zum Hauptinhalt
Perfekt - zumindest äußerlich.
© Getty Images/iStockphoto

Tomatenzucht: Neue Frucht, alter Geschmack

Moderne Tomaten sind robust, aber schmecken oftmals fade. Forscher wollen nun die würzigen Aromen traditioneller Sorten wiederbeleben.

Ob rot oder grün, rund oder eiförmig, in den Supermärkten gibt es Tomaten in vielen Variationen. Trotz der optischen Vielfalt gilt meistens, dass diese Tomaten besser schmecken könnten. Ein internationales Forscherteam hat sich deshalb auf die Suche nach dem verlorenen Tomatengeschmack begeben. Mit Erfolg.

Ein Kilogramm Tomaten isst Antonio Granell jeden Tag. Mit Olivenöl und Salz. Tomatenessen ist ein zentraler Bestandteil eines viel beachteten internationalen Projekts, an dem der Leiter der Forschungsgruppe „Verbesserung der Qualität von Früchten“ am Institut für Pflanzengenomik und Biotechnologie der polytechnischen Universität in Valencia mit seinen Mitarbeitern und anderen Wissenschaftlern aus den USA und China beteiligt ist. „Aus wissenschaftlichen Artikeln, Umfragen und eigener Erfahrung wissen wir, dass die Konsumenten den faden Geschmack vieler handelsüblicher Tomaten beklagen. Auch anderes Obst und Gemüse ist nicht mehr so gut wie einst.“ Doch frische Äpfel, rohe Tomaten oder Karotten gehören nun einmal zu einer gesunden Ernährung. „Dafür zu sorgen, dass sie wieder schmecken, ist deswegen wichtig“, meint Granell.

Meist sind nur die alten Sorten aromatisch

Auf der Suche nach dem verlorenem Geschmack wurden zunächst 100 Tomatensorten verkostet. Das waren alte Varianten, wie sie beispielsweise noch in vielen Gärten und auf den Äckern von Kleinbauern wachsen, und moderne Sorten, die in Supermärkten angeboten werden. Die Verkostung übernahmen geübte Personen, die in Einzelkabinen die Tomaten probierten, um unbeeinflusst von der Reaktionen der anderen den Geschmack der jeweiligen Tomate zu bewerten. Das Ergebnis bestätigte den allgemeinen Eindruck. Meist sind nur die alten Sorten aromatisch.

Darüber hinaus lieferten die Verkoster eine genaue Beschreibung des Tomatengeschmacks. Sie definierten ihn beispielsweise als krautartig, medizinisch oder blumig. „Die Wahrnehmung des Geschmacks ist etwas sehr Persönliches“, sagt der Forscher. „Auch wenn wir das Gleiche essen, schmeckt jeder etwas anderes.“ Trotzdem gelang es den Wissenschaftlern, den jeweiligen Geschmacksrichtungen bestimmte tatsächlich existierende Aromastoffe zuzuordnen.

„Die Aromen befinden sich hier oben“, sagt José Luis Rambla und zeigt auf den oberen Teil eines daumengroßen Fläschchens mit pulverisierten Tomaten. Der Kollege von Antonio Granell ist für die chemische Analyse der Aromastoffe zuständig. Tomaten verkostet er nicht. Sie schmecken ihm nicht. Er hat sogar eine Tomatenallergie entwickelt und trägt beim Arbeiten manchmal Handschuhe.

Der Chromatograf spürt die Aromen auf

Am Boden des Gefäßes befindet sich Tomatenpulver, leuchtend rot. Mit einer Glaskanüle pikst Rambla durch den Plastikdeckel. Die Kanüle enthält eine dünne Faser, die der Forscher in das Fläschchen einführt. Hin und her schwenkt er die Faser, sodass sich die flüchtigen Bestandteile des Tomatenpulvers darauf absetzen. Danach gibt er die Faser in einen Chromatografen, einen kastenförmigen Apparat, in dem es gelingt, Gasgemische in einheitliche Inhaltsstoffe aufzutrennen, um sie zu analysieren.

„Insgesamt verfügt die Tomate über hunderte gasförmige Komponenten“, berichtet der Forscher. „Wir haben herausgefunden, dass die menschliche Nase knapp 30 davon wahrnehmen kann. Das sind die Aromastoffe, die der Tomate ihren typischen Geschmack verleihen.“ Ob die roten Früchte schmecken, entscheidet sich über den Geruchssinn. Die Riechrezeptoren nehmen beim Zerkleinern der Tomate im Mund Aromen wie krautartig oder fruchtig wahr. Nur die Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, bitter und umami (würzig) werden über die Geschmacksfühler auf der Zunge vermittelt.

Ramblas Messungen bestätigen den Eindruck der Tomaten-Testesser. Fast die Hälfte der Aromen ist in den handelsüblichen Tomaten kaum noch vorhanden.

Warum ging der Geschmack verloren? „Die Züchter legten mehr Wert auf Produktivität und Widerstandsfähigkeit“, sagt Granell. „Heutige Tomaten sind viel robuster.“ Was zunächst auch gut und richtig sei. Denn was nutzt die wohlschmeckendste Tomate, wenn Schädlinge die Ernte vernichten oder die Früchte beim Transport Druckstellen bekommen? Auch sei es relativ leicht, widerstandsfähige Tomaten zu selektieren. „Man muss nur den Krankheitserreger auf die neu gezüchteten Pflanzen setzen, um dann die auszuwählen, die nicht krank werden“, erklärt Granell. „Doch inmitten der Vielfalt die Pflanzen zu erkennen, die gut schmecken, ist unmöglich.“

Bestimmte Gene sind für den Geschmack zuständig

Tausende von Tomatensorten müssten verkostet werden. Damit die Angaben zuverlässig sind, müssten rund 100 Personen die jeweiligen Früchte probieren. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt daher das Forschungsprojekt von Granell und seinen Kollegen. Sie wollen jene Erbgutabschnitte bestimmen, die für den Geschmack ursächlich sind, um dieses Wissen für die Züchtung zu nutzen.

„Wir haben den genetischen Code von 400 Sorten, deren Aromen wir analysiert haben, miteinander verglichen.“ Dabei fiel auf: Immer wenn an einer bestimmten Stelle der Erbsubstanz DNS beispielsweise der Baustein Adenin auftaucht, enthält die Tomate eine höhere Konzentration eines bestimmten Aromas. Wenn an der gleichen Stelle der Baustein Cytosin auftaucht, ist es kaum vorhanden.

„Wir wissen jetzt, welche Gene für den Geschmack zuständig sind“, sagt Granell, „deshalb wird es uns gelingen, Tomaten zu züchten, die wieder schmecken.“ Denn um diese Pflanzen zu selektieren, brauchen die Forscher nur zu untersuchen, ob die DNS der neuen Sorten die gewünschten Erbanlagen enthält.

Darüber hinaus können sie eine Technik anwenden, die „Genome Editing“ genannt wird. Das Verfahren gilt als vielversprechend, um Erbkrankheiten beim Menschen zu korrigieren. Auch für viele Pflanzenzüchter klingt es verheißungsvoll. Mit einer chemischen Genschere können die Forscher Erbgut verändern. „Damit kürzen wir die Züchtung ab“, sagt Granell. „Bisher brauchen wir fünf bis sechs Jahre, um die gewünschten Früchte zu erhalten. Mit ,Genome Editing‘ generieren wir im Laufe eines Jahres eine moderne, widerstandsfähige Tomate, die wieder nach etwas schmeckt.“

Die Tomate könnte auch natürlich mutiert sein

Der Wissenschaftler reißt eine kleine Tüte aus braunem Papier auf und schüttet daraus Saatgut in seine Hand. Die Körner stammen von einer Tomate, die über Genome Editing verändert wurde; die Modifikationen sind nicht mehr nachweisbar. Ganz anders als beispielsweise bei genetisch verändertem Mais. Er enthält Erbanlagen eines Bakteriums. Diese Gene sind bei einer DNS-Analyse zu erkennen, da sie von einem fremden Organismus stammen. Granells Tomate hingegen könnte auch natürlich mutiert sein, beispielsweise durch das Sonnenlicht.

Die Europäische Kommission diskutiert, wie solche Pflanzen rechtlich einzuordnen sind. Sollten sie als ganz normale Gewächse zählen oder müsste sie reguliert werden wie gentechnisch veränderte Organismen? Dann wäre ihr Anbau in vielen EU-Mitgliedstaaten wie in Deutschland verboten.

"Keine Nebeneffekte zu erwarten"

Nebeneffekte sind noch nicht erforscht, heißt es. Ein Einwand, den Granell so nicht gelten lassen will. „Bei dieser Tomate haben wir Genabschnitte nur so verändert, wie sie schon in anderen Tomaten vorkommen, nämlich in alten Sorten. Wir haben nur die Eigenschaften von Tomaten kombiniert, die wir seit Jahrzehnten verzehren. Es sind deshalb keine Nebeneffekte zu erwarten.“

In einem vor den Toren Valencias gelegenem Gewächshaus zeigt José Luis Rambla auf üppiges Grün. Die Tomatenpflanzen überragen ihn. Es sind alte Sorten. „Allein die farbliche Vielfalt erstaunt“, sagt Rambla. „Diese Tomaten sind ein historisches Erbe, das es zu erhalten gilt.“

Kleinbauern interessieren die alten Sorten. Indem sie traditionelle Tomaten kultivieren, versuchen sie die Nachfrage nach mehr Geschmack zu befriedigen. Und gehen ein Risiko ein. „Da die alten Sorten gegenüber vielen Krankheiten anfällig sind, kommt es zu kompletten Ernteausfällen“, sagt Rambla. Seiner Meinung nach haben alte Sorten nur eine Chance, wenn Gene für mehr Widerstandsfähigkeit eingefügt werden. Über klassische Züchtung oder Genome Editing.

Zur Startseite