Die Stoffwechsler: Nobelpreis für chemische Partnervermittlung
David MacMillan und Benjamin List haben besonders effektive Katalysatoren entdeckt. Sie sollen die Chemie „grüner“ machen.
„Chemie“ hat vielfach ein schlechtes Image. Beim näheren Hinsehen aber ist ein modernes Leben ohne chemische Produkte nicht vorstellbar. Von der Hautcreme über Duftstoffe im Deo, die Solarzelle auf dem Dach, Kunststoffe für Möbel und Fahrzeuge, Akkus für Handys bis zu lebensrettenden Medikamenten. All dies verdanken wir chemischen Reaktionen, von denen sehr viele eben nicht spontan ablaufen, sondern angestoßen werden müssen. Dies geschieht mittels Katalysatoren - Substanzen, die eigentlich reaktionsunwillige Zutaten dazu bringen, eben doch eine Verbindung einzugehen.
Die Bedeutung der Katalyse wird schnell unterschätzt. Tatsächlich ist sie laut Nobelpreiskomitee mit etwa einem Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung verbunden. Jetzt hat das Gremium entschieden, zwei Pioniere auf diesem Gebiet mit der höchsten Auszeichnung zu ehren. Der mit umgerechnet rund 980 000 Euro dotierte Chemie-Nobelpreis geht zu gleichen Teilen an Benjamin List vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr und David MacMillan von der Princeton University in den USA.
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Klein und organisch statt groß oder giftig
Beide entdeckten vor gut 20 Jahren unabhängig voneinander eine neue Klasse von Katalysatoren, mit denen chemische Prozesse schneller und gezielter ablaufen. Sie basieren auf speziell aufgebauten organischen Molekülen, weshalb das Prinzip als Organokatalyse bezeichnet wird. Sie habe großen Einfluss, insbesondere auf die Pharmaforschung, und mache die Chemie insgesamt „grüner“, argumentiert das Komitee.
Bis zu den Durchbrüchen von List, MacMillan und ihren Teams dominierten zwei Typen von Katalysatoren die Chemie. Da sind zum einen Metalle. Sie können Elektronen aufnehmen oder abgeben und sind daher gute „Partnervermittler“. Aber etliche dieser Katalysatoren sind sehr empfindlich und benötigen eine Umgebung ohne Sauerstoff oder Feuchtigkeit. Im Labor lässt sich das managen, in großen Industrieanlagen ist das schon schwieriger. Zudem sind viele Katalysatoren umweltgefährdende Schwermetalle.
Die zweite Gruppe sind Enzyme, Verbindungen aus zahlreichen Aminosäuren. Sie werden vor allem für die asymmetrische Katalyse genutzt. Hier geht es darum, Moleküle mit einer bestimmte Form zu erzeugen. Viele organische Moleküle kommen nämlich in zwei verschiedenen Ausprägungen vor, bei denen die Zahl und Art der Atome gleich ist, ihre räumliche Anordnung aber spiegelbildlich. Wie die beiden Hände eines Menschen, die jeweils vier Finger und einen Daumen haben, aber nicht deckungsgleich sind.
Spiegelbilder mit unterschiedlicher Wirkung
Diese „Händigkeit“ zweier Moleküle beeinflusst erheblich ihre Wirkung. Während die eine Ausprägung einen gewünschten Effekt bringt, kann die andere nutzlos oder gar schädlich sei. Traurige Berühmtheit hat Thalidomid erlangt, das unter dem Markennamen Contergan verkauft wurde. In der einen Variante wirkte das Molekül beruhigend und wurde daher als Schlafmittel verschrieben. Die spiegelbildliche Variante, die bei der Herstellung ebenso entstand, bewirkte schwere Fehlbildungen bei Embryonen.
Daher ist es sehr wichtig, in der Produktion nur die gewünschten Moleküle zu erzeugen. Enzyme können das gut, doch es sind mitunter gewaltige Moleküle aus hunderten Aminosäuren, die aufwändig hergestellt werden müssen. Das brachte Benjamin List auf eine Idee. Er war damals Ende der 1990er-Jahre am Scripps Forschungsinstitut in La Jolla (Kalifornien) und arbeitete an katalytischen Antikörpern. Er fragte sich: Müssen die Aminosäuren unbedingt in diesen Riesenmolekülen eingebaut sein, um ihre Wirkung zu entfalten? Oder können sie als eigenständige Moleküle das gleiche bewirken?
List erinnerte sich, dass es in den 1970er-Jahren Versuche gab, eine Aminosäure namens Prolin (siehe Bild) als Katalysator zu nutzen. Die Sache war im Sande verlaufen und List versuchte es nun erneut, dieses Mal mit Aldolreaktionen. Dabei geht es darum, Kohlenstoffatome aus zwei verschiedenen Molekülen miteinander zu verbinden. Und es funktionierte hervorragend. Mehr noch: Als Produkt entstanden eben nicht zwei spiegelbildliche Moleküle zu gleichen Teilen, sondern bevorzugt ein Typ.
List erkannte das Potenzial, das Prolin bot. Verglichen mit Metallen oder Enzymen ist dieses simple Molekül ein „Traumwerkzeug“, wie das Nobelpreiskomitee sagt. „Es ist einfach, billig und umweltfreundlich.“ Und es ist, wie sich in den folgenden Jahre zeigt, nur eines von vielen organischen Molekülen, die die asymmetrische Katalyse erheblich vereinfachen.
Es ist nicht Lists alleiniger Verdienst. Zeitgleich arbeitete David MacMillan, nur etwas weiter nördlich an der University of California in Berkeley, an einem ähnlichen Problem. Er hatte zunächst metallische Katalysatoren erforscht und war frustriert. In der Industrie wollte sie kaum einer haben, weil sie so empfindlich und teuer waren. MacMillan begann, organische Moleküle zu designen, die – wie Metalle – Elektronen aufnehmen oder abgeben können. Dies gelang mithilfe eines Stickstoffatoms, das in das kohlenstoffdominierte Molekül eingefügt wurde.
Der Forscher testete diesen Katalysator für die Herstellung von Kohlenstoffringen. Ebenfalls mit großem Erfolg. MacMillan war sich sicher, dass es noch viele weitere organische Katalysatoren geben muss und prägte daher den Begriff „Organokatalyse“.
Es sei eine „totale Überraschung“ gewesen und „ein Meilenstein“ der Erkenntnis, dass Katalyse ohne Metalle gemacht werden kann und damit chemische Transformationen möglich sind, bei denen unverzichtbare Substanzen entstehen, etwa Medikamente, sagt Matthias Drieß von der TU Berlin und einer der Leiter des Exzellenzclusters Unified Systems in Catalysis (UniSysCat). „Und es könnte auch ein Schlüssel sein zum Verständnis der Entstehung des Lebens.“
Damals seien einfache organische Katalysatoren wie Prolin sicher wichtig gewesen. „Aber das ist natürlich spekulativ“, sagt Drieß. „Wir wissen nicht, welche Rolle Metalle und welche organische Katalysatoren damals gespielt haben, als die Erdatmosphäre noch ganz anders aufgebaut war, es kaum Sauerstoff gab.“
„Eine Fülle von Reaktionen und Prozessen“
Wie effizient die Organokatalyse ist, rechnet das Nobelpreiskomitee am Beispiel Strychnin vor. Den meisten bekannt als übles Gift ist es für Chemiker eine Art Zauberwürfel: Wie kann es mit möglichst wenig Schritten hergestellt werden? 1952, als es erstmals synthetisiert wurde, waren dafür 29 chemische Reaktionen nötig und lediglich 0,0009 Prozent des Ausgangsmaterials zu Strychnin geworden. Der Rest war Abfall. 2011 waren dank Organokatalyse nur noch 12 Schritte nötig und das Verfahren so weit optimiert, dass die Herstellung rechnerisch 7000-mal effizienter war als 1952.
Beim Telefonat mit Stockholm während der Pressekonferenz setzt Preisträger List noch einen drauf. Die frühen Katalysatoren seien „so etwa eine Million Mal weniger effizient“ gewesen als die heute verfügbaren, erklärt er spürbar euphorisch. „Die wirkliche Revolution passiert erst jetzt, da wir diese extrem reaktiven Organokatalysatoren haben, die Sachen können, die mit Enzymen oder selbst den besten Metall-Komplexen unmöglich sind.“
„Was wir jetzt brauchen, ist vor allem eine nachhaltigere Chemie“, sagt der TU-Forscher Drieß. „Wir können eine Fülle von Reaktionen und Prozessen steuern“. Aber um etwa Kohlendioxid in Wertstoffe umzuwandeln, seien Ketten von Reaktionen nötig, die miteinander gekoppelt werden müssen. „In einer Nervenzelle laufen Abermillionen chemische Reaktionen nebeneinander koordiniert ab, das müssen wir auch lernen“, sagt er. Viele katalytische Reaktionen so zu koppeln, dass sie am Ende das produzieren, was gewünscht wird. „Wie die Regie eines Films die Akteure in den vielen Szenen so arrangiert, dass am Ende etwas Sinnvolles entsteht.“
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