Astrophysik: Rasende Partikel aus dem All
Der Icecube-Detektor im antarktischen Eis sollte endlich den Ursprung hochenergetischer Teilchenstrahlung ermitteln. Die als Quelle vermuteten Gammastrahlenausbrüche sind es wohl doch nicht. Die Suche geht weiter.
Vor hundert Jahren wurde sie entdeckt, doch ihr Ursprung ist den Forschern noch immer ein Rätsel: die kosmische Strahlung, ein stetiger Strom hochenergetischer Teilchen, der die Erde aus dem Weltall trifft. Mit „Icecube“, der im Eis der Antarktis installierten, weltgrößten Detektoranlage für Neutrinos, haben Astrophysiker versucht, die Quellen der Teilchenstrahlung aufzuspüren. Ohne Erfolg. Die bisher als aussichtsreiche Kandidaten geltenden Explosionen, sogenannte Gammastrahlungsausbrüche, kommen demnach nicht als Produktionsstätte der kosmischen Strahlung infrage, schreiben die Forscher in „Nature“.
Der österreichische Physiker Victor Hess stieß 1912 bei Ballonflügen auf eine „bislang unbekannte, durchdringende Strahlung“, die seiner Ansicht nach nur „extra-terrestrischen Ursprungs“ sein konnte, da ihre Intensität mit zunehmender Flughöhe anwächst. In den 1930er Jahren erkannten Physiker, dass es elektrisch geladene Teilchen sind – vor allem Protonen –, die mit hoher Geschwindigkeit in die irdische Atmosphäre eindringen.
Pro Sekunde treffen etwa eintausend Teilchen auf jeden Quadratmeter der äußeren Atmosphäre. Stoßen die Partikel mit den Molekülen der Luft zusammen, entstehen bis zu 100 Milliarden Sekundärteilchen. Diese bilden regelrechte Schauer, die sich über mehrere Quadratkilometer erstrecken. Allerdings erreichen nur wenige dieser Teilchen die Erdoberfläche.
Ein Teil der kosmischen Strahlung stammt von unserer Sonne und von explodierenden Sternen, Schwarzen Löchern und Pulsaren in der Milchstraße. Doch die energiereichsten, sprich die schnellsten Teilchen der Strahlung haben ihren Ursprung außerhalb der Milchstraße.
„Wir wissen, dass es diese hochenergetische kosmische Strahlung gibt, aber wir wissen nicht, woher sie stammt“, sagt der am Icecube-Projekt beteiligte Physiker Alexander Kappes vom Standort Zeuthen des Teilchenforschungszentrums Desy. Das Problem: Da die kosmischen Teilchen elektrisch geladen sind, werden sie auf dem Weg zur Erde von Magnetfeldern abgelenkt. So verwischt sich ihre Spur und die Astronomen können aus der Richtung, aus der sie auf die Erde treffen, nicht auf ihren Ursprung schließen.
Die Energie der Teilchen ist millionenfach höher als jene, die mit den stärksten Beschleunigeranlagen auf der Erde erzeugt werden kann. Deshalb kommen nur außergewöhnlich energiereiche Prozesse im Kosmos als Produktionsstätten der Strahlung infrage. Hauptkandidaten sind supermassive Schwarze Löcher und Gammastrahlungsausbrüche, die gewaltigsten Explosionen im Universum. Kappes und seine Kollegen haben nach einem Zusammenhang zwischen Gammastrahlungsausbrüchen und der kosmischen Strahlung gesucht.
Dabei zählen diese Ausbrüche selbst zu den ungelösten Rätseln der Astrophysik. Vermutlich handelt es sich um Explosionen extrem massereicher Sterne, bei denen Schwarze Löcher entstehen. Doch welche Vorgänge dabei genau ablaufen, ist den Forschern bislang unbekannt. Unabhängig von den Details der Explosion müssen dabei neben der Gammastrahlung auch hochenergetische elektrisch geladene Teilchen sowie – und das ist wichtig für das Team von Kappes – Neutrinos entstehen.
Neutrinos sind recht unscheinbare Elementarteilchen mit geringer Masse, die sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durchs All bewegen. Und sie sind elektrisch neutral. Deshalb breiten sie sich, im Gegensatz zu ihren elektrisch geladenen „Kollegen“ der kosmischen Strahlung, geradlinig aus. Auf diese Weise, so hoffen die Forscher,könnten sie ihren gemeinsamen Ursprung verraten.
Zum Leidwesen der Physiker sind Neutrinos jedoch recht scheue Gesellen: Sie treten mit gewöhnlicher Materie kaum in Wechselwirkung. Die meisten Neutrinos durchqueren den gesamten Erdball, ohne eine einzige Reaktion auszulösen. Im Mittel treffen in jeder Sekunde zehn Milliarden dieser Teilchen auf jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche. Um die flüchtigen Partikel nachzuweisen, sind daher große Materiemengen nötig, die aus möglichst reinen Stoffen bestehen, die mit Neutrinos reagieren können.
Ein solcher Stoff ist beispielsweise Wasser. Im Eis der Antarktis liegt es in großen Mengen in ausreichend reiner Form vor. Reagiert ein Neutrino – was selten vorkommt – mit einem Wassermolekül, entstehen elektrisch geladene Teilchen, die fast mit Lichtgeschwindigkeit durch das Eis rasen und dabei Licht aussenden, die Tscherenkow-Strahlung. Nach diesem Licht suchen die Forscher mit Icecube.
Die Detektoranlage im Eis hat die Gestalt eines Würfels mit einer Kantenlänge von je einem Kilometer. Darin haben die Forscher in regelmäßigen Abständen insgesamt 5160 Lichtverstärker versenkt. So können sie das Tscherenkow-Licht einfangen und zudem die Richtung bestimmen, aus der es kommt – und damit auch die Herkunftsrichtung der Neutrinos.
Zwei Jahre lang haben Kappes und seine Kollegen nach Neutrinos gesucht, die bei 300 in diesem Zeitraum registrierten Gamma-Ausbrüchen freigesetzt worden sind. Doch die Wissenschaftler fanden zu ihrer Überraschung kein einziges Neutrino, das zu den Explosionen passt. „Entweder ist unsere Vorstellung falsch, dass Gamma-Ausbrüche eine Hauptquelle der extrem energiereichen kosmischen Strahlung sind“, sagt Kappes. „Oder unsere Modelle von den Vorgängen bei diesen Explosionen basieren auf falschen oder zu stark vereinfachten Annahmen.“ Die Suche nach den Quellen der kosmischen Teilchen geht also weiter.