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Aus der Uni auf den Markt: Ohne Idealismus geht es nicht

Von Geistesblitzen und Erfahrungswerten: Zwei Gründer berichten über ihren Weg zum Unternehmer - und wie die Freie Universität sie dabei unterstützt hat.

„Die Entscheidung, ein Unternehmen zu gründen, trifft man nicht von heute auf morgen. Sie wächst über längere Zeit heran“, sagt Amelie Wiedemann. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Gesundheitspsychologie der Freien Universität hat sie sich mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz beschäftigt und fand es immer wieder spannend, über den Nutzen ihrer Forschung für die Gesellschaft nachzudenken. Den universitätsweiten Ideenwettbewerb Research to Market Challenge nahmen die promovierte Psychologin und ihr Kollege Daniel Fodor, der am Institut für medizinische Psychologie der Charité für seine Doktorarbeit forscht, zum Anlass, eine lang gehegte Idee zu Papier zu bringen. Beide reichten das Konzept für „Dearemployee“ ein und gewannen prompt einen Hauptpreis.

Das Team will Big-Data-Anwendungen nutzen, um psychische Gefährdungen in Unternehmen zu identifizieren. Seit 2013 sind Arbeitgeber in Deutschland verpflichtet, mögliche Gefahrenquellen für die Psyche ihrer Mitarbeiter zu identifizieren und Abhilfe zu schaffen. Dafür setzen Wiedemann und Fodor maschinelles Lernen ein und Data-Mining-Verfahren – also Methoden, um Informationen und Muster in großen Datenmengen zu erkennen. Denn in den Ergebnissen von Online-Befragungen und in Kennzahlen wie Überstunden und Krankenstand lassen sich Muster erkennen, die Aufschluss über Risiken und Ressourcen für die psychische Gesundheit geben. Auch passende Maßnahmen soll das System vorschlagen – aber nur solche von zertifizierten Anbietern.

Einige Wochen nach dem Wettbewerb hatten Wiedemann und Fodor ihre Gründungsabsicht öffentlich gemacht. „Daraufhin kamen aus unserem Netzwerk Anfragen von Unternehmen, die unsere Kunden werden wollen.“ Zusammen mit Profund Innovation stellten beide einen Antrag auf ein EXIST-Gründerstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums, das Jungunternehmern in der Gründungsphase für ein Jahr den Lebensunterhalt sichert. „Falls wir das Stipendium nicht bekommen sollten, machen wir aber trotzdem weiter“, sagt Wiedemann. Ihre Eltern – beide selbstständig – haben sie von Anfang an ermutigt, auch ihr Mann trage die Entscheidung mit: „Das war mir wichtig, schließlich haben wir zwei Kinder zu versorgen.“

Ihren wissenschaftlichen Hintergrund sieht die Psychologin als klaren Vorteil, auch weil er bei potenziellen Kunden einen Vertrauensvorsprung schafft. In Rechts- oder Finanzierungsfragen etwa will sie sich beraten lassen. Ihr Fazit: „Ich freue mich darauf, Sachen zu machen, für die ich mich begeistern kann. Mein Leben wird sicher nicht ruhiger. Aber es ist ein schönes Abenteuer.“

Die Idee entstand durch eine Panne im Labor

Florian Hauer ist da schon einen Schritt weiter: Vom Gründungsmythos, dem Aha-Erlebnis jedes Gründerteams, hat er schon so oft erzählt, dass er die Geschichte auf das Wesentliche reduziert: „Die Idee entstand, als mein Mitgründer Simon Bungers und ich im Labor arbeiteten. Weil eine Aufzeichnung in einem Laborbuch aus Papier nicht mehr lesbar war, musste die Arbeit eines ganzen Jahres wiederholt werden.“ Mit einem elektronischen System wäre das nicht passiert, dachten sich die promovierten Molekularbiologen und beschlossen, eine Software für das digitale Management von Labordaten zu entwickeln.

Heute wird „labfolder“ weltweit von mehr als 12 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern genutzt, Tendenz steigend. Die Forscher können damit Informationen auf dem Computer sowie aus Datenbanken, Tablets und Laborgeräten verknüpfen, verwalten und halten gleichzeitig automatisch Laborrichtlinien und Industriestandards ein. Die Plattform erleichtert auch die Datenanalyse und die Zusammenarbeit mit Kollegen über Abteilungen und Kontinente hinweg.

„Die Datenmengen in der Forschung wachsen exponentiell und sind ohne digitales Datenmanagement nicht mehr zu bewältigen“, sagt Florian Hauer. Sein Team hatte die richtige Idee zur richtigen Zeit, und so ließen ein EXIST-Gründerstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums, mehrere Auszeichnungen in Gründerwettbewerben, Investoren und die Kundennachfrage nicht lange auf sich warten. Dank eines Rahmenvertrags können seit Kurzem beispielsweise alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft das digitale Laborbuch nutzen.

Den Wunsch zu gründen hegten Simon Bungers und Florian Hauer jedoch schon vor dem Geistesblitz. Der Sprung vom Wissenschaftler zum Unternehmer sei gar nicht so groß, meint Florian Hauer, denn die Arbeit in öffentlich finanzierten Forschungsprojekten berge aufgrund befristeter Verträge wie das Unternehmertum viele Risiken. Zudem lerne man in der Forschung, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten. „So stellt man fest, dass Steuerrecht kein Hexenwerk ist.“ Die Verantwortung für Mitarbeiter zu tragen, sei allerdings eine neue Erfahrung gewesen, sagt Hauer: „Als Geschäftsführer habe ich zwar viel Gestaltungsfreiheit, bin aber zugleich der größte Diener meiner Firma.“ Da sei es nicht immer leicht, es allen recht zu machen. Angehenden Gründerinnen und Gründern wie Amelie Wiedemann möchte Florian Hauer vor allem zwei Tipps mit auf den Weg geben: „Am Anfang fiel es mir schwer, Aufgaben abzugeben. Tatsächlich funktioniert es aber sehr gut, dank meiner tollen Kollegen.“ Und: „Auch Probleme wird es leider immer geben. Nur wer dann fest an die Sache glaubt, kann den Weg bis zum Ende gehen.“

Diese Unternehmen starteten ebenfalls aus der Freien Universität

Seit 2006 wurden rund 130 Kapitalgesellschaften aus dem Umfeld der Freien Universität gegründet. Vier weitere Beispiele aus jüngerer Vergangenheit sind:

Humedics: Der Tüv für die Leber

Alleine in Deutschland leiden mehrere Millionen Menschen an Lebererkrankungen. Mit dem LiMAx-Test kann der Arzt innerhalb weniger Minuten mithilfe der Atemluft des Patienten messen, wie gut dessen Leber funktioniert und die Behandlung anpassen. Der Test wurde von Martin Stockmann, außerplanmäßiger Professor an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Karsten Heyne, Professor für Physik an der Freien Universität, entwickelt. Um die Entwicklung für den Klinikalltag auf den Markt zu bringen, gründeten sie 2009 die Humedics GmbH, die bis jetzt etwa 15 Millionen Euro Kapital von Investoren erhielt und derzeit 14 Mitarbeiter beschäftigt. Der LiMAx-Test wurde mehr als 15 000 Mal angewendet, die für eine Marktzulassung erforderliche Phase-III-Studie konnte erfolgreich abgeschlossen werden.

trinckle: 3D-Druck einfach nutzen

Der führende Onlineanbieter für 3D-Druck in Deutschland heißt trinckle 3D. Auf der Onlineplattform können Profis und Laien schnell und einfach ihre digitalen Designs in 3D drucken lassen. Das Start-up nutzt Industriemaschinen, hat viele Prozesse automatisiert und kann somit hohe Qualität und gute Beratung zu günstigen Preisen bieten. Zudem hat trinckle 3D eine webbasierte Software entwickelt, mit der Modelle aufbereitet oder individualisiert werden können. Das Unternehmen wurde 2013 von Marlene Vogel, Gunnar Schulze und Florian Reichle an der Freien Universität gegründet. Ein Jahr später beteiligten sich der Frühphasenfonds Brandenburg und die bmp Beteiligungsmanagement AG als Investoren. Derzeit arbeiten zwölf Mitarbeiter in Hennigsdorf bei Berlin.

Companisto: Investieren für jedermann

Beim Crowdinvesting schließen sich Anleger zusammen, um sich gemeinsam mit Wagniskapital an Start-ups zu beteiligen. Die Juristen David Rhotert und Tamo Zwinge gründeten im Jahr 2012 die Plattform Companisto, um erstmals auch Privatanlegern zu ermöglichen, in junge Wachstumsunternehmen zu investieren. Die Investoren können einen Betrag ihrer Wahl anlegen und erhalten eine Beteiligung an den Gewinnen und beim Verkauf des Start-ups. Inzwischen ist Companisto Marktführer für Crowdinvesting in Deutschland, Österreich und der Schweiz und beschäftigt 20 Mitarbeiter. Über 63 000 Investoren haben sich derzeit mit insgesamt mehr als 34 Millionen Euro an 68 Finanzierungsrunden für Start-ups und Wachstumsunternehmen beteiligt.

Erdforscher Labor: Lernen durch Mitmachen

In ihrem Geologie-Studium wurde die vierfache Mutter Anika Tüngerthal häufig an die Zeit erinnert, als sie im Kinderzimmer noch über die Nachbildungen von Saurier-Skeletten stolperte. So entstand die Idee für das Erdforscher Labor – ein Mitmachlabor für Kinder mit spielerisch-unterhaltsamem Charakter. Im Jahr 2015 richtete die Gründerin kindgerechte Laborräume in Berlin-Schöneberg ein, damit Kinder und Jugendliche dort ausprobieren können, was auch große Forscher machen – zum Beispiel Roboter bauen, Dampfmaschinen herstellen und Gesteine präparieren. Inzwischen arbeiten etwa 15 Dozenten für die Erdforscher. Kunden sind Firmen, Grund- und Oberschulen ebenso wie Privatpersonen jeden Alters, die in Kursen und auf Veranstaltungen Spaß an Themen aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik haben wollen.

Marion Kuka

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