nicht mehr vermehren, andere sind voraussichtlich noch aggressiver und zeigen auf, wohin es mit GaHV-2 noch gehen kann. Diesen Erkenntnisgewinn wollen die Wissenschaftler nutzen, um neue Impfstoffkandidaten zu generieren und so den Schutz der Tiere in der Zukunft zu gewährleisten.“

Glücklicherweise enthalten nur wenige Herpesviren Krebsgene. Denn die allermeisten haben gar kein Interesse daran, die Zellteilung ihres Wirts anzukurbeln, wie es Krebsgene tun. Sie haben sich, wie Varizella zoster, einen ruhigen Ort als Schlummerplatz ausgewählt, denn Stillhalten ist die simpelste Strategie, um das Überleben ihrer Gene zu sichern. Mit etwas Glück funktioniert das 70, 80 Jahre, weil Nervenzellen meist erst mit dem Tod des Menschen zugrunde gehen.

Derzeit befindet sich übrigens ein Impfstoff gegen Gürtelrose in den letzten Zügen der klinischen Prüfung. Er wird die Reaktivierung der Viren verhindern. Und dann heißt es hoffentlich: Schlaf für immer, Varizella!

Catarina Pietschmann

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