Baugeschichte: Schinkel als verhinderter Hofarchitekt
Bei ihren Forschungen zum "Schinkel Lebenswerk" entdeckte Eva Börsch-Supan einen bislang unbekannten Karriereschritt des preußischen Baumeisters. 1829 wurde er zum Hofarchitekten berufen. Doch Aufträge erhielt er in dieser Funktion kaum.
Hätte Schinkel ausschließlich das geschaffen, was in diesem Band verzeichnet ist, es wäre ein erfülltes Architektenleben gewesen. Doch machen die Privataufträge, die Karl Friedrich Schinkel für den preußischen König Friedrich Wilhelm III. und seinen Sohn, Kronprinz Friedrich Wilhelm (IV.), in den exakt drei Jahrzehnten zwischen 1810 und 1840 ausführte, nur einen zwar wichtigen, jedoch überschaubaren Anteil seines Lebenswerks aus. Einmal mehr bleibt das Staunen vor der schier unfasslichen Energie und Disziplin dieses Baubeamten, Privatarchitekten, Kunstsachverständigen und regem Teilnehmer am geistigen Leben seiner Zeit, in Berlin und weit darüber hinaus.
Eva Börsch-Supan, die Doyenne der Schinkel-Forschung, hat sich der Aufgabe unterzogen, den vor nicht weniger als sieben Jahrzehnten geplanten, aber bereits in seinen allerersten Anfängen stecken gebliebenen Band der Reihe „Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk“ zu den Arbeiten für König und Kronprinz in mehrjähriger Forschungsarbeit zu verfassen. Das Ergebnis ist ein gut 700 Seiten dickes und mit fast ebenso vielen Abbildungen versehenes Konvolut.
Für den König entwarf Schinkel 1810 das Mausoleum der früh verstorbenen Königin Luise im Park von Schloss Charlottenburg und dann, ebenfalls in Charlottenburg, den heute nach seinem Architekten benannten Pavillon 1824. Kennzeichnend für Schinkels umfassende Entwurfstätigkeit ist, dass auch die Raumausstattung bis hin zu Sesseln und Leuchtern aus seiner Hand erfolgte. Und dann die zahllosen Gutachten, die er zu den königlichen Schlössern zu erbringen hatte! All das abzufassen in dem servilen Ton, den das Hofprotokoll vorschrieb.
Ein enges Verhältnis verband Schinkel mit dem Kronprinzen, der sein Leben lang Baugedanken mit sich herumtrug und unermüdlich skizzierte. Fruchtbar wurde die Zusammenarbeit in Potsdam, wo der Kronprinz den Park von Sanssouci beträchtlich erweiterte und dort mit Schinkel die Landhaus-Anlage von Charlottenhof samt den Römischen Bädern schuf, ein Vorhaben, das sich von 1826 an zwölf Jahre lang hinzog.
Interessant sind Schinkels Entwürfe für das Berliner Schloss: die Wohnung des Kronprinzenpaares sowie die Kuppel. Zentrum der Wohnung war die Erasmuskapelle, ein spätgotischer Bauteil an der Spreefront, den Schinkel zu einer höchst originellen Synthese von Original und Neugotik verband – ganz im Sinne der herrschaftslegitimierenden Zielsetzung des erzreaktionären Kronprinzen. Bei der Kuppel ging es zuerst um die Schlosskapelle, die über Portal III, also an der Westseite, errichtet werden sollte. Eine Kuppel hatte bereits Eosander um 1710 geplant. Nun zeichnete der Kronprinz Variante um Variante; was Schinkel schließlich zu Papier brachte, konnte in der Fernsicht nicht befriedigen. Friedrich August Stüler hat das nach Schinkels Tod korrigiert. 1848 war seine Kuppel in neuartiger Eisenkonstruktion im Rohbau vollendet.
Aber wie viel Papier wurde vollgezeichnet, wie viele Briefe, Eingaben, Gutachten wurden verfasst! Börsch-Supan hat sich durch Gebirge von Akten gewühlt, um den Hergang all der Bauvorhaben zu rekonstruieren. Dabei ist ihr untergekommen, dass Schinkel wegen seiner gesundheitsschädigenden Überlastung 1829 eine Beförderung außerhalb der regulären Beamtenlaufbahn erhielt: Auf Initiative des Kronprinzen wurde er Hofarchitekt. Das Extra-Gehalt zahlte der König. Offizielle Aufträge des Hofs gab es danach dennoch kaum; und das bei Weitem wichtigste Vorhaben, den Neubau der Königlichen Bibliothek, widerrief der Monarch 1839, kurz vor seinem Tod.
Politik kommt in Börsch-Supans beeindruckender, aber auch befremdender Innenansicht aus dem Alltag der Monarchie nur ein einziges, allerdings gewichtiges Mal vor: als am 3. Juli 1830, just dem Eröffnungstag von Schinkels (Altem) Museum, in Paris die Julirevolution losbricht. „Der Kronprinz, aber anscheinend auch Schinkel, erlebten sie als Einbruch des Chaos in eine bis dahin geordnete Welt“, schreibt Börsch-Supan. Ob Schinkel darin tatsächlich so sehr mit Friedrich Wilhelm harmonierte, dass beide sich auf die Antike als architektonisches Leitbild zurückzogen, ist mit Blick auf Schinkels späte Zweckbauten sicher zu differenzieren. Gewiss blieb Schinkel im monarchischen System. Aber ein Reaktionär wie sein königlicher Auftraggeber war er, der bildungsbürgerliche Idealist, nie.
Eva Börsch-Supan: Arbeiten für König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Kronprinz Friedrich Wilhelm (IV.) (Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk, Bd. XXI), Berlin/München 2011. 723 S., 168 €.