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Anmutig. Die Leuchtqualle Pelagia noctiluca. In den vergangenen Jahren sind die Tiere immer häufiger im Mittelmeer zu sehen.
© IMAGO

Glibbertiere im Meer: Quallen auf den Tisch

Die Zahl der Quallen nimmt zu. Um der Schwemme zu begegnen, lautet eine Idee: Aufessen. Doch vor dem Verzehr müssen die giftigen Tentakel entfernt werden - was gar nicht so einfach ist.

Quallen sind etwas fürs Auge. Davon kann sich überzeugen, wer ans Mittelmeer reist. Seit ein paar Jahren vergrößern sich dort die Bestände der phosphoreszierenden Leuchtqualle Pelagia noctiluca. Auch die Spiegeleiqualle Cotylorhiza tuberculata, mit einer kräftig gelben Erhöhung auf ihrem Schirm, ist inzwischen häufiger zu sehen.

Doch weil Quallen auch etwas Unheimliches haben und bei Berührung Nesselgift absondern, das je nach Art Hautrötungen, Muskellähmung oder Atemnot bewirken kann, machen viele Menschen einen großen Bogen um die Tiere. So groß, dass Regionen, in denen Quallenplagen vorkommen, mitunter ganz gemieden werden. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des „Medsea“-Projekts (Mediterranean Sea Acidification in a changing climate), das die Übersäuerung des Mittelmeeres erforscht.

Das Mittelmeer wird sauerer

Aufgrund des steigenden Kohlendioxidgehalts in der Luft nimmt das Meer verstärkt CO2 auf, das in Kontakt mit dem Wasser zu Säure wird. Patrizia Ziveri, Umweltwissenschaftlerin an der freien Universität Barcelona und Koordinatorin der Studie, rechnet im Mittelmeer bis 2050 mit einem Säureanstieg von 30 Prozent. Das übersäuerte Wasser bedroht die Artenvielfalt: Es reduziert Fisch- und Muschelbestände, dafür gibt es mehr Quallen. Auch der Tourismus, einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren der Mittelmeerländer, wird leiden. Eine Quallenplage an der israelischen Küste würde bis zu zehn Prozent der Strandurlauber fernhalten, haben die Forscher errechnet.

Auch wenn Quallen Badegästen den Urlaub vermiesen können, sind die Wabbeltiere an der Küste nicht das eigentliche Problem. Nur fünf bis zehn Prozent der Tiere werden angespült. Besorgniserregend sind die riesigen Quallenbestände im offenen Meer. „Wir müssen ihre Lebenszyklen noch genauer untersuchen, um herauszufinden, wie wir gegen die massenhafte Neubildung vorgehen können“, sagt Ziveri. Aus ihrer Sicht ist die Zunahme der Quallen ein Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt mit dem Ökosystem Mittelmeer.

Fressfeinde der Quallen verschwinden

Das steht unter großem Druck. Nach Angaben der EU werden die meisten Fischarten zu stark befischt. Ein weiterer Stressfaktor ist die Erderwärmung. Modellrechnungen zufolge wird sich das Mittelmeer in den nächsten 40 Jahren um 1 bis 1,5 Grad Celsius erwärmen. Zu warmes und übersäuertes Meerwasser beeinträchtigen das Wachstum von Phyto- und Zooplankton, von denen sich Fischlarven ernähren. „Ist weniger Plankton vorhanden, könnte das die Fischbestände weiter schädigen“, sagt Ziveri.

Das übersäuerte Wasser gefährdet insbesondere Organismen mit einem hohen Anteil an Kalk, wie Korallen, die zugleich Kinderstube vieler Meereslebewesen sind. Schrumpfen die Korallenkolonien, finden Schnecken und Fischlarven keinen Schutz mehr vor ihren Feinden und vor der Meeresströmung. Diese Entwicklung kommt Quallen zugute. Ihre natürlichen Fressfeinde wie Thunfische schwinden. Außerdem konkurrieren sie mit weniger Fischen um die Nahrung Plankton.

Seit 600 Millionen Jahren treiben die Tiere durch die Meere

Quallen sind ohnehin widerstandsfähiger als andere Meereslebewesen. Vermutlich seit rund 600 Millionen Jahren treiben sie durch die Meere, überstanden heftige Klimaumschwünge und Meteoriteneinschläge, ohne sich groß zu verändern. Auch mit der Übersäuerung kommen die Quallen gut zurecht, zeigen Untersuchungen im Labor und im Meer, die Ziveri und ihre Kollegen gemacht haben. Selbst trübes Wasser beeinträchtigt die Tiere nicht. Und je wärmer das Wasser wird, umso schneller reproduzieren sich die Quallen.

Das wirft die Frage auf, ob die Tiere dem Menschen womöglich nützlich sein könnten. Tatsächlich werden sie in Ostasien seit langem in der Küche verwendet. Auch in einzelnen europäischen Restaurants steht inzwischen Quallensalat auf der Karte. Die Sterneköchin Carme Ruscalleda kredenzte in ihrem Restaurant bei Barcelona ebenfalls eine Vorspeise aus Quallen – um eine Diskussion anzuregen. „Was uns stört, wird anderswo gegessen“, sagt die Köchin. „Quallen sind köstlich. Sie schmecken wie Austern oder Entenmuscheln.“

Viel Eiweiß und Spurenlemente

Und sie gelten als gesund: Sie sind fettfrei und haben kein Cholesterin. Sie bestehen zwar zu 98 Prozent aus Wasser, doch die Trockenmasse liefert 25 Prozent Eiweiß und Spurenelemente wie Natrium, Kalzium und Kalium. Die Welternährungsorganisation empfiehlt daher, Quallen verstärkt als Nahrungsquelle zu nutzen. Das würde das Quallenproblem nicht lösen, aber wenigstens mildern.

Doch vor dem Verzehr müssen die giftigen Tentakel entfernt werden, per Hand. „Das mühselige Verfahren lohnt sich bei den großen Quallen Asiens“, sagt Francisco Mir. Der Lebensmittelbiologe mit eigener Firma im beschaulichen Hafen von Portixol auf Mallorca erforscht die mediterrane Leuchtqualle als Nahrungsmittel. „Weil die europäischen Quallen so klein sind, müssen wir ein unkompliziertes Verfahren finden, um ihr Gift unschädlich zu machen“, sagt er. Sobald die Tentakel aufwendig entfernt werden müssen, wird die Qualle zu teuer.

Europäische Quallen sind oft zu klein für die Netze

Mir hat verschiedene Verfahren versucht, doch weder die Behandlung der Qualle mit sehr kaltem oder kochendem Wasser noch Einlegen in Essiglösung brachten Erfolg. Immer blieb ein Rest des Gifts wirksam – der Lebensmittelforscher experimentiert weiter. Selbst der Fang ist kompliziert. Die europäischen Quallen sind so klein, dass sie durch die Maschen der Fischernetze rutschen. Engere Netze bringen nichts, denn darin würden nicht nur Quallen, sondern auch viele kleine, junge Fische hängen bleiben. Doch die sollten besser im Meer bleiben.

Stephanie Eichler

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