75 Jahre Kriegsende: Ringen um Deutungshoheit
In Asien endete der Zweite Weltkrieg erst knapp vier Monate später als in Europa. Die Bewertung der Ereignisse ist noch nicht abgeschlossen.
Am Morgen des 7. Dezembers 1941 greifen japanische Streitkräfte den amerikanischen Marine-Stützpunkt Pearl Harbour auf der hawaiischen Insel O’ahu an. Der Angriff markiert den Eintritt der USA ins Kriegsgeschehen und macht aus verschiedenen Konflikten in Europa, Nordafrika und Asien endgültig einen Weltkrieg. Bis heute ist der Vorfall ins kollektive Gedächtnis Amerikas und Europas eingeschrieben — weniger präsent ist seine lange Vorgeschichte.
„In Ostasien war der Krieg 1941 bereits im vollen Gange“, sagt Urs Matthias Zachmann, Professor für Japanologie an der Freien Universität Berlin. „Er begann mit der Besetzung der Mandschurei durch Japan im Jahr 1931.“
In den 1930er Jahren ist Japan die vorherrschende Macht in Ostasien. Bereits 1895 hatte das Kai-serreich das heutige Taiwan annektiert, 1910 wurde auch Korea besetzt.
Auf dem chinesischen Festland, das in der Zwischenkriegszeit kein geeinter Nationalstaat ist, nimmt Japan starken wirtschaftlichen Einfluss, betreibt eine Eisenbahnlinie und zahlreiche Minen. „Doch Ende der 1920er Jahre nahm dort eine Nationalbewegung Fahrt auf“, sagt Urs Matthias Zachmann. „Die chinesische Einheitsbestrebung war den Japanern ein Dorn im Auge.“
Japans Expansion war zum Teil sehr brutal
Japan reagiert im Jahr 1931 mit dem Einmarsch in die Mandschurei, einer Region nordöstlich von Peking. 1937 eskalierte der schwelende Konflikt dann zum Krieg, und es folgte die Besetzung der Küstenstädte Schanghai und Nanjing.
„Das japanische Militär ging zum Teil äußerst brutal vor“, sagt Urs Matthias Zachmann. „Im Massaker von Nanjing etwa wurden 1937/38 zigtausende Zivilisten auf fürchterliche Weise umgebracht.“
Immer weiter marschieren die japanischen Streitkräfte Richtung Süden — doch je südlicher sie gelangen, desto mehr regt sich der Argwohn der Vereinigten Staaten.
Die USA expandierten seit Ende des 19. Jahrhunderts im Pazifik. Sie hatten 1891 Hawaii annektiert, waren später auf den Philippinen einmarschiert. „Die Amerikaner betrachteten Südindochina als ihre Interessensphäre“, sagt Urs Matthias Zachmann. „Sie reagierten mit wirtschaftlichen Sanktionen gegenüber Japans Expansion. Boykottiert wurden japanische Öl-Importe, Konten und Goldreserven wurden eingefroren.“
Atombomben über Hiroshima und Nagasaki
Weil auch der Völkerbund den japanischen Krieg verurteilt, tritt das Kaiserreich 1933 aus der inter-nationalen Organisation aus. Japan ist wirtschaftlich und politisch zunehmend isoliert. „Mit dem Angriff auf Pearl Harbour wollte man die USA wieder an den Verhandlungstisch zwingen“, sagt Urs Matthias Zachmann.
Doch die Amerikaner denken nicht dran. Gemeinsam mit Großbritannien und Australien reagieren sie in aller Schärfe.
Schrittweise drängen sie die japanischen Streitkräfte aus dem Pazifik zurück, bis die Air Force am 6. und 9. August 1945 schließlich Atombomben über den Städten Hiroshima und Nagasaki abwirft. Mit der Kapitulation Japans am 2. September 1945 endet der Zweite Weltkrieg auch in Asien.
„Heute ist ein Großteil der japanischen Bevölkerung der Überzeugung, dass die Angriffe auf China und Amerika Unrecht waren“, sagt Urs Matthias Zachmann.
Doch es gebe eine nationalistische Minderheit, die die Kriegsschuld Japans zu relativieren suche und zunehmend lauter werde. Sympathien erfahre diese Minderheit durchaus auch von der Regierung des derzeitigen Premierministers Shinzo Abe.
„Die Bewältigung und Bewertung des Krieges ist in Japan nicht abgeschlossen“, sagt Urs Matthias Zachmann. „Die Erinnerung an den Krieg ist bis heute Gegenstand politischer Deutungskämpfe. Umso wichtiger ist, dass weiter über die Geschehnisse diskutiert wird.“
Dennis Yücel