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Ein verrostetes Straßenschild in der Nähe des ehemaligen Vernichtungslagers weist auf den Ort Sobibor hin.
© Kacper Pempel/Reuters
Exklusiv

Bilder aus Vernichtungslager Sobibor: NS-Täter Demjanjuk nicht sicher identifiziert

Ob die neu aufgetauchten Fotos aus dem Nachlass eines hochrangigen Nazis John Demjanjuk zeigen, ist nicht gesichert. Die eigentliche Sensation liegt woanders.

Auf den neu aufgetauchten Fotografien aus dem Nachlass des einstigen stellvertretenden Kommandanten des Vernichtungslagers Sobibor ist der NS-Täter John Demjanjuk nicht mit Sicherheit zu sehen. Das stellte am Montag die Forschungsstelle Ludwigsburg klar.

Die Nachrichtenagentur dpa hatte gestern mit Verweis auf das NS-Dokumentationszentrum Topographie des Terrors berichtet, die Anwesenheit des 2011 in Deutschland wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Jüdinnen und Juden verurteilten SS-Gehilfen Demjanjuk werde auf den Bildern fotografisch bestätigt.

Die Identifizierung Demjanjuks korrigiert der Historiker und wissenschaftliche Leiter der Forschungsstelle Ludwigsburg, Martin Cüppers, der den Bilderfund gemeinsam mit dem Bildungswerk Stanislav Hantz ediert. Die Sammlung soll der Öffentlichkeit am 28. Januar in der Topographie des Terrors präsentiert werden.

„Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass Demjanjuk auf zwei der über 350 Bilder zu sehen ist“, sagt Cüppers. Dass es sich tatsächlich um Demjanjuk handelt, sei aber keineswegs gesichert. Das Augenmerk auf diese Personalie zu richten, werde außerdem dem eigentlichen Inhalt der Sammlung nicht gerecht. Unter der Überschrift "Sensationeller Bilderfund zum Holocaust" hat die Topographie zur Pressekonferenz eingeladen - und dabei die Identifizierung Demjanjuks hervorgehoben.

Archäologische Arbeiten auf einem Freigelände am Waldrand, im Hintergrund ist ein gemauertes Mahnmal zu sehen.
Bei archäologischen Grabungen auf dem ehemaligen Lagergelände in Sobibor wurden 2014 Grundmauern der 1943 gesprengten Gaskammern freigelegt.
© Wojciech Pacewicz/picture alliance/dpa

Die Bilder dokumentieren aber vor allem die Lebensgeschichte des NS-Verbrechers Johann Niemann, dessen Karriere im Konzentrationslager Esterwegen begann, sich in den „Euthanasie“-Tötungszentren der „Aktion T4“ fortsetzte und schließlich in Sobibor kulminierte. Dort wurde Niemann am 14. Oktober 1943 von revoltierenden jüdischen Häftlingen getötet.

Erstmals Einblicke ins Vernichtungslager Sobibor

Was ist nun das wirklich Sensationelle an dem Bilderfund? Er liefere erstmals detaillierte Einblicke in das Erscheinungsbild des Lagers Sobibor, erklärt Martin Cüppers dem Tagesspiegel. Zudem geben die Bilder Auskunft über das Vernichtungspersonal der erinnerungspolitisch vergleichsweise unterrepräsentierten „Aktion Reinhard“, in deren Verlauf im sogenannten „Generalgouvernement“ 1,8 Millionen überwiegend osteuropäische Jüdinnen und Juden ermordet wurden.

Zu den Tätern in den drei Lagern Belzec, Treblinka und Sobibor zählen auch die in der Regel aus Ländern der Sowjetunion stammenden Trawniki, die der SS vor Ort dabei halfen, die Massenvernichtung ins Werk zu setzen und zu denen auch Demjanjuk gehörte.   

Bislang waren aus Sobibor insgesamt bloß zwei Fotografien bekannt. Die eine zeigt den Kommandanten Franz Stangl, feiernd mit anderen Sobibor-Akteuren auf dem Lagergelände. Die zweite zeigt schemenhaft einige Personen und zwei Baracken aus dem Lager I, in dem die Zwangsarbeiter interniert waren. Die schmale Überlieferung lässt sich auf die Umstände zurückführen, unter denen die „Aktion Reinhard“ beendet wurde.

So gab es in den besetzten, aber nicht annektierten polnischen Gebieten ab Winter 1943 faktisch keine Juden mehr. Anders als in dem von der Roten Armee befreiten Konzentrationslager Auschwitz hatten die Nazis in den „Reinhard“-Lagern Zeit, die Spuren ihrer Verbrechen gründlich zu verwischen.

Die Bilder der Niemann-Sammlung werden demnächst vom Bildungswerk Stanislav Hantz und der Forschungsstelle Ludwigsburg an das United States Holocaust Memorial Museum in Washington übergeben. Genauere Informationen zu Inhalt und historiographischem Wert der Fotos und Dokumente sind bis zur offiziellen Präsentation am 28. Januar mit einer strengen Sperrfrist belegt.

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