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Stammzellforscherin Haruko Obokata
© AFP

Umstrittene Stammzellen aus dem Säurebad: Obokata manipulierte und plagiierte

Die Stammzellforscherin Haruko Obokata hat Teile ihrer gefeierten Studie gefälscht. Trotzdem könnte die Technik funktionieren.

Japan könne stolz auf diese junge Wissenschaftlerin sein, sagte der Bildungsminister Hakubun Shimomura Ende Januar. Die Medien des Landes sahen in der erst 30-jährigen Haruko Obokata bereits eine Kandidatin für den Nobelpreis. Schließlich hatte sie eine verblüffend einfache Methode gefunden, um Zellen aus der Milz von Mäusen wieder in Stammzellen umzuwandeln. Man müsse sie nur ungewohntem Stress aussetzen, schrieben Obokata und ihre Kollegen in zwei Studien im Fachmagazin „Nature“. Ein kurzes Säurebad reiche aus, um Alleskönner-Zellen zu produzieren.

Sie nannten den Nachschub aus der Petrischale STAP-Zellen. Die neue Methode könnte die regenerative Medizin vorantreiben, hieß es. Das angesehene Riken-Zentrum für Entwicklungsbiologie in Kobe, wo Obokata seit 2013 ein Labor für zellulare Reprogrammierung leitet, hatte ein neues Aushängeschild.

Am Dienstagmorgen trat nun der Präsident der Riken-Institute, Chemie-Nobelpreisträger Ryoji Noyori, mit sehr ernster Miene erneut vor die Presse. Es ging um nicht weniger als den guten Ruf von Riken. Denn jetzt steht fest: Zumindest Teile der gefeierten Stammzellstudie sind gefälscht.

Obokata hat unsauber gearbeitet

Obokata hat zwei Sets von Bildern vorsätzlich manipuliert. Ein Foto, das die Vielseitigkeit der Zellen belegen sollte, zeigte nichts, was aus den im Säurebad produzierten STAP-Zellen entstanden ist. Zu sehen war vielmehr Gewebe, das sie während ihrer Dissertation gezüchtet hatte – aus Stammzellen, die sie auf eine andere Art und Weise gewonnen hatte. In einem anderen Bild hat sie die Fotos von zwei verschiedenen Experimenten zusammenmontiert. Auch das bewertete die sechsköpfige Riken-Kommission als vorsätzliche Manipulation. Ein klares Plagiat fanden sie im Methodenteil des Papers: Zwei Absätze wurden beinahe wortwörtlich von einer anderen Studie übernommen. An dieser Studie war Obokata nie beteiligt. Eine Quellenangabe fehlte.

Die anderen Autoren hätten zwar nicht selbst gefälscht. Doch auch sie tragen eine schwere Verantwortung, heißt es in einer gestern veröffentlichten Stellungnahme von Riken. Sie hätten ihre Sorgfaltspflichten verletzt und so das Fehlverhalten erst möglich gemacht. Zu den Autoren gehören die Riken-Forscher Yoshiki Sasai und Hitoshi Niwa, die als besonders gute und integre Stammzellforscher gelten. Ihre Namen verliehen dem Manuskript enorme Glaubwürdigkeit.

„Ich entschuldige mich dafür, dass Riken-Forscher das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft beschädigt haben“, sagte Noyori. Wenn das Fehlverhalten außer Frage steht, werde er die betreffenden Studien zurückziehen. Ein Disziplinarkomitee werde entscheiden, mit welchen Konsequenzen die Autoren zu rechnen haben. Es solle „streng, aber fair“ zugehen, sagte Noyori. Es gehe nicht um persönliche Attacken oder die Verletzung der Menschenrechte einzelner Autoren. Obokata wird gegen den Bericht Berufung einlegen, kündigte sie gestern an. „Ich bin empört und überrascht.“

Riken-Wissenschaftler versuchen nun, selbst STAP-Zellen herzustellen

Ob es die STAP-Zellen jemals gab, soll innerhalb eines Jahres geklärt werden. Riken-Wissenschaftler werden versuchen, den Erfolg zu wiederholen und dabei das Protokoll sehr genau befolgen. Sie werden unabhängigen Wissenschaftlern jede Hilfestellung geben, die diese anfordern.

„Obokata hat sehr unsauber gearbeitet. Das geht so nicht, das ist gar keine Frage“, sagt auch Besser vom Deutschen Stammzellnetzwerk am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch. Der Forscher koordiniert das deutsche Stammzellnetzwerk. „Aber allein aus diesem Fehlverhalten kann man nicht schließen, dass die Methode gar nicht funktioniert.“ Es sei jedoch keinesfalls so einfach, wie es beim Lesen der „Nature“-Studien klang. Der Teufel stecke oft im Detail. „Der Hype kam viel zu früh. Eine Quelle ist keine Quelle“, sagt er.

Stammzellforscher aus aller Welt haben in den letzten zwei Monaten versucht, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Daten den Erfolg zu reproduzieren. Es gelang keiner einzigen unabhängigen Gruppe. Die Fehlschläge wurden unter anderem in Blogs gesammelt, aber auch auf der Webseite „PubPeer“ und im „Open Review“ des Forschernetzwerkes ResearchGate – einer Art Facebook für Forscher, das in Berlin gegründet wurde. Charles Vacanti von der Harvard Medical School in Boston, einer der Autoren der Studie und ehemals Betreuer von Obokata, veröffentlichte daraufhin ein detailliertes und modifiziertes Protokoll, mit dem er angeblich STAP-Zellen herstellen kann.

Aus China kam eine Erfolgsmeldung

Einige Stunden nach der Riken-Pressekonferenz in Japan kam eine Erfolgsmeldung aus China. Kenneth Ka-Ho Lee und sein Team von der Chinesischen Universität von Hong Kong bestätigten gestern auf ResearchGate, dass Vacantis Methode funktioniert. Allerdings reicht dafür nicht allein das Säurebad. Die Zellen müssen zusätzlich immer wieder durch kleine Pipetten-Öffnungen gepresst werden. Die Prozedur war so heftig, dass Kenneth Ka-Ho Lee das Experiment nach drei Tagen abbrach. Sonst würden alle Zellen sterben, fürchtete er. Trotzdem fand er STAP-Zellen in seinen Petrischalen. „Ich bin geschockt und verwundert über die Ergebnisse zu unseren STAP-Zellen und den Kontrollzellen“, schrieb er auf ResearchGate „Sprachlos.“

An den Riken-Zentren arbeitet derweil eine Kommission an neuen Regeln. Man wolle junge Forscher fördern, hieß es. Gleichzeitig solle eine gegenseitige Kontrolle vor der Publikation wichtiger Studien verhindern, dass die Unerfahrenheit und Sorglosigkeit im Umgang mit wissenschaftlichen Standards einzelner junger Forscher noch einmal zu einem Fiasko führen können, sagte Noyori. „Wir wollen ihnen Freiheit bieten. Und Führung.“

Jana Schlütter

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