Probleme lösen bei Pisa: Ratlos am Automaten
Eine neue Auswertung von Pisa 2012 zeigt: Beim Problemlösen sind 15-jährige Schüler in Deutschland nur Mittelmaß. Woran liegt es, dass jeder fünfte nicht um die Ecke denken kann? An ihren Schulen, sagt der Studienleiter.
„Du lernst nicht für die Schule, sondern für das Leben“, bekommen Kinder und Jugendliche zu hören, wenn sie über Hausarbeiten oder Projektaufgaben jammern. Wie gut das 15-jährigen Schülern bereits gelungen ist, ob sie in der Lage sind, „die Alltagsprobleme des 21. Jahrhunderts zu lösen“, hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in 44 Ländern und Volkswirtschaften getestet. „Kreatives Problemlösen“ war ein Aufgabenbereich der internationalen Pisa-Studie von 2012.
Die Ergebnisse für Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften wurden im Dezember vergangenen Jahres vorgestellt, am gestrigen Dienstag folgte nun das Problemlösen. Deutschland schneidet dabei etwas schlechter ab, als es die guten Ergebnisse vom Dezember erwarten ließen: Während 15-Jährige an deutschen Schulen in den Kernfächern und -kompetenzen erstmals seit dem Jahr 2000 teilweise zur internationalen Spitzengruppe aufschlossen, liegen sie beim Problemlösen nur im Mittelfeld. 509 Punkten erzielten die Deutschen durchschnittlich, der OECD-Mittelwert beträgt 500 Punkte. Damit liege Deutschland „im guten Mittelfeld“ – gemeinsam mit Ländern wie Österreich, den Niederlanden, Norwegen, England, Frankreich und den USA, sagte Francesco Avvisati, Hauptautor der Studie aus der OECD-Zentrale in Paris, am Dienstag bei einem Video-Briefing.
Singapur und Korea an der Spitze, Schlusslicht ist Kolumbien
Weltweit führend sind die 15-Jährigen in Singapur (562 Punkte), Korea (561) und Japan (552). Vor Deutschland liegen unter anderem auch Kanada, Australien, und Finnland. Schlusslichter sind Kolumbien, Bulgarien, Montenegro und die Vereinigten Arabischen Emirate, die Punktzahlen zwischen 399 und 411 erzielten. Insgesamt haben weltweit 85 000 Schülerinnen und Schüler in 44 Ländern und Volkswirtschaften an dem Test zum Problemlösen teilgenommen. Für die rund 20 Aufgaben am Computer hatten sie 40 Minuten Zeit. Sie lösten diese Aufgaben zusätzlich zum zweistündigen Pisa-Test, an dem über eine halbe Million Schüler in 65 Staaten teilnahmen.
Unter Problemlösen versteht die Pisa-Studie die Fähigkeit, „Alltagsaufgaben zu lösen, wo eine Lösungsmethode nicht unmittelbar ersichtlich ist“. Bei einer einfachen Aufgabe sollten die Schüler zum Beispiel auf einem Streckenplan herausfinden, wo sich drei Freunde treffen müssen, wenn jeder höchstens 15 Minuten unterwegs sein will (siehe Grafik). In einer schwierigeren Aufgabe wurde verlangt, an einem Fahrkartenautomaten für vier U-Bahnfahrten das billigste Ticket zu kaufen.
In Deutschland schneiden vor allem die schwächeren Schüler noch einmal schwächer ab, als zu erwarten gewesen wäre. Fast 20 Prozent erreichen nicht einmal das Basisniveau (Level 2). Damit ist jeder fünfte Schüler lediglich in der Lage, einfache Probleme in bekannten Kontexten zu lösen. Mit der Bewältigung vieler Alltagsaufgaben wie etwa dem Ticketkauf am Automaten sind sie überfordert. In Japan und Südkorea hat diese Gruppe nur einen Anteil von sieben Prozent.
Vergleichsweise kleine Gruppe der leistungsstärksten Deutschen
Zu den leistungsstärksten Problemlösern (Level 5 und 6) gehören in Deutschland 13 Prozent der Schülerinnen und Schüler. In anderen Ländern ist diese Gruppe deutlich größer: In Japan und Südkorea liegt sie bei über 20 Prozent. Diese Jugendlichen sind in der Lage, komplexe Problem-Szenarien zu erfassen, sie können sich etwa im Umgang mit technischen Geräten fehlende Informationen eigenständig erschließen, vorausplanen und ihre Lösungsstrategien bei Bedarf variieren.
Auffällig für Deutschland ist, dass in der Spitzengruppe Jungen mit 60 Prozent überrepräsentiert sind. Der soziale und ökonomische Hintergrund ist beim Problemlösen weniger prägend als bei den anderen in der Pisa-Studie erhobenen Leistungen. Anders als in der Mathematik würden Problemlösungsfähigkeiten offenbar auch in „nicht schulbezogenen Kontexten erworben“, heißt es in der Studie.
Lehrkräfte haben großen Einfluss auf Kompetenz beim Problemlösen
Das bedeute jedoch nicht, dass die Schule keine Rolle spiele, sagte Studienleiter Avvisati. Lehrpläne und Lehrkräfte hätten großen Einfluss darauf, ob die Jugendlichen in der Lage seien, etwa technische Aufgaben zu bewältigen. Der Studie zufolge zeigen Schülerinnen und Schüler, die in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften gut abschneiden, „in der Regel auch beim Problemlösen gute Leistungen“ und kommen auch mit ihnen nicht vertrauten Problemen außerhalb der Schule klar. „15-Jährige verbringen nun einmal einen Großteil der Zeit in der Schule“, sagte Avvisati. In gut gemachtem Unterricht lernten sie, dass Experimente im naturwissenschaftlichen Unterricht auch auf das Ausprobieren eines elektronischen Haushaltsgeräts übertragbar sind.
Deutschland braucht mehr Projektunterricht für alle Schüler
In Deutschland werde der Schwerpunkt des Unterrichts offenbar nur bei den leistungsstärkeren Schülern auf selbstständiges Lernen und Projektarbeit gelegt, vermutet Avvisati. In Singapur dagegen präge das problembasierte Lernen alle Schulprogramme. In Japan beschäftigten sich Schüler in jedem Schuljahr mit Projekten, die die Klassenlehrer initiieren, bei denen sie aber von Experten unterstützt werden. Von diesen Ländern könnte Deutschland lernen, allen Schülern mehr Möglichkeiten zum selbstständigen Arbeiten zu geben.
Amory Burchard, Tilmann Warnecke
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