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OECD-Studie "Piaac": Pisa für Erwachsene testet Alltagswissen

Am 8. Oktober kommt „Piaac“: Die Studie zeigt, wie gut 16- bis 65-Jährige aus 24 Ländern lesen, rechnen und mit den neuen Medien klarkommen. Ähnliche Untersuchungen lassen kein gutes Ergebnis für Deutschland erwarten.

Sie mussten den Beipackzettel für ein Medikament verstehen, eine Zeitungsgrafik interpretieren oder den Preisnachlass im Supermarkt berechnen. Weltweit haben vom Sommer 2011 bis zum Frühjahr 2012 Menschen im Alter von 16 bis 65 Jahren solche Aufgaben gelöst. Die Ergebnisse dieses „Erwachsenen-Pisa“ werden am 8. Oktober bekannt gegeben. Dann erfährt die Öffentlichkeit in 24 Ländern von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), wie gut ihre erwachsene Bevölkerung lesen, rechnen und mit digitalen Medien umgehen kann. Piaac heißt die neue Studie, das Kürzel steht für „Programme for the International Assessment of Adult Competencies“.

Zwei Monate bevor die Ergebnisse der neuen internationalen Pisa-Studie für 15-jährige Schüler bekannt gegeben werden, geht es jetzt erstmals darum, was Erwachsene können. Droht nach dem Pisa-Schock jetzt der Piaac-Schock?

Piaac ist nicht Pisa, betont die deutsche Studienleiterin vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim (Gesis), Beatrice Rammstedt. Es werde nicht das in der Schule vermittelte Fachwissen getestet. „Wir haben sehr elementare Aufgaben gestellt, um grundlegende Kompetenzen abzufragen.“ Piaac solle zeigen, „wie sich das Grundwissen im Laufe des Lebens individuell verändert und wie sich dabei etwa das Lesen und Rechnen am Arbeitsplatz auswirkt.“

Piacc testet Alltagswissen

Doch warum will die OECD das wissen? Als Wirtschaftsorganisation ist sie daran interessiert, ob die Menschen fit für den Arbeitsmarkt sind, welche Defizite sie haben – und wie man diese beheben kann. Dass ihre Mitgliedsstaaten „lebenslanges Lernen“ fördern sollen, fordert die OECD regelmäßig im Zusammenhang mit Untersuchungen wie „Bildung auf einen Blick“. Die neue Erwachsenen-Studie werde zeigen, in welchen Ländern die größten Kompetenzschwankungen in Abhängigkeit von den Bildungsabschlüssen bestehen und wo es am besten gelinge, Menschen mit einer geringen Schulbildung in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sagt Beatrice Rammstedt. Auf der Homepage ihres Institut liest sich das so: „Piaac wird ein umfassendes Bild des Humankapitals liefern, auf welches die Länder im globalen Wettbewerb zurückgreifen können.“

Gefragt wurde bei Piaac nach Alltagswissen. Bei den Aufgaben zur Lesekompetenz sollten die Testpersonen einfachen Texten eine zentrale Botschaft entnehmen. Eine Aufgabe lautete, den Beipackzettel eines Medikaments zu lesen und anzugeben, ab welchem Alter es eingenommen werden kann. Um ihre mathematische Kompetenz unter Beweis zu stellen, mussten die Teilnehmer rechnen wie im Supermarkt. Dabei galt es etwa, den Preisnachlass zu benennen, wenn man zwei Packungen Kaffee zum Preis von einer erhält. „Problemlösungskompetenz im Kontext neuer Technologien“ hat, wer in der Lage ist, aus einem Jobportal diejenigen Seiten als Lesezeichen zu speichern, die kostenlos nutzbar sind.

Berufliche Qualifikationen stehen bei Piaac nicht auf dem Prüfstand. In einem Zusatzfragebogen sollten die Teilnehmer aber angeben, wie sie ihr Alltagswissen im Beruf anwenden, wie viel sie lesen, schreiben und rechnen müssen und ob sie am Computer arbeiten.

Unausgeschöpfte Potenziale entdecken

Wie die Betriebe die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter nutzen, ist für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) eines der zentralen Themen von Piaac, sagt DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl. „Betriebe müssen heute fragen, was können unsere Leute, welchen Bedarf haben wir und wie entdecken wir unausgeschöpfte Potenziale.“ Die eigenen Mitarbeiter besser zu fördern, würde auch gegen den Fachkräftemangel helfen. Dazu bräuchten die Unternehmen aber eine Weiterbildungskultur. Anbuhl erwartet, dass Piaac dafür ein Signal gibt. Schließlich habe die OECD bereits in den vergangenen Jahren wiederholt kritisiert, dass Deutschland die Erwachsenenbildung vernachlässige.

Obwohl die Bundesregierung im Koalitionsvertrag von 2009 und bei den Bildungsgipfeln Besserung gelobt hat, herrsche bei der Weiterbildung noch immer eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“, kritisiert der DGB-Abteilungsleiter für Bildungspolitik. Je niedriger die soziale Herkunft und der Schul- oder Bildungsabschluss, desto seltener sei die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen. Piaac könne nun wichtige Hinweise geben, wo eine Weiterbildungs-Offensive ansetzen muss, sagt Anbuhl. „Es ist zu befürchten, dass sich das fortsetzt, was wir von Pisa kennen: Der Bildungsstand ist eng an die soziale Herkunft gekoppelt.“

Vorläuferstudien lassen jedenfalls kein gutes Ergebnis für Deutschland erwarten. So ergab die Alwa-Studie (Arbeiten und Leben im Wandel), die 2011 vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung veröffentlicht wurde, dass ein Viertel der befragten 18- bis 52-Jährigen im Lesen und Rechnen lediglich die Kompetenzstufen 1 und 2 erreicht. Ihre Fähigkeiten reichen nicht aus, „um den Alltag zu bewältigen“, hieß es. Alwa ist mit Piaac verwandt, beide gehen auf frühere Pilotstudien der OECD zu einem Erwachsenen-Pisa zurück und sollen künftig in einer gemeinsamen Studie fortgeführt werden.

Sieben Millionen funktionale Analphabeten

Vor zwei Jahren erschütterte auch die Level-One-Studie (Leo) die Öffentlichkeit: Sieben Millionen oder 14,5 Prozent der 18- bis 64-jährigen Deutschen können zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben. Zusammenhängende Texte aber können sie weder verfassen noch verstehen. Sie gelten als funktionale Analphabeten und haben große Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und im Alltagsleben.

Ernüchternd waren im Mai dieses Jahres auch die Ergebnisse einer Studie der Stiftung Rechnen und der „Zeit“. Gut 1000 Deutschen wurden 30 Rechenaufgaben vorgelegt, die „mathematische Kompetenzen im Alltag“ prüfen sollten. Die Hälfte der Getesteten konnte nicht ausrechnen, wie sich eine geänderte Geschwindigkeit auf die Fahrtzeit auswirkt. Rund ein Drittel hatte auch Probleme mit den Grundlagen der Prozentrechnung.

Dabei zeigten sich erwartbare Unterschiede zwischen den Schulabschlüssen: Im Schnitt wurden von den 30 Fragen 20 richtig beantwortet, Teilnehmer mit Hauptschulabschluss lösten 18 Fragen richtig, mit mittlerem Schulabschluss 19 und mit Abitur 23 Fragen. Doch über alle Schulabschlüsse hinweg schnitten diejenigen am besten ab, die zuletzt ein „sehr gut“ in Mathe erreichten – im Schnitt hatten sie 24 Richtige.

Der Lehrstoff aus dem Matheunterricht wird im Alltag kaum angewendet

„Das im Mathematikunterricht Gelernte können viele im alltäglichen Leben nicht anwenden und damit auch nicht nutzen“, bilanzierte die Stiftung Rechnen. Grafiken und Verbraucherinformationen würden nicht verstanden. Zu viel Text führe zu Verwirrung oder Verweigerung. Das sind Erkenntnisse, zu denen auch Piaac führen könnte, wobei die Aufgaben der Stiftung Rechnen wohl anspruchsvoller waren.

Die Piaac-Studienleiterin hofft, dass die Öffentlichkeit am 8. Oktober nicht nur auf die Rangfolge der 24 Teilnehmerstaaten starren wird, sondern sich auch dafür interessiert, „was wir von anderen Ländern lernen können“. Dann könnte Piaac einmal so einen guten Ruf wie Pisa haben, sagt Rammstedt. Sie und ihre Kolleginnen hätten mit dem Begriff „Erwachsenen-,Pisa’“ gearbeitet, um Studienteilnehmer zum Mitmachen zu bewegen – mit Erfolg. Pisa sei für die Leute „die Studie, die etwas bewirkt hat“.

Amory Burchard

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