Hirnforschung: Psychopathen fühlen mit – bei Bedarf
Sie können kaltblütige Verbrechen begehen, ohne Reue. Empathie nutzen sie nur, um andere zu manipulieren.
Fünf Jahre. So lange dauerte es, bis die Neurowissenschaftlerin Harma Meffert 18 Psychopathen überzeugen konnte, sich für die Forschung in einen Hirnscanner zu legen. Immer wieder hatten sie und ihre Kollegen in niederländischen Kliniken für Forensische Psychiatrie Vorträge gehalten und Gewaltverbrecher einzeln angesprochen. „Diese Zeitgenossen sind nicht gerade hilfsbereit“, sagt Christian Keysers, der das Social Brain Lab der Universität Groningen leitet. Erst als sie die Anführer auf ihrer Seite hatten, kamen auch die anderen. „Vermutlich reizte es sie, im Mittelpunkt zu stehen.“ Patient 13 unterbrach immer wieder die Versuche, weil er angeblich auf die Toilette musste. Die Geduld der Forscher zu testen, war eine Abwechslung vom Alltag hinter Gittern.
Keysers interessieren die biologischen Grundlagen des Mitgefühls. Er erforscht Spiegelneuronen, jene Nervenzellen, die nicht nur feuern, wenn man selbst etwas tut oder fühlt, sondern auch, wenn man es beobachtet. Eine Weile wurden sie als Basis aller Menschlichkeit gefeiert. Nun ebbt der Hype ab, auf die Euphorie folgte Kritik: Die Zellen seien nur für das Wahrnehmen einer Situation zuständig, nicht für wirkliches Verstehen und Mitfühlen. „Die Kritik hat geholfen, bessere Experimente zu ersinnen“, sagt Keysers. Dazu gehöre auch, sich die Gehirne jener Menschen genauer anzuschauen, die offenbar ein Problem mit dem Mitgefühl haben: Autisten und Psychopathen.
Die Mühe hat sich gelohnt. Wie Keysers und seine Kollegen nun im Fachblatt „Brain“ schreiben, können Psychopathen sehr wohl Mitgefühl empfinden. Allerdings nur dann, wenn sie es wollen.
Perfekt angepasste Raubtiere
Das ist nicht selbstverständlich. Der Kanadier Robert Hare, der seit den 60er Jahren Psychopathen untersucht, geht davon aus, dass ihnen Empathie fehlt. Er hat einen Test entwickelt, den PCL-R, der weltweit benutzt wird, wenn es um die Diagnose „Psychopath“ geht. In mehrstündigen Interviews und anhand der Lebensgeschichte wird dabei die Neigung zum aggressiven Narzissmus analysiert und ausgelotet, ob der betreffende Mensch einen sehr unsozialen Lebensstil hat. Da Psychopathen notorisch lügen, werden die Angaben nach Möglichkeit überprüft und mit entsprechenden Dokumenten belegt. Patient 13 erreichte in diesem Test eine 40. Mehr geht nicht.
Psychopathen sind nicht verrückt, sagt Hare. Nur anders. Sie sind mitunter sehr intelligent; sie wissen, was richtig und was falsch ist. Sie können sich auch rein rational in ihr Gegenüber hineinversetzen und dessen Perspektive übernehmen. Aber weil sie Gefühle wie Angst oder Liebe anscheinend vermindert empfinden, ist auch ihre Fähigkeit, Mitgefühl, Schuld oder Reue zu fühlen, eingeschränkt, sagt Hare. Sie wirken charmant, sind jedoch skrupellos. Instinktiv finden sie die Schwächen ihrer Mitmenschen und nutzen sie aus: „Sie sind perfekt angepasste Raubtiere.“
Sein Schüler Kent Kiehl von der Universität von New Mexico hat die Gehirne unzähliger Psychopathen gescannt. Kiehls Ergebnis: Ihr paralimbisches System – ein hufeisenförmiges Gebilde tief im Gehirn, das Erfahrungen emotional einfärbt, aber auch für Impulskontrolle und moralische Entscheidungen zuständig ist – sei weniger aktiv und zum Teil sogar strukturell schwächer. Andere Forscher fanden weniger Verbindungen zwischen der Amygdala, dem Zentrum der Angst, und anderen Teilen des Gehirns.
Ein Schalter für Mitgefühl
Trotzdem hält es Keysers für einen Trugschluss, dass Psychopathen wenig oder gar keine Empathie empfinden können: „Sie nutzen sie nur normalerweise nicht.“ Wenn es aber darum geht, ein Opfer um den Finger zu wickeln, könnten sie das Mitgefühl kurzfristig anschalten und so besonders überzeugend wirken.
Für ihre Studie spielte Keysers Team den 18 Psychopathen und 26 Kontrollpersonen im Scanner kurze Filme mit Handbewegungen vor: Einmal schlug eine Hand die andere, einmal streichelte sie, einmal machte sie eine abweisende Bewegung und einmal blieb sie neutral. Später wiederholten die Forscher diese Situationen mit der Hand der Versuchspersonen.
Wie erwartet leuchteten bei den Psychopathen die Hirnteile, mit denen sie Gefühle, Bewegung und Berührung verarbeiten, viel weniger auf, wenn sie die Situationen nur beobachteten statt selbst betroffen zu sein. Ihr Spiegelneuronensystem sprang dann kaum an, meint Keysers. Als sie aufgefordert wurden, sich während der Filme einzufühlen, änderte sich das: Nun war auf den Scans kaum ein Unterschied zwischen Psychopathen und Kontrollgruppe zu sehen. „Sie können also doch mitfühlen. Bei Bedarf“, sagt Keysers. Er glaubt nicht, das die Hirnregionen nur aufleuchteten, weil die Psychopathen die Situation auf Zuruf rein rational nachvollzogen. Dann müsste es schließlich größere Unterschiede zwischen dem eigenen Erleben und dem Beobachten geben.
„Die Frage ist nun: Kann man Psychopathen so trainieren, dass das Mitgefühl automatisch zugeschaltet wird?“, fragt Keysers. Auch Niels Birbaumer vom Uniklinikum Tübingen, der seit langem Psychopathen untersucht, glaubt an ihre Therapierbarkeit: „Keysers Ergebnisse bestätigen, dass man Hirndefizite durch Lernen beeinflussen kann.“ Das grundlegende Problem der Psychopathen sei aber ihre Furchtlosigkeit, erst daraus folge der Mangel an Empathie. Doch egal, worauf ein Training abzielt, ein Problem bleibt: Womöglich haben sie keinerlei Interesse daran, sich zu ändern. Oder – mit den Worten von Hare: „Aus der Sicht eines Psychopathen sind wir es, die eine Fehlfunktion haben.“
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