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Plan mit Plantagen. Dieser Entwurf des belgischen Architekten Vincent Callebaut sieht einen 600 Meter hohen Wolkenkratzer in der Form eines Libellenflügels vor. Neben Wohnungen und Büroräumen wäre darin Platz für Obstgärten und Bauernhöfe.
© action press/Vincent Callebaut Architectures

Stadt der Zukunft: Salat im Keller, Weizen im Hochhaus

Forscher wollen die Landwirtschaft in die Städte holen. Dafür entwickeln sie futuristische Farmhochhäuser und geschlossene Kreisläufe mit Fischen und Tomaten für den Hinterhof.

Die Zukunft riecht an diesem Mittwochmorgen nach einer Mischung aus feuchter Erde und Sushi. Tatsächlich ist es aber keine Erde, es sind drei Reihen mannshohe Tomatenstauden, die in schmalen Wasserbecken stehen. Neben jeder Reihe stehen vier dicke Tonnen, die je 1500 Liter Wasser fassen. Die Zukunft, sie steht in einem Gewächshaus am Müggelsee und Werner Kloas ist ihr Chef.

Kloas tritt an das erste Fass heran und beugt sich über den Rand. Dunkles Wasser schwappt in leichten Wellen, sonst passiert nichts. Kloas hält seine rechte Hand über die Wasseroberfläche und reibt seinen Daumen zwischen den anderen Fingern hin und her, als würde er Futter verstreuen. Nach kurzer Zeit taucht ein dunkles Maul auf, dann zwei weitere. „Ätsch“, sagt Kloas und nimmt die Hand wieder weg. „Essenszeit ist später.“ Die Tilapia, Buntbarsche, schnappen lautlos ins Leere.

Kloas leitet am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) die Abteilung Ökophysiologie und Aquakultur. Zu ihr gehört auch das Gewächshaus, in dem die Zukunft zu Hause ist. Die Zukunft, sie heißt Tomatenfisch.

Es handelt sich dabei nicht um Fische, die nach Tomaten schmecken, sondern um einen in sich geschlossenen Produktionskreislauf, der beides züchtet: Tomaten und Fische. Die Tomaten brauchen die Nährstoffe, die die Fische ausscheiden, die Fische den Sauerstoff der Pflanzen. Es entsteht ein ressourcensparender, beinahe emissionsfreier Kreislauf und eine Form der Landwirtschaft, wie sie schon bald in urbanen Ballungsräumen eingesetzt werden kann.

Die Megacities brauchen Nachschub

Jeder zweite Mensch lebt in der Stadt, in den Industrienationen und Lateinamerika sind es sogar über 70 Prozent der Bevölkerung. Gab es um 1900 nur 16 Städte mit einer Millionenbevölkerung, darunter New York, London und Berlin, sind es heute weit über 400. Das dicht gedrängte Leben produziert riesige Mengen Müll, Abwasser und Abgase auf engstem Raum. Gerade dadurch zwingt es die Bewohner zu neuer Kreativität: Wie können möglichst viele Lebensmittel auf kleinstem Raum produziert werden? Und wie kann das ohne neue Umweltbelastungen geschehen?

Unter dem Schlagwort „Future Farming“ entstanden in den letzten Jahrzehnten viele Konzepte. Es gibt die Vision, Anbauflächen in Hochhäusern zu stapeln, „Vertical Farming“ genannt. Und es gibt verschiedenste Kleinstsysteme, die versuchen, die Landwirtschaft möglichst emissionsfrei in den Hinterhof zu holen, wie Kloas’ Tomatenfisch. „In den Megacitys muss ich schon bald lokal produzieren können und ich kann dabei nicht auf einen unendlichen Vorrat an sauberem Wasser hoffen“, sagt der Forscher. In Ballungsräumen, vor allem in Asien, könne das Angebot die Nachfrage irgendwann nicht mehr befriedigen.

In Kloas’ Büro stapeln sich Papierberge. Hinter ihm hängt ein Foto, auf dem er einen Roten Trommler auf den Unterarmen hält. Der Fisch ist gut einen Meter lang. Selbst gefangen, an der amerikanischen Ostküste. „Der hat beim Knurren richtig in meinen Händen vibriert“, erinnert sich Kloas. „Er heißt ja auch Trommler, weil er so knurren kann.“ Kloas ist Endokrinologe, sein Spezialgebiet sind Fische, ihre Fortpflanzungs- und Stressphysiologie. Die Buntbarsche des Tomatenfisch-Projektes zu beobachten, passt da perfekt.

Der Fischkot wird zu Dünger

Der Tomatenfisch ist ein Aquaponik-Kreislauf, eine Mischung aus Aquakultur und Hydroponik. Die Hydroponik umspült Pflanzenwurzeln konstant mit Wasser, anstatt sie fest einzutopfen. Das verbessert die Nährstoffzufuhr. Die Aquakultur züchtet Fische. Beide Systeme sind nicht neu, die Kombination aus ihnen schon: Die Buntbarsche scheiden Ammonium aus, das für sie giftig ist. Die Tomaten hingegen brauchen Ammonium als Dünger, beziehungsweise Nitrat. Im Kreislauf wird erst der Fischkot aus dem Wasser gesiebt, dann wandeln in einem Biofilter zwei Bakterienarten das Ammonium im Wasser erst zu Nitrit und dann zu Nitrat um. Die Tomatenpflanzen und Buntbarsche leben im Gewächshaus bei konstanten 27 Grad Celsius.

Die Grundlage des Systems beruht auf einer Idee von Bernhard Rennert, einem Kollegen von Kloas, der mittlerweile im Ruhestand lebt. Rennert hatte bereits in den 1980er Jahren in der DDR mit Karpfen und Gurken experimentiert. Das sei exotisch und nachhaltig zugleich gewesen, habe aber nicht so ganz zur Idee landwirtschaftlicher Planwirtschaft gepasst, sagt Kloas. Rennerts Projekt „musste in die Schublade“. Als Kloas 1999 zum IGB kam, war er von der Idee Rennerts begeistert. Zusammen haben sich beide die alten Kreisläufe wieder vorgenommen.

2008 begann die Forschung am Müggelsee, 2009 wurde der erste Kreislauf in Betrieb genommen. Zu Beginn mussten noch täglich zehn Prozent Frischwasser in den Kreislauf geführt werden, da stets etwas Wasser verdunstet. Außerdem wäre der Anteil an Fischkot sonst zu hoch geworden. Kloas verbesserte den Biofilter, verfrachtete das ganze System in ein geschlossenes Gewächshaus und schuf zugleich zwei autarke Kreisläufe: einen für die Fische und einen für die Tomaten. So ist nun egal, wie viel die Barsche ausscheiden, denn verbunden sind beide Systeme nur durch ein Einwegventil. „Erst wenn die Pflanzen Nährstoffe brauchen, geht das Ventil auf“, sagt Kloas.

Zuerst wollten sie nur die Dächer bepflanzen

Das System arbeitet nun fast perfekt. Wasser, das die Tomaten verdunsten, wird in einer Kühlanlage wieder aufgefangen und für die Ammoniak-Umwandlung müssen dem Kreislauf nur noch drei Prozent frisches Wasser zugeführt werden. „Das Ziel für die nächsten zwei Jahre ist die Null vor dem Komma.“

Heute gibt es drei unabhängige Kreisläufe, jeder einzelne kann pro Jahr 1,5 Tonnen Fisch erwirtschaften – und noch mal 4,5 Tonnen Tomaten. „Etwa alle drei Monate können wir hier im Institut schlemmen“, sagt Kloas.

An anderen Orten wird bereits größer gedacht. Der Ökologe Dickson Despommier ist Professor für Mikrobiologie und Umweltgesundheit an der Columbia Universität in New York. Vor allem aber ist er der Pionier des „Vertical Farming“, Landwirtschaft in Hochhäusern. 1999 entwickelte Despommier mit seinen Studenten aus einer Laune heraus Ideen zur Lebensmittelgewinnung auf engstem Raum. Zuerst dachten die Studenten an die Bepflanzung der Dächer, dann wurden ganze Etagen daraus.

In zahlreichen Interviews und Videoblogs wirbt Despommier für seine Idee. Er trägt sie mit einer Nichts-ist-unmöglich-Haltung vor: „Wenn wir fremde Planeten entdecken können, können wir auch Weizen in Stockwerken anpflanzen.“ Investoren rund um den Globus laden Despommier ein, um innovative Projekte anzuschieben. Prototypen eigenständiger Hochhäuser sind unter anderem in Toronto, Paris und Wien geplant. Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate tüfteln an Modellen für komplette Zukunftsstädte. Auch wenn die meisten Ideen noch auf dem Reißbrett stehen, „Vertical Farming“ werde Realität, sagt Despommier. Und verweist auf Japan: „Dort gibt es bereits hunderte Pflanzenfabriken, und alle arbeiten kommerziell.“

Die Stadt ist klimafreundlicher als ihr Ruf

Die größte Farm in Kyoto baut auf knapp 5000 Quadratmetern Kopfsalat an, in einem Raum, der halb so groß ist. Die Salate hängen in kleinen Schalen in langen klinischen Regalen und werden hydroponisch bewässert. Lampen fluten die Räume mit weißem Licht. Auch im US-amerikanischen Wisconsin betreibt eine Firma bereits erfolgreich Aquaponik-Farmen und düngt ihre Pflanzen mit Fischausscheidungen. Anders als beim Berliner Tomatenfisch fehlt aber der geschlossene Kreislauf. Die Barsche in Wisconsin sind nur Anbaugehilfen, keine eigenen Zuchtkandidaten. Den Beispielen sind jedoch zwei Dinge gemein: Sie brauchen Platz und Energie. Fragt man Despommier, wie realistisch die grünen Wolkenkratzer einst sein werden, wird er deshalb vorsichtiger. „Bestimmt werden sich Hochhaus-Modelle in Zukunft entwickeln“, sagt er. „Aber sie werden sehr teuer sein.“

In den Wolkenkratzern muss Sonnenlicht auch die tiefer liegenden Etagen erreichen oder mit LED-Lampen nachgeholfen werden. Doch Despommier ist überzeugt, dass sich das System trotz der Schwierigkeiten durchsetzen wird. Selbst bei künstlicher Beleuchtung spare die senkrechte Farm Ressourcen durch die kurzen Vertriebswege vom Korn zum Konsumenten.

Schon heute sind Städte oft klimafreundlicher als ihr Ruf: Eine Analyse des Statistischen Bundesamtes attestiert den Stadtbewohnern in der Regel einen besseren ökologischen Fußabdruck als der Landbevölkerung. Wo die einen mit Bus und Bahn kurze Wege erledigen, müssen die anderen mit dem eigenen Auto lange Strecken fahren. 2010 produzierte zum Beispiel jeder Berliner mit 5,7 Tonnen Kohlendioxid ein Drittel weniger als der Bundesdeutsche (9,3 Tonnen). Und New York lag im Jahr 2011 mit 6,5 Tonnen CO2 je Einwohner sogar um mehr als die Hälfte unter dem US-Landesschnitt von 17,3 Tonnen. Wenn nun auch Essen aus der Mitte der Stadt kommt, wirke sich das positiv auf den ökologischen Fußabdruck aller aus, sagt Despommier.

Mischhäuser könnten die Zukunft sein

Er stellt sich als Zukunftsvision daher auch „Mischhäuser“ vor, wie sie bereits in Japan existieren. Um nicht in die Höhe zu bauen, wird Getreide und Gemüse in den Kellergeschossen von bestehenden Wohnhäusern angebaut. Noch ist der Energiebedarf allerdings enorm. Verschiedenfarbige LED-Lampen sorgen für künstliches Sonnenlicht: rote LEDs helfen bei der Züchtung, weiße LEDs beim späteren Wachstum. Die Lösung könnte in Lampen liegen, die Sonnenlicht via Fiberglas auch durch dicke Betonwände weiterleiten. „Die Ideen sind alle da“, sagt Despommier.

Werner Kloas vom IGB möchte es lieber langsamer angehen lassen. Solange es keinen Platzmangel gibt, gebe es auch keinen Grund, Farmen in die Höhe oder Tiefe zu bauen. „Fast jede Großstadt hat genügend Brachen oder alte Fabriken, von denen sie zwei Hektar für urbanes Farming frei machen kann.“

Dringender als Platzfragen ist für Kloas zudem die Unabhängigkeit neuer Farming-Systeme: „In China und Brasilien hat die Landwirtschaft große Probleme mit Schadstoffen in Luft und Wasser.“ Wichtig sei also, vor allem an geschlossenen Kreisläufen zu forschen. Bei einem sich selbst regulierenden Gewächshaus schmeckt die Tomate auch, wenn die Farm von Smog umhüllt ist. Den Tomatenfisch sieht Kloas daher als guten Weg, Lebensmittel im urbanen Raum zu kultivieren. „Wir bräuchten jetzt nur einen verrückten Milliardärssohn, der in eine kommerzielle Anlage investiert.“

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