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Kolumnist George Turner.
© Mike Wolff

Turners Thesen: Nicht jeder kann studieren

Die Automatik: Abitur – Studium war noch nie richtig, wird aber von vielen suggeriert. Unser Kolumnist plädiert dafür die Ideologie zu überwinden, dass mindestens 50 Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen sollten.

Im Jahr 2013 haben mehr als eine halbe Million junge Menschen ein Studium begonnen. Gemessen an den vorhandenen Plätzen drängen zu viele Studienbewerber in die Hochschulen; Ausbildungsplätze in Handwerk und Wirtschaft können nicht besetzt werden.

Schon einmal gab es eine vergleichbare Situation, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Bewerber fanden keinen Ausbildungsplatz, weil die verfügbaren Stellen nicht ausreichten, den Ansturm zu verkraften. Da die Ausbildungsplätze in der Wirtschaft nicht vermehrt werden konnten, kam es 1977 zum „Öffnungsbeschluss“. Dieser führte zu einer Überfüllung und damit Überlast der Universitäten beziehungsweise Unterfinanzierung angesichts der hohen Studierendenzahlen. Nicht ohne Zynismus hieß es: Wer keinen Ausbildungsplatz bekommt, muss studieren.

Nun könnte man auf den Gedanken kommen, die umgekehrten Verhältnisse zum Anlass zu nehmen, spiegelbildlich zu verfahren. Das hieße, die Hochschulen führen strenge Zulassungsbeschränkungen ein; die abgewiesenen Bewerber werden Azubis; der Nachwuchsmangel in der Wirtschaft wird weniger dramatisch.

Eine solche Lösung wäre politisch kaum durchzuhalten. Dennoch sollte der reflexartigen Forderung der Hochschulen nach „mehr Geld“ nicht ohne Weiteres nachgegeben werden. Zwar ist unstreitig, dass die Universitäten und Hochschulen bereits mehr als ausgelastet sind. Es bedarf also ohnehin einer Steigerung der Mittel. Diese aber an den jetzt bekannt gewordenen neuen Zahlen zu orientieren, hieße den Blick nur auf den tertiären Bildungssektor zu richten.

Der Fehler liegt bei der Kultusministerkonferenz. Sie stellt eine „Prognose der Erstsemester“ auf. Das erweckt den Eindruck, dass der Zugang für alle, die es möchten, auch möglich ist. Für bestimmte Fächer gilt das ohnehin nicht; für andere sind Zulassungsbeschränkungen zu erwägen, wenn die Kapazität erschöpft ist. Diejenigen, denen der Zugang verwehrt wird, weil sie die schlechteren Voraussetzungen mitbringen, geht es nicht anders als denen, die seinerzeit eine Ausbildung im dualen System anstrebten und mangels vorhandener Plätze auf die Hochschulen ausweichen mussten.

Wenn endlich die auch von der OECD verbreitete Ideologie überwunden wird, dass mindestens 50 Prozent der entsprechenden Jahrgänge ein Studium aufnehmen sollten und Studienberechtigte aus dem Scheitern eines nicht unbeachtlichen Teils Rückschlüsse auf die eigenen Fähigkeiten ziehen, kann dies zu einer Korrektur der Bewerberströme führen. Die Automatik: Abitur – Studium war noch nie richtig, wurde aber von vielen suggeriert. Im Übrigen ist für diejenigen, die eine Lehre beginnen, der spätere Weg an die Hochschule nicht verbaut.

- Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail schicken: george.turner@t-online.de

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