Kunstgeschichte: Raubkunst auf der Spur
Am Kunsthistorischen Institut wird die Sammlung des Unternehmers Abraham Adelsberger erforscht und rekonstruiert. Ein Teil war während der Weltwirtschaftskrise an Banken verpfändet und im Nationalsozialismus aufgelöst worden.
Gleich wird die Lust die Schlafende überwältigen, gleich wird Jupiter in Gestalt eines Satyrs – halb Mensch, halb Ziegenbock – die junge Frau verführen und Zwillinge zeugen: Er hat sich an Antiope herangeschlichen. In der Hand hält er einen Pfirsich als Zeichen der Fruchtbarkeit. Die Geschichte, die Homer in seiner „Odyssee“ und Ovid in seinem Werk „Metamorphosen“ erzählen, hat Maler inspiriert: Rembrandt und Antonio da Corregio, Watteau, Ingres und Tizian – und auch den niederländischen Künstler Hendrick Goltzius.
Seit 2011 hängt sein Gemälde „Jupiter und Antiope“ mit den fast lebensgroßen Figuren in Raum 24 des zweiten Stockwerks der National Gallery in London. Lange Jahre war es zuvor im Besitz des Instituut Collectie Nederland gewesen, einer staatlichen Einrichtung, die nach dem Zweiten Weltkrieg Raubkunst restituieren sollte. „Doch erst im Jahr 2007 führt ein Hinweis dazu, dass Nachforschungen über die Provenienz dieses Bildes angestellt werden“, sagt Yana Slavova, die sich im Rahmen eines neuen Projekts der Freien Universität Berlin mit dem Kunstwerk beschäftigen wird.
Das Gemälde war Teil der Kunstsammlung des jüdischen Spielzeugfabrikanten Abraham Adelsberger (1863–1940), deren Rekonstruktion vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste als ein Beispiel mit Leuchtturmcharakter gefördert wird. Sie seien froh gewesen, neben der Mosse Art Research Initiative (s. Kasten re.) nun eine weitere Sammlung erforschen und rekonstruieren zu können, sagt Meike Hoffmann, die das Projekt als Koordinatorin am Arbeitsbereich von Professor Klaus Krüger am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität leitet: „Der Erfolg unserer Provenienzforschung beruht vor allem auf einem guten Netzwerk. Wir hoffen, dass wir mit Projekten wie diesem das gesamte Forschungsfeld an unserem Institut weiter beflügeln können.“
Als Blechspielzeug-Fabrikant kam Adelsberger zu Wohlstand
Adelsberger hatte es als Hopfenhändler Ende des 19. Jahrhunderts zu einigem Wohlstand gebracht und zog 1897 nach Nürnberg, wo er die Blechspielzeug-Fabrik Fischer & Co. kaufte. „Wahrscheinlich entstand auch in dieser Zeit seine Kunstsammlung“, sagt Kunsthistorikerin Slavova. „Jupiter und Antiope hat er vor 1920 wohl in der Schweiz erworben.“
Nach dem Ersten Weltkrieg florierte das Geschäft mit dem Blechspielzeug zunächst: Adelsberger ließ sich eine Stadtvilla erbauen, in der vermutlich große Teile seiner Sammlung ausgestellt wurden. „Aus einem Katalog aus dem Jahr 1925 wissen wir, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits fast 200 Gemälde gekauft hatte, darunter Peter Paul Rubens’ ,Landschaft mit Kuhherde’ und Werke von Carl Spitzweg, Édouard Manet und Adolph von Menzel; schätzungsweise zudem 500 Kunstgewerbegegenstände wie Meißner Porzellan, Vasen und Möbel und ebenso viele Grafiken“, sagt Yana Slavova. Bei den Gemälden sei heute nur der Verbleib von sieben Werken bekannt. Und noch ein weiteres Problem stelle sich: „Der Katalog enthält lediglich Beschreibungen der Objekte, Fotos sind nicht enthalten.“
Für die Rekonstruktion der Sammlung müssen deshalb zunächst die Kunstobjekte identifiziert werden. In einem nächsten Schritt muss die Forscherin die Provenienz eines jeden Exponats klären: Woher bezog Adelsberger das Stück? An wen hat er es weiterveräußert? Wo befindet es sich heute?
"Beide Seiten vertrauen dem Ergebnis unserer Arbeit"
„Grundlage unserer Forschung ist ein Übereinkommen mit den Kooperationspartnern“, sagt die wissenschaftliche Koordinatorin Meike Hoffmann. „Sie müssen uns sämtliches Material zur Verfügung stellen, das sie besitzen und unsere Neutralität akzeptieren, denn uns geht es um Forschung, nicht um Restitution.“ Diese Rolle helfe auch dabei, später Gespräche zwischen Erben und heutigen Besitzern zu erleichtern. „Beide Seiten wissen, dass wir keine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen und vertrauen daher dem Ergebnis unserer Arbeit.“
Yana Slavova hat bereits im Rahmen ihrer Master-Arbeit mit den Anwälten der Erbengemeinschaft Adelsbergers zusammengearbeitet und viel Material gesichtet. Kürzlich tauchten zudem in einem Amsterdamer Archiv 6000 Blätter über die Kunstsammlung auf, größtenteils handschriftlich verfasst. „Wir vermuten eine Art Familienarchiv, das jedoch nun erst einmal gesichtet und ausgewertet werden muss“, sagt die Wissenschaftlerin, die zudem auf Quellen aus dem Archiv der Dresdner Bank hofft.
In den Jahren der Weltwirtschaftskrise nämlich hatte Adelsberger große Teile seiner Sammlung an das Kreditinstitut „Darmstädter und Nationalbank“ verpfändet, das während der Bankenkrise 1931 mit der Dresdner Bank fusionierte. Teile davon hatte Adelsberger bereits auf Versteigerungen 1930 in Berlin und München zum Verkauf angeboten, die aber anscheinend nicht versteigert wurden.
„Wir vermuten, dass sich Adelsberger von den Verwerfungen der Weltwirtschaftskrise nicht mehr erholt hat“, sagt Yana Slavova. Schon seit 1929 hatte seine Firma Verluste gemacht, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann er das Firmenvermögen zu verkaufen. 1937 enteigneten die Machthaber seine Stadtvilla, 1933 und 1939 tauchten Objekte seiner Sammlung bei Versteigerungen des Auktionshauses Lempertz in Köln auf.
Die Erben erhielten das Gemälde im März 2009 zurück
„Jupiter und Antiope“ konnte Adelsberger noch nach Amsterdam retten, als er 1939 in die Niederlande floh. Seine Erben veräußerten das Gemälde wohl unter dem Druck der Nationalsozialisten im Februar 1941 an den Kunsthändler Dirk Albert Hoogendijk, der es für den zehnfachen Preis an Walter Andreas Hofer weiterverkaufte, den Ankaufsagenten Hermann Görings in den Niederlanden. „Zunächst schaffte man das Bild wohl in den Bunker der Luftwaffe Kurfürst im Wildpark-West bei Potsdam, im Januar 1945 ließ man es zum Schutz vor den Fliegerangriffen zusammen mit anderen Werken nach Berchtesgaden verfrachten, wo es gelagert und nach Kriegsende von den US-Amerikanern gefunden und schließlich an die Niederlande zurückgegeben wurde“, erläutert Yana Slavova.
Die Erben Adelsbergers stießen erst 2007 im Frans-Hals-Museum in Haarlem auf das Gemälde aus der Sammlung ihres Vorfahren und erhielten es im März 2009 nach eingehender Untersuchung des Falles zurück. Auf einer Auktion bei Sotheby’s erzielte der Goltzius im darauffolgenden Jahr einen Erlös von knapp sieben Millionen US-Dollar. Der neue private Eigentümer stellte es der National Gallery leihweise zur Verfügung.
Kooperation: die Mosse Art Research Initiative
Die Sammlung des Berliner Verlegers und Mäzens Rudolf Mosse (1843- 1920) umfasste Tausende Bilder, Skulpturen, kunstgewerbliche Objekte, Bücher und Antiquitäten. Im Rahmen der Forschungsinitiative „Mosse Art Research Initiative“ (MARI), die 2017 von der Mosse-Erbengemeinschaft und der Freien Universität Berlin ins Leben gerufen wurde, wird die Sammlung fast 100 Jahre nach dem Tod des jüdischen Kunstsammlers rekonstruiert. Erstmals kooperieren dabei deutsche Institutionen mit Nachfahren von Opfern der rassischen Verfolgung während des NS-Regimes in einer öffentlich-privaten Partnerschaft. Die Initiative ging von der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus. Darüber hinaus sind zahlreiche Museen und Institutionen in die Forschung eingebunden.
Die Forschungsergebnisse werden auf einem Online-Portal der Freien Universität veröffentlicht: www.mari-portal.de