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Bauchnabel
© dpa

Medizin: Operieren ohne Narben

Chirurgen erproben Eingriffe durch natürliche Körperöffnungen. Doch drei von vier Patientinnen lehnen die neue Methode ab.

„Wenn man gar nichts sieht, dann ist es eigentlich am hübschesten“, sagt Carsten Zornig, Leiter der Chirurgie am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg. Nichts sehen heißt in diesem Fall: einen Bauch vor sich haben, dem man nicht anmerkt, dass er operiert wurde. Weil keine Narbe es verrät. Um das zu erreichen, hat Zornig in den letzten Jahren 80-mal eine Operationsmethode namens „Notes“ gewählt. Das steht für „Natural Orifice Translumenal Endoscopic Surgery“, also für Eingriffe, bei denen der Operateur natürliche Körperöffnungen als Zugang für seine Instrumente nutzt.

Was Zornig macht, kommt nur für Frauen infrage: Er entfernt die Gallenblase durch die Scheide. Die Kamera, mit deren Hilfe der Arzt das Operationsgebiet überwacht, sowie ein OP-Instrument gelangen über die natürliche Öffnung in den Körper. Zusätzlich wird ein kleiner Schnitt am Nabel gemacht, durch den ein weiteres Instrument eingeführt werden kann. Bei „Notes“ wird also meist noch von außen „gemogelt“. Weil diese Schnitte winzig sind, könnte allerdings das Risiko für die gefürchteten Bauchdeckenbrüche vermindert sein.

Auch bei Notes-Operationen muss gesundes Gewebe verletzt werden: Um die Bauchhöhle zu erreichen, durchtrennt der Chirurg die hintere Scheidenwand. „Eingriffe in ein biologisches System gehen höchstens bei Wunderheilern ohne Narben ab“, sagt Heinz Buhr, Chirurg am Charité-Campus Benjamin Franklin, mit einem Augenzwinkern.

Nur sind die Narben nach Notes im Körperinneren versteckt. Man kann sich also gänzlich unversehrt im Bikini am Strand zeigen. „Die Patientinnen haben das Gefühl, dass ihre natürliche Integrität gewahrt wird“, sagte der Mannheimer Chirurg Georg Kähler vergangene Woche beim Kongress für Viszeralmedizin in Berlin, bei dem die neue Technik ein großes Thema war. Doch sie wird nicht nur unter Medizinern kontrovers diskutiert: Drei von vier Patientinnen, bei denen die Entfernung der Gallenblase bevorsteht, lehnen dankend ab, wenn ihnen der Zugang über die Vagina angeboten wird, berichtet Zornig: „Sie sagen, das sei ihnen nicht geheuer.“

Für die Skepsis mag es mehrere Gründe geben. Zunächst sind Frauen, denen die Gallenblase entfernt werden muss, meist älter und haben häufig bereits andere Eingriffe hinter sich – Narben sind nicht ihre größte Sorge. Hinzu kommt, dass auch die minimal-invasive Chirurgie (MIC), oftmals als Schlüsselloch-Technik bezeichnet, mit kleinen Schnitten auskommt und nur unscheinbare Narben hinterlässt. Die Technik dürfte sich sogar noch weiter verbessern: „Durch Notes fühlen wir uns angespornt, auch bei der MIC-Technik immer kleinere Zugänge zu suchen“, sagt Zornig.

Eines möchten die Chirurgen bei Notes auf jeden Fall besser machen als bei MIC: Sie wollen in Ruhe Erfahrung sammeln, statt sich durch vorschnelle Versprechungen selbst unter Druck zu setzen. „Die minimal-invasive Chirurgie entwickelte sich wie ein Flächenbrand in den Krankenhäusern, jeder Chirurg war getrieben, die Technik anzuwenden – unabhängig von seinen Fähigkeiten“, kritisiert der Charité-Mediziner Buhr. Die Euphorie habe zu Komplikationen und anfangs sogar zu Todesfällen geführt.

Um das zu vermeiden, soll nun ein nationales Register entstehen, in dem die Erfahrungen – einschließlich der Komplikationen – sorgfältig dokumentiert werden. 150 Gallenblasen- und 15 Blinddarm-Entfernungen mit Notes hat es mittlerweile in Deutschland gegeben. Aber noch fehlen Studien, in denen die verschiedenen Verfahren nach streng wissenschaftlichen Prinzipien miteinander verglichen werden.

Begonnen hat alles in Indien. Dort übten die Operateure zunächst an Hühnern, bei denen sie sich über Mund und Magen mit einem Endoskop den Weg zum Blinddarm bahnten. Bald darauf folgten ähnliche Blinddarmoperationen bei Menschen.

„Eine große Herausforderung ergibt sich am Ende der Operation beim Verschließen der verletzten Magenwand oder jedes anderen Organs, in das der Schnitt gemacht wurde“, sagt der Augsburger Internist Helmut Messmann. Bisher werden dafür Metallclips verwendet, die über das Endoskop angelegt werden. Aber auch für dieses Verfahren fehlen Langzeitstudien, die beispielsweise das Risiko von Verwachsungen erfassen.

Die Pioniere der neuen Technik arbeiten unter erschwerten Bedingungen, denn handelsübliche Endoskope sind noch nicht für Notes ausgelegt, starre wie biegsame Rohre haben Nachteile. Je größer das Interesse für die neue Zugangsart, desto besser sind andererseits die Chancen auf technische Neuentwicklungen. Dieses präzisere Handwerkszeug würde nicht zuletzt den Internisten bei komplizierteren Magen- oder Darmspiegelungen nützen.

Überhaupt ist die Frage, wer künftig Spezialist für Notes sein wird: die Chirurgen, weil sie für die Entfernung von Gallenblase und Blinddarm traditionell zuständig sind? Oder die Magen-Darm-Spezialisten, weil sie sich dem Körperinneren schon länger durch die natürlichen Öffnungen nähern? Der Hannoveraner Gastroenterologe Peter Meier fand beim Kongress viel Zustimmung, als er Notes eine „verbindende Technik“ nannte. Nicht allein die sichtbaren Narben, sondern auch die Grenzen zwischen den medizinischen Fachgebieten könnten durch das neue Verfahren schwinden.

Adelheid Müller-Lissner

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