Berliner Hochschulgesetz: Rot-Rot zeigt sich elastisch
Mehr Spielräume: Die Parlamentarier verbessern den Zöllner-Entwurf für das Berliner Hochschulgesetz.
Die Novelle zum Berliner Hochschulgesetz hat ihr Ziel erreicht, wenn auch mit ein paar blauen Flecken. Die Opposition schlug am gestrigen Mittwoch im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses noch einmal kräftig auf die Vorlage ein, bevor sie von den rot-roten Fraktionen ins Plenum durchgewinkt wurde. Dort ist ihre Verabschiedung in den nächsten Tagen nur noch eine Formsache.
Die Abgeordneten der CDU, der Grünen und der FDP wollten die Novelle am liebsten ganz scheitern lassen. „Wir wollen ein Hochschulfreiheitsgesetz statt Ihrer Flickschusterei“, sagte Mirco Dragowski von der FDP. Nicolas Zimmer von der CDU warf der Koalition vor, mit ihren neuen Wissenschaftlichen Mitarbeitern für Lehre eine „Discountlösung“ für die Hochschulen anzustreben. Und Anja Schillhaneck von den Grünen rief SPD und Linkspartei zu: „Sie sind nicht mutig genug!“ Lars Oberg von der SPD hingegen sagte, man habe im Vorfeld die Meinungen von über 50 Einrichtungen eingeholt: „Wir können und wir wollen es nicht allen recht machen.“
Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) hatte monatelang eher unelastisch auf Kritik reagiert. Manche seiner, von vielen als technokratisch empfundenen Regeln, kassieren die rot-roten Parlamentarier jetzt ein. Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität, nennt das nur „Schadensbegrenzung“, wirkt dabei aber recht zufrieden: Gegenüber der Zöllner-Fassung seien „die Ermessensspielräume für die Hochschulen größer geworden. Das muss man anerkennen.“
Tatsächlich ist die Zöllner-Novelle unter den Händen der Abgeordneten maßvoller geraten. Die von Studierenden bekämpfte Zwangsexmatrikulation wird fast ausgeschlossen: Machen die Hochschulen von der Kann-Bestimmung in der Novelle Gebrauch, werden Studierende, die Studienleistungen auch nur in homöopathischen Dosen vorzeigen können, nicht der Uni verwiesen werden. Die Zwangsexmatrikulation ist faktisch nur die Ultima Ratio für zum Schein Immatrikulierte. Von den schon existierenden Regelungen können nur noch weichere bestehen bleiben, die strengeren sind hinfällig.
Den Grünen gefällt trotzdem die ganze Richtung nicht. Sie würden die Definition darüber, wie lange ein Studium in der Regel dauern soll (Regelstudienzeit), lieber abschaffen. Die Studierenden würden die geforderten Leistungspunkte in ihrem eigenen Tempo sammeln. Das klingt zwar fortschrittlich. Doch tatsächlich könnten damit wieder die alten Zeiten vor dem Bachelor aufleben, in denen sich massenhaft Studierende über 20 Semester hinweg im Studium verloren, viele schließlich abbrachen. Die Hochschulen hätten wie in alten Zeiten auch keinen Grund mehr, ihr Angebot in der Regelstudienzeit studierbar zu machen.
Die Koalition will den vielen Jobbenden entgegenkommen, in dem sie die Hochschulen dazu bewegt, Teilzeitstudiengänge einzurichten. Die Hochschulen befürchten zu Recht, dass das ohne zusätzliche finanzielle Hilfe nur schwer zu bewältigen ist. Es ist aber gut möglich, dass sich in der Praxis gar nicht so viel ändert. Die Nachfrage nach einem Teilzeitstudium könnte gering bleiben: Schließlich sind das Bafög sowie die Sozial- und Krankenversicherung nicht daran angepasst. Wer länger fürs Studium braucht, wird also wie bisher die Regelstudienzeit überschreiten müssen.
Auf die Studierendenproteste gegen die Verschulung im Bachelor reagiert die Koalition, indem sie einen Teil des Studiums – nämlich „in der Regel ein Fünftel“ – für eigene (überfachliche) Interessen reserviert. Zöllner wollte den Anteil den Hochschulen überlassen. HU-Präsident Olbertz gefällt der konkrete Passus besser, denn er lasse den Fächern ja Platz für Variationen. Riesige Wanderbewegungen von Chemie-Studierenden, die in der Germanistik Inspiration suchen und so die Kurse sprengen, erwartet er nicht.
Die Hochschulleitungen haben sich im Vorfeld heftig dagegen gewehrt, bürokratische Rahmenordnungen für das Studium erlassen zu müssen. Die Parlamentarier werfen Zöllners ursprüngliche Vorschriften aus der Novelle.
Erleichtert können die Uni-Chefs auch sein, weil Zöllner mit der Novelle eine seit Jahren von ihnen gesehene Bedrohung beseitigt hat. Seine Novelle erteilt basisdemokratischen Ideen eine Absage: Professoren werden nur von Professoren in die Gremien gewählt, nicht von Studierenden und Mitarbeitern. Die Parlamentarier von SPD und Linkspartei, die mit einem „Überkreuzwahlrecht“ und auch mit der „Viertelparität“ in Gremien lange geliebäugelt haben, haben das geschluckt. Als Ersatz genehmigen sie sich eine rot-rote Wohlfühlpille: Die Lehrbeauftragten an den Unis sollen in Zukunft das Recht haben, bei den Gremienwahlen mit abzustimmen. Ein fragwürdiges Kompensationsgeschäft: Da die Lehrbeauftragten wegen der Berliner Haushaltslage nicht anständig bezahlt werden können, wird ihr rechtlicher Status aufgewertet.
Das Berufungsrecht, das die Hochschulleitungen notorisch für sich fordern, bleibt beim Senator – eine gute Entscheidung. Selbst die Hochschulleitungen geben zu, dass die Senatsverwaltung alle Berufungen schnell behandelt und nur in Ausnahmefällen unbequeme Fragen zur Vorschlagsliste der Unis stellt.
Breiteste Ablehnung haben im Vorfeld die von Zöllner vorgeschlagenen Dozenten mit hoher Lehrverpflichtung erfahren. Rot-rot hält an ihnen fest. Olbertz sieht das momentan gelassen: Die Unis müssten die Dozenten ja nicht einstellen. Allerdings sieht Olbertz auch, dass das Land die Unis zwingen könnte, mehr Studierende für weniger Geld auszubilden: indem es am Finanzhahn dreht. Insofern bleiben die „Lehrknechte“ der kritischste Punkt der jetzt im Ganzen passablen Novelle.