Berliner Charité: Plagiatsverdacht bei mehr als 20 Doktorarbeiten
An der Berliner Charité stehen mehr als zwanzig Doktorarbeiten unter Plagiatsverdacht. Die Fälle sind auf der Webseite VroniPlag Wiki aufgelistet, die in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche andere Plagiatsfälle öffentlich machte.
Bei zwei der aufgeführten Dissertationen will VroniPlag Wiki auf jeder Seite Stellen gefunden haben, die von fremden Autoren übernommen, aber nicht entsprechend gekennzeichnet wurden. Bei den restlichen Arbeiten fanden sich verdächtige Stellen auf zwanzig bis 75 Prozent der Seiten. (Hier geht es zur Dokumentation der Charité-Fälle von VroniPlag Wiki.)
50000 Dissertationen werden geprüft
Womöglich steige die Zahl der Verdachtsfälle noch, sagt Debora Weber-Wulff, Informatik-Professorin und Plagiatsexpertin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, die als „WiseWoman“ bei VroniPlag Wiki mitarbeitet. Dort würden Schritt für Schritt 50 000 Dissertationen aus der Medizin und der Biologie aus Institutionen im gesamten Bundesgebiet geprüft. Von der Uni Münster, deren Arbeiten zunächst neben denen der Charité besonders intensiv geprüft werden, führt die Webseite 23 Dissertationen unter Plagiatsverdacht auf (die Übersicht findet sich hier).
Sechs Arbeiten wurden bei einem Professor eingereicht
Die Arbeiten haben die VroniPlag-Wiki-Aktivisten aus Open-Access-Plattformen heruntergeladen. Laut Weber-Wulff wurden Arbeiten der Charité zunächst untereinander verglichen. Schon dabei fielen Plagiate auf. Sechs der Arbeiten wurden bei demselben Zahnmediziner eingereicht. Die Autoren sollen sich dabei nicht nur teils aus der Habilitationsschrift ihres Doktorvaters bedient haben, sondern sich auch gegenseitig kopiert haben, ohne das zu kennzeichnen. „Innerhalb der Lehrstühle scheinen Texte munter ausgetauscht zu werden“, sagt Weber-Wulff. Sie vermutet, die Arbeiten würden von den Gutachtern gar nicht gelesen – anders sei es kaum zu erklären, dass diese Stellen später nicht beanstandet würden.
Seitenlange Übernahme von Wikipedia
In weiteren Schritten gleicht VroniPlag Wiki nun die Dissertationen mit den Arbeiten aus anderen Unis sowie mit Wikipedia ab. Dabei kam zum Beispiel heraus, dass ein Charité-Doktorand seitenlang Wikipedia-Einträge übernahm, etwa zur Dialyse und zum chronischen Nierenversagen.
Nun stehen Doktorarbeiten in der Medizin seit langem in der Kritik, wiederholt auch durch den Wissenschaftsrat. So rügte das Gremium im Jahr 2004, es habe sich eine Art „akademisches Gewohnheitsrecht“ bei den Medizinern entwickelt, „demzufolge die Verleihung des Doktorgrades weitgehend unabhängig von der Qualität der Promotionsleistungen erfolgt“. Aus der Vroniplag-Auflistung geht nun hervor, dass einige Arbeiten tatsächliche schmale Werke im Umfang von 24, 30 oder 41 Seiten sind. Weber-Wulff sieht darin „eine Bestätigung, dass in der Medizin oft Wissenschafts-Simulation betrieben wird“.
Die Charité erklärte auf Anfrage, eine Ombudsperson führe eine Voruntersuchung zu den Plagiatsvorwürfen durch. Die Fakultätsleitung werde auf der Grundlage der Untersuchungen und deren Ergebnisse entscheiden, ob Hauptverfahren eingeleitet werden.