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Hochsicherheitstrakt. Hinter der längsten Klinkerfassade Norddeutschlands verbergen sich Labors, in denen gefährliche Erreger wie Grippe, Ebola oder West-Nil-Virus erforscht werden.
© dapd

Ostsee: Riems: Die Seuchen-Insel

Auf der Ostsee-Insel Riems werden seit 100 Jahren gefährliche Erreger erforscht. Jetzt werden die Labors des Friedrich-Loeffler-Instituts aufgerüstet.

Wie aus Blech gehämmert liegt das Wasser im Greifswalder Bodden im Glanz der Sonne. Der Damm, der zur Insel Riems führt, ist von Schilf gesäumt. Halb verwitterte Betonblöcke im Wasser erinnern an eine alte Seilbahn, die zum Festland führte. Alles atmet Urlaubsidylle. Doch die Insel ist von einem hohen Zaun umgeben und den Weg über den Damm machen keine gestressten Großstädter auf der Suche nach Erholung, sondern Tierärzte und Laboranten, Rinder und Schweine – und immer wieder furchteinflößende Viren, Bakterien und Einzeller.

Denn auf Riems steht das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI). Ob BSE, Vogelgrippe oder Schweinepest, es sind die Wissenschaftler hier, die im Auftrag der Bundesregierung erforschen, welche Gefahr von einzelnen Erregern ausgeht, wie sie nachzuweisen und zu bekämpfen sind. Daher gilt: Wenn ausnahmsweise einmal Übertragungswagen und Journalistengruppen über den Damm nach Riems fahren, dann ist in Deutschland wieder Seuchenalarm.

Seit 100 Jahren wird auf Riems an Seuchen geforscht. Damals gründete Friedrich Loeffler hier das erste Virusforschungsinstitut der Welt. Loeffler kam mit einem beeindruckenden Lebenslauf: Schüler von Robert Koch, Entdecker der Erreger von Rotz, Diphtherie und Schweinerotlauf. 1898 entdeckte er den Erreger der Maul-und-Klauenseuche, ein Virus. „Loeffler ist für die Virologie, was Koch für die Bakteriologie ist“, sagt Thomas Mettenleiter. Der Direktor des FLI ist ein kleiner Mann mit Schnauzbart. Wenn er über sein Fach spricht leuchten seine Augen und einen Satz sagt er besonders gern: „Loeffler ist der eigentliche Begründer der Virologie.“

Nicht zufällig liegt das Institut auf einer Insel

Dass das Institut bis heute auf einer Insel liegt, ist kein Zufall. Seine ersten Versuche zur Maul- und Klauenseuche begann Loeffler mitten in Greifswald, in einem Stallgebäude in der Gützkower Straße. Hier experimentierte er mit dem hoch ansteckenden Erreger – bis die Versuche ihm vom Minister der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten verboten wurden. Denn immer wieder brach die Maul- und Klauenseuche aus und im Zentrum lag nicht selten Loefflers Versuchstierstall. Manche Zeitgenossen spotteten, Deutschland könne längst als frei von Maul- und Klauenseuche gelten, gäbe es Loefflers Experimente nicht.

Um weitere Ausbrüche zu verhindern, verlegte Loeffler seine Forschung auf die Insel Riems, die damals nur mit einem Schiff zu erreichen war. In einem kleinen Laborgebäude begann er dort am 10. Oktober 1910 mit seinen Arbeiten. Pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum soll am Sonntag ein riesiger Neubau eingeweiht werden: mit 89 Laboratorien, 163 Stallräumen und der mit 235 Metern längsten Klinkerfassade Norddeutschlands.

Es soll eine der modernsten Tierforschungsanstalten der Welt werden mit Laboren der Biosicherheitsstufe L4. Dort werden die Forscher bei Unterdruck (so dass Luft immer nur in den gefährlichen Bereich hineinströmen kann, nicht hinaus) auch an großen Tieren einige der gefährlichsten Erreger der Welt erforschen können. Bisher ist das nur an zwei Orten auf der Welt möglich: Winnipeg in Kanada und Geelong in Australien. Annähernd 300 Millionen Euro hat sich der Staat das Projekt kosten lassen. Letztlich aus Angst.

Hüter der Viren. Thomas Mettenleiter ist Direktor des Friedrich-Loeffler-Instituts.
Hüter der Viren. Thomas Mettenleiter ist Direktor des Friedrich-Loeffler-Instituts.
© dapd

Denn das Institut untersucht zwar Krankheitserreger die Tiere befallen, aber viele können eben auch für den Menschen gefährlich werden. Zoonosen nennen die Forscher solche Krankheiten, die für Tier und Mensch gleichermaßen gefährlich sind: Bandwürmer, Malariaparasiten, Salmonellen, Tollwut, Pest. Die Liste lässt sich fortführen. „Etwa zwei Drittel aller Krankheitserreger beim Menschen sind tierischen Ursprungs“, sagt Mettenleiter.

Und Bevölkerungswachstum, Globalisierung und Klimawandel führen dazu, dass immer mehr Tierkrankheiten aus weit entfernten Gegenden in Deutschland auftauchen. Mensch und Tier leben immer näher beieinander. Und mit dem internationalen Güter- und Personenverkehr, mit Blumen, Lebensmitteln oder Reisenden können auch Krankheitserreger mit fremd klingenden Namen nach Europa kommen: Krim-Kongo, Rifttalfieber, Japanische Enzephalitis oder Blauzungenkrankheit. „Es gibt keine exotischen Erreger mehr“, sagt Mettenleiter. „Was wir heute noch exotisch finden, kann morgen schon bei uns sein.“

Die Blauzungenkrankheit zum Beispiel tauchte 2006 plötzlich im Dreiländereck Belgien-Deutschland-Niederlande auf. Woher die Erreger kamen , die eigentlich im südlichen Afrika beheimatet sind, ist bis heute nicht geklärt. In jedem Fall verbreitete sich die Rinderkrankheit in kürzester Zeit. „Für manche Gegenden war das eine Katastrophe“, sagt Mettenleiter. Immerhin: Blauzungenkrankheit ist keine Gefahr für den Menschen.

Das ist etwa beim Westnilvirus anders. Lange Zeit fand man den Erreger vornehmlich in Afrika, Australien und Indien. Dann wurde 1999 eine Mücke mit dem Virus in New York eingeschleppt, vermutlich mit einer Lieferung alter Reifen. In kürzester Zeit eroberte der Erreger den Kontinent. Zuerst fielen Raben im Central Park tot aus den Bäumen. „Da sind wirklich scharenweise Raben gestorben“, erinnert sich Martin Groschup, Leiter des Instituts für neue und neuartige Tierseuchenerreger am FLI. Wenig später infizierten sich Pferde und Menschen.

Die asiatische Tigermücke breitet sich weltweit aus

„Heute muss man sagen, dass die gesamten USA und Teile Kanadas mit dem Virus verseucht sind“, sagt Groschup. Mehr als tausend Menschen sind in den USA an der Krankheit gestorben und tausende Pferde. In Österreich starben bereits Habichte an der Krankheit und 2008 kam es in Italien zu einer Epidemie, in deren Verlauf 24 Menschen erkrankten und vier starben.

Auch die asiatische Tigermücke, die bis 1980 nur in Asien zu finden war, breitet sich weltweit aus. Das Tier kann unter anderem das Gelbfiebervirus, das Chikungunya-Virus und das Denguevirus übertragen. „In Deutschland hat diese Mücke sich vermutlich noch nicht etabliert“, sagt Mettenleiter. „Aber irgendwann wird sie auch zu uns kommen.“ Ähnliches gilt für das Nipahvirus, das 1999 erstmals bei Schweinefarmern in Malaysia auftauchte. Bisher ist es auf Asien beschränkt. Aber die meisten Experten erwarten, dass die Krankheit, an der laut Weltgesundheitsorganisation mehr als 250 Menschen gestorben sind, irgendwann auch in Europa auftaucht. „Bei einigen Erregern ist die einzige Frage, die wir noch nicht beantworten können, warum sie nicht schon längst da sind“, sagt Mettenleiter.

Auf all diese Krankheiten will man am FLI vorbereitet sein – und vor allem in der Lage, sie direkt an ihren Wirtstieren zu untersuchen, also auch an großen Tieren wie Schweinen, Rindern oder Pferden. Dafür sind enorme Sicherheitsvorkehrungen nötig. Schon von außen lässt sich erkennen, wo mit den gefährlichsten Erregern hantiert werden wird: Im hintersten Drittel der langen Klinkerfassade enden plötzlich zwei von drei Fensterreihen. Hier entstehen die Labors der Sicherheitsstufe L4. Hier werden die Forscher mit den Erregern hantieren, vor denen sie die Bevölkerung schützen wollen. Dafür begeben sie sich in Lebensgefahr.

Um sie und andere zu schützen, gibt es zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen, die auf der Baustelle bereits erkennbar sind: die Edelstahlduschen, die Materialschleusen, die dicken Metalltüren. Wenn es so weit ist, wird jeder Forscher in einem Ganzkörperanzug stecken mit seiner eigenen Luftzufuhr. Über Mikrofone in den Anzügen können sie miteinander sprechen, stets werden sie von einer Person außerhalb des Labors überwacht.

Wenn die Forscher das Labor verlassen wollen, müssen sie durch Schleusen, in denen Duschen Pflicht ist. Für die Tiere führt der Weg hinaus durch den Keller. Dort steht ein riesiger, mit Kaliumhydroxid gefüllter Metallkessel, in dem der gesamte Tierkörper versenkt werden kann. Von einem großen Rind bleiben dann nur kleine Eiweißschnipsel und ein wenig Knochenstaub übrig.

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