Internationalisierung deutscher Hochschulen: Rekord an ausländischen Studierenden
Noch nie kamen so viele Studierende aus dem Ausland an deutsche Hochschulen wie jetzt. Doch die Abbruchquoten sind hoch. Und deutsche Studierende meiden ferne Länder
Gießt man die Internationalisierung der Hochschulen in Zahlen, dann steht unterm Strich zweifellos eine positive Bilanz. Nie zuvor gab es in Deutschland so viele internationale Studierende. Im Jahr 2014 erreichte die Zahl mit 301 350 ausländischen Studierenden gar einen neuen Höchststand und wuchs damit im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent. Hinter jeder neunten Immatrikulation an hiesigen Hochschulen steht derzeit ein ausländischer Pass; unter den Studienanfängern kommt gar jeder Fünfte aus einem anderen Land. Der Trend gilt auch umgekehrt: Der Anteil der deutschen Studierenden, die ins Ausland gehen, stieg seit 2014 von 32 auf 37 Prozent.
Die Zahlen stammen aus dem Mobilitätsbericht „Wissenschaft weltoffen“, den Bundesforschungsministerin Johanna Wanka gestern gemeinsam mit Margret Wintermantel, Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), in Berlin vorstellte. Als überaus positiv lobten beide die Ergebnisse des Berichts, der jährlich vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung vorgelegt wird und als umfassendes Kompendium zur Wissenschaftsmobilität gilt.
Deutschland legt bei den Zahlen schneller zu als ursprünglich gedacht
Das angestrebte Ziel von 350 000 ausländischen Studierenden im Jahr 2020 werde vermutlich früher erreicht als gedacht, sagte Wanka. Die steigenden Zahlen wertete sie als Beweis für die Attraktivität des deutschen Hochschulsystems insbesondere auf der Master-Ebene. Inzwischen absolvieren dreimal so viele Bildungsausländer einen Master an deutschen Universitäten wie noch 2008; aktuell sind es 67 000. Traditionell besonders begehrt sind die hiesigen Sprach- und Kulturwissenschaften. Den größten Zuwachs um 13 Prozent verzeichnen allerdings die Ingenieurstudiengänge.
Eine Veränderung gibt es bei den Herkunftsländern: Immer noch stehen China und Russland an der Spitze – nun aber gefolgt von Indien, das Österreich auf Platz vier verdrängte und vor wenigen Jahren noch nicht einmal unter den Top Ten der Herkunftsländer vertreten war.
Deutsche Studierende bleiben gerne in den Nachbarländern
Nachdem in den ersten Bologna-Jahren die Mobilitätszahlen stagnierten, packen nun zunehmend auch deutsche Studierende ihre Koffer. Die Umstellung der Studiengänge habe zu Verunsicherungen geführt, insbesondere was die Anerkennung der im Ausland erbrachten Leistungen und die Studiendauer angeht. Hier hat sich was getan: „Drei Viertel der Studierenden haben nach Rückkehr keine Anerkennungsprobleme mehr“, sagte Wintermantel. Das Ziel: Bis 2020 soll jeder zweite deutsche Studierende Auslandserfahrung gesammelt haben.
Weit und breit nur Erfreuliches also? Kritisch äußerte sich vor Kurzem der Stifterverband. Er begrüßte in seinem Hochschulreport zwar ebenfalls die wachsende Internationalisierung. Doch gingen die deutschen Studierenden überwiegend in die Nachbarländer: Österreich, Schweiz, Niederlande. Auch der aktuelle BMBF-Bericht zeigt, dass der Großteil der Deutschen in Westeuropa bleibt, nämlich zu 80,1 Prozent – gefolgt von Nordamerika (8,3 Prozent), Osteuropa (4,8 Prozent), Asien (5 Prozent) und Australien (1,9 Prozent). Aber kann man im vertrauten Terrain wirklich genug Sprachkenntnisse und interkulturelle Erfahrung sammeln?
Internationalsierung soll auch ein ideeller Wert sein
Die Einschätzung des Stifterverbands, es gebe bessere und schlechtere Auslandserfahrungen, wiesen Wanka und Wintermantel empört zurück. „Wir wollten ja gerade den europäischen Raum stärken“, sagte Wanka. Und auch die Fixierung des Stifterverbandes auf die Bleibequoten wollte man sich nicht zu eigen machen. Natürlich sei es erstrebenswert, die Bildungsausländer für qualifizierte Jobs in Deutschland zu halten, sagte Wanka. Wichtig seien aber auch diejenigen, die wieder zurückgehen. Internationalisierung sei kein rein wirtschaftliches Import- und Export-Geschäft, sondern habe auch den ideellen Wert, dass etwa ehemalige DAAD-Stipendiaten in ihren Heimatländern „Freunde Deutschlands“ seien, wie Wintermantel betonte.
Hohe Abbrecherquoten mindern die Freude - Pegida auch
Einige Defizite sind jedoch unübersehbar. Zu allererst sind das die Abbruchquoten von 41 Prozent auf Bachelor-Ebene (Bildungsinländer: 33 Prozent; diese Zahlen stammen allerdings von 2009). Schlecht bestellt ist es auch um die Zufriedenheit der ausländischen Studierenden in Deutschland. Nur 45 Prozent der internationalen Masterstudierenden sind in Kontakt mit ihren deutschen Kommilitoninnen. Außerhalb ihres Studienalltags partizipiert gar nur die Hälfte am sozialen Leben in Deutschland. Studien-Autor Ulrich Heublein sagte, dass es hier noch Forschungsbedarf gebe: Wie lassen sich Studierende mit anderer Bildungssozialisation noch besser in das deutsche System integrieren? „Auch eine Bewegung wie Pegida ist ein Effekt, den wir spüren und der sich auf die Beliebtheit unseres Landes auswirkt“, sagte Wintermantel.
Auf die positive Darstellung des Berichts durch das Bundesforschungsministerium folgte Kritik. Wanka dürfe nicht länger ignorieren, dass es überwiegend finanziell bessergestellte Akademiker-Kinder sind, die es überhaupt ins Ausland schaffen, kommentierte der hochschulpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring. Und das Deutsche Studentenwerk wies auf die finanziellen Hürden der Bildungsausländer hin. Das führe zu Wohnungsnot und zur Isolation in abgelegenen Stadtteilen.