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Ötzi wirkte körperlich fit, doch ihm drohte ein Infarkt.
© dpa

Genom-Analyse: Ötzi hatte Herzprobleme

Mit Hightech gelangten Forscher jetzt zu einer Krankenakte aus der Jungsteinzeit: Das Genom der Mumie des Steinzeitjägers Ötzi verrät, dass er an etlichen Krankheiten litt - und eine Laktoseintoleranz hatte.

Klein und drahtig war Ötzi, mit knubbeligen Waden und robustem Muskelkorsett. Seine Lebensweise war gesund: viel frische Luft und Bewegung, kein Alkohol oder Tabak, dafür eine gesunde Ernährung. Warum der etwa 45-jährige Jäger aus der Jungsteinzeit trotzdem verkalkte Gefäße hatte, war Forschern bisher ein Rätsel. „Arteriosklerose gilt als Zivilisationskrankheit“, sagt der Humangenetiker Carsten Pusch von der Universität Tübingen. „Verglichen mit den meisten von uns hat Ötzi alles richtig gemacht. Dennoch sehen seine Arterien nicht gut aus. Ohne den tödlichen Pfeilschuss hätte er vermutlich einen Herzinfarkt erlitten.“

Wie Pusch nun gemeinsam mit einem 40-köpfigen Team zeigte, liegt des Rätsels Lösung im Erbgut des Steinzeitmenschen. Ötzi trug sechs Mutationen in sich, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infarkte sowie Gefäßverkalkungen stark erhöhen, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „Nature Communications“. Zusätzlich wurde er auf den Südtiroler Almen von einer Zecke gebissen, die ihn mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi infizierte. „Da wir das Erbgut des Bakteriums im Knochen nachweisen konnten, muss er lange mit einer Borreliose gelebt haben“, erklärt Pusch. Zwar sei unklar, mit welchen Symptomen Ötzi kämpfen musste, doch die Infektion gehe ebenfalls mit einer Gefäßverkalkung einher. „Da kam eines zum anderen“, sagt Pusch. „Der Mann lebte mit einer tickenden Zeitbombe. Für uns ist es ein Glücksfall, dass sich die Puzzlesteine zu einem Bild fügen.“

Positiv überrascht waren die Forscher, dass für die komplette Analyse von Ötzis Genom dank neuester Sequenziertechnik ein kleines Stück Knochen der linken Beckenschaufel ausreichte. Obwohl die Mumie etwa 5300 Jahre alt ist, lieferte die Probe – einen Zentimeter lang und mit einem Durchmesser von einem Millimeter – drei Milliarden DNS-Schnipsel. Genug um etwa 96 Prozent des Erbguts lesen zu können, zum Teil mehrfach. Selbst 60 Prozent des Bakteriengenoms war vorhanden. Ötzi ist somit der erste nachweislich Borreliose-Infizierte der Geschichte.

Zwölf Jahre nach seiner Entdeckung am Südtiroler Tisenjoch schließen sich allmählich die Lücken in Ötzis Steckbrief: Laut Genomanalyse hatte er braune Augen, die Blutgruppe 0 und war laktoseintolerant. Letzteres ist nicht erstaunlich, denn Laktoseintoleranz ist der ursprüngliche Zustand der Menschheit. Milch bekommt in der Natur der Nachwuchs, nur Kinder produzieren daher Laktase – ein Enzym, das den Milchzucker der Muttermilch aufspaltet. Erst als vor 7000 Jahren Ackerbau und Viehzucht aufkamen, hatten diejenigen einen Vorteil, die eine Mutation im LCT-Gen hatten. Bei ihnen wird das Gen nach der Stillphase nicht abgeschaltet, das Enzym zur Milchverwertung steht ihnen weiter zur Verfügung. Mittlerweile ist dieser Großversuch der Evolution in weiten Teilen Europas und Nordamerikas erfolgreich. Zu Ötzis Zeit war das Gegenteil der Fall.

Nicht völlig geklärt ist seine Herkunft. Dass Ötzi im alpinen Raum geboren wurde und aufwuchs, steht seit Jahren fest. Sein Erbgut gleicht jedoch dem von Menschen, die heute auf Korsika und Sardinien leben. „Leider wissen wir sehr wenig über die Wanderbewegungen im Neolithikum“, sagt Pusch. Die Forscher vermuten, dass Ötzis Vorfahren aus dem Kaukasus oder dem Nahen Osten kamen und die Nachfahren über die Alpen weiter zu den Inseln im Tyrrhenischen Meer wanderten. Pusch: „Anhand der Daten eines einzelnen Menschen bleibt das leider Spekulation.“

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