Raumfahrt: Rückschläge für die Nasa
Der Stopp des Mondflugprogramms hat die US-Raumfahrtbehörde Nasa geschockt. Nun wurde auch noch der Start der „Endeavour“ abgesagt.
Es war eine schlechte Woche für die Nasa-Mitarbeiter im Kennedy-Space- Center in Florida. Erst wurden sie völlig überraschend mit dem neuen Finanzplan konfrontiert, der insbesondere für den Weltraumbahnhof am Atlantik einen drastischen Jobabbau bedeutet. Und am Sonntagmorgen musste zehn Minuten vor dem geplanten Abheben der Raumfähre „Endeavour“ der Countdown gestoppt werden. Eine tief hängende Wolkendecke vereitelte den Start. Die beiden letzten Bauteile für den nichtrussischen Teil der internationalen Raumstation (ISS), der Verbindungsknoten „Tranquility“ und die Aussichtsplattform „Cupola“, bleiben vorerst auf der Erde.
Am heutigen Montag ist der nächste Versuch. Noch kann alles gut werden für das Kosmoslabor. Wesentlich dramatischer ist die Lage am Boden.
Vor einer Woche ereilte die Nasa-Mitarbeiter die Hiobsbotschaft: Das „Constellation“-Programm der US-Raumfahrtbehörde wird gestoppt. Es ist der Fahrplan für die Zeit nach dem letzten Flug eines Spaceshuttles im Herbst dieses Jahres. Mit Constellation sollten neue Raketen und Raumschiffe entwickelt werden, um Astronauten zunächst zur Internationalen Raumstation (ISS) zu fliegen, vor allem aber wieder Amerikaner auf den Mond und später sogar zum Mars zu bringen.
Im Entwurf des US-Haushalts für das kommende Jahr allerdings gibt es das teure Programm nicht mehr. Und damit keinen Mondflug und keine neuen Raketen. Stattdessen sollen künftig Privatfirmen mithilfe von mehreren Milliarden Dollar Staatsgeld animiert werden, ihre Technik so weit zu entwickeln, dass sie bemannte Flüge zur ISS als eine Taxidienstleistung anbieten.
Die Nasa-Mitarbeiter waren schockiert. Angeblich hat nicht einmal der Chef der Abteilung für bemannte Raumfahrt etwas von der Neuausrichtung gewusst. Tausende Jobs werden gestrichen, das ist klar. Gerade im Kennedy-Space-Center wo nur noch fünf Mal ein Shuttle starten und künftig die neuen Ares-Raketen abheben sollten, sind viele Arbeitsplätze bald überflüssig.
„Ich weiß nicht, wie es bei mir weitergeht“, sagt etwa Arthur Edwards. Er ist Anfang 50, braun gebrannt, trägt ein weißes Hemd mit dem blauen Nasa-Signet über dem Herzen. Er arbeitet für die Qualitätssicherung bei der Shuttlemontage. Damit ist es im Herbst vorbei. Das Ares-Programm wäre ein guter Anschluss für ihn gewesen. „Ich glaube nicht, dass es dafür noch eine Chance gibt“, sagt er. Auch wenn Kongressabgeordnete aus den Raumfahrt-Staaten Florida, Texas oder Alabama Widerstand gegen Obamas Entscheidung angekündigt haben. Jetzt hofft Edwards, dass er bei einer der Privatfirmen unterkommt, die den Taxidienst für Astronauten einrichten sollen. „Ich habe ja zuvor schon in anderen Raketenprojekten gearbeitet, vielleicht hilft das“, sagt er. Immer wieder versucht er ein Lächeln, doch es passt nicht zu seiner Stimmlage.
Auch die Präsentatorin im Besucherzentrum ringt mit dem keep smiling. In ihrer Multimediashow, die mit einem markerschütternden Fauchen und grellen Leuchten beim simulierten Start einer Ares endet, wird das Constellation-Programm beworben. Ein Jahr hat es gedauert, um die Show zu produzieren, kurz vor Weihnachten war sie fertig, jetzt ist sie veraltet. „Wir werden sie anpassen“, sagt die junge Frau. Aber wie? Keiner weiß, wann und auf welche Weise US-Astronauten zukünftig ins All kommen – abgesehen von den russischen Sojuskapseln, in denen die Nasa vorerst bis 2012 Mitfliegerplätze zur ISS gebucht hat. Lieber heute als morgen wollen sich die Amerikaner aus der Abhängigkeit lösen.
Die Constellation-Vision, die einem vielerorts auf dem Ausstellungsgelände begegnet, wirkt mit ihren Plakaten und Modellen plötzlich wie aus einer anderen Zeit. Sie sind nicht das einzige Problem. Die Anlage wird dominiert vom Shuttle. In Originalgröße zum Erkunden, en miniature, als aufblasbares Strandmodell, als Backform, als Kuscheltier. Der weiße Flieger ist längst zur Ikone der Nation geworden. Gerade an Startwochenenden wie jetzt kommen die Leute zu Tausenden hierher, gewissermaßen zur Vorbereitung. Dieser Anreiz fällt ab Herbst ebenfalls weg. Statt aktueller Exponate wird ein weiteres Fossil der Raumfahrt zu besichtigen sein. Aber nur für jene, die sich überhaupt auf den Weg machen. Bleiben die Gäste weg, merken das auch Hoteliers, Restaurantbetreiber und Einzelhändler der „Spacecoast“.
Die Stimmung in Florida ist schlecht. Obama hat hier ohnehin keinen Rückhalt, nun richtet sich die Kritik auch gegen den Ex-Astronauten und Nasa-Chef Charles Bolden. Nach eigener Auskunft hat er selbst dem Präsidenten den Vorschlag unterbreitet, Constellation zu streichen. Das Programm war in zeitlichen Verzug geraten und hätte 30 Milliarden Dollar extra gekostet, um die avisierte Mondlandung eines Astronauten bis 2020 zu schaffen.
Am Freitag sprach Bolden in einer internen Veranstaltung zu seinen Mitarbeitern im Kennedy-Space-Center. Die Zusammenfassung für die Öffentlichkeit lieferte er am folgenden Tag. In seiner legeren Art, Kaugummi kauend und mit einem Pappbecher voll Kaffee, trat Bolden vor die Kameras. „Ich habe meine Lektion gelernt“, sagte er in Bezug auf die einsame Entscheidung, die selbst enge Mitarbeiter nicht von ihm, sondern aus den Medien erfahren haben. Aber er stehe zu seinem Plan.
„Ich hoffe sehr, dass ich Firmen hierher zum Kennedy-Space-Center holen kann“, sagt er. Damit die Anlagen weiter genutzt werden und vor allem neue Jobs entstehen. Die Leute hier seien gut. Der teilweise ziemlich heruntergekommene Komplex solle in den nächsten fünf Jahren mit knapp zwei Milliarden Dollar zur „Startanlage des 21. Jahrhunderts“ ausgebaut werden.
Amerika brauche ein eigenes System, um Astronauten ins All zu bringen, betont Bolden. Die privatwirtschaftliche Variante, so hofft er, wird „schneller, billiger und besser“ sein als es die bisher verfolgte Kombination aus Ares-Rakete und Orion-Raumkapsel. Er halte fest an den Plänen für Astronautenflüge zu Mond, Mars oder einem Asteroiden. So schnell werden diese Ziele aber nicht angesteuert, vielleicht im nächsten Jahrzehnt.
„Das Ende von Constellation ist nicht das Ende der bemannten Raumfahrt“, sagt der Nasa-Chef. Im Gegenteil, Amerika werde sich bis 2020 an den Betriebskosten der ISS beteiligen. Bisher galt die Zusage nur bis 2015.
Für die übrigen Partnerländer, Europa, Russland, Japan und Kanada, und auch manche Nasa-Forscher war das eine gute Nachricht. Sie hatten immer wieder dafür geworben, die Station möglichst lange zu betreiben. Jedes zusätzliche Jahr an Laufzeit bedeutet mehr wissenschaftliche Ergebnisse aus Versuchen in der Schwerelosigkeit, aber auch zur kosmischen Strahlung oder bei der Erforschung von Elementarteilchen. Allein unter deutscher Führung sind rund 50 Versuche bereits abgeschlossen, 47 weitere in Vorbereitung.
In Zukunft dürfte die Zahl noch steigen, denn seit dem vergangenen Jahr können dauerhaft sechs statt vormals drei Astronauten in der Station leben. Mit „Tranquility“ und „Cupola“ sollen die Arbeitsbedingungen in knapp 400 Kilometer Höhe weiter verbessert werden. Dazu müssen die Segmente aber nach oben gebracht werden. Am heutigen Montag um 11.14 Uhr (MEZ) ist der nächste Versuch.