Biontech-Chef über verändertes Virus: Neue Corona-Variante – „Testen die nächsten zwei Wochen , ob der Impfstoff wirkt“
Ugur Sahin geht davon aus, dass der Impfstoff auch gegen das veränderte Virus wirksam sein wird – und plant weitere Produktionsstätten.
Biontech-Chef Ugur Sahin ist zuversichtlich, dass der Corona-Impfstoff seines Unternehmens auch gegen die in Großbritannien aufgetauchte neue Mutation des Virus wirkt. Aus wissenschaftlicher Sicht sei die Wahrscheinlichkeit dafür hoch, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. „Wir haben den Impfstoff bereits gegen circa 20 andere Virusvarianten mit anderen Mutationen getestet. Die Immunantwort, die durch unseren Impfstoff hervorgerufen wurde, hat stets alle Virusformen inaktiviert.“
Im Internetprogramm der „Bild“ sagte Sahin allerdings auch, die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen die neueste Virus-Mutation lasse sich derzeit nicht „garantieren“. Das Virus sei jetzt etwas stärker mutiert, sagte Sahin der dpa weiter. „Wir müssen das jetzt experimentell testen. Das wird etwa zwei Wochen in Anspruch nehmen. Wir sind aber zuversichtlich, dass der Wirkungsmechanismus dadurch nicht signifikant beeinträchtigt wird.“
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Das Antigen, das das Mainzer Unternehmen und sein US-Partner Pfizer für den Impfstoff nutzen, besteht Sahin zufolge aus über 1270 Aminosäuren. Davon seien jetzt neun mutiert, also noch nicht einmal ein Prozent. „Unser Impfstoff sieht das ganze Protein und bewirkt multiple Immunantworten. Dadurch haben wir so viele Andockstellen, dass das Virus schwer entkommen kann. Das bedeutet aber nicht, dass die neue Variante harmlos ist.“ Der Biontech-Impfstoff auf Basis des Botenmoleküls mRNA könne prinzipiell schnell an neue Varianten angepasst werden.
Die neue Mutation des Coronavirus, die bislang vor allem in Südostengland festgestellt wurde, bereitet allerdings weltweit große Sorgen. Der britische Premierminister Boris Johnson hatte am Wochenende erklärt, diese Form des Erregers sei „bis zu 70 Prozent ansteckender“ als die Ursprungsvariante. Zahlreiche Staaten beschränkten den Reiseverkehr mit Großbritannien. Deutschland kappte wie andere Staaten die Flugverbindungen mit dem Land.
WHO widerspricht britischem Premier Johnson
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) trat allerdings der Einschätzung der britischen Regierung entgegen, durch die Neumutation sei die Corona-Lage „außer Kontrolle“. Selbst wenn sich das Virus sich nun „ein kleines bisschen effizienter“ ausbreite, könne es gestoppt werden, sagte der WHO-Direktor für medizinische Notfälle, Michael Ryan. Er rief aber dazu auf, die Maßnahmen zur Eindämmung der neuen Virus-Variante zu verstärken.
Auch der deutsche Ärztepräsident Klaus Reinhardt warnte vor Panik. Mutationen seien bei Viren „nicht ungewöhnlich“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ und betonte: „Wir sollten ruhig und sachlich damit umgehen.“ Noch sei nach dem Urteil von Virologen nicht klar, ob die Ansteckungsgefahr durch die neue Virus-Variante tatsächlich deutlich höher sei. Dazu gebe es „noch keine klare wissenschaftliche Faktenlage“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer.
Sahin zufolge hatte die vergleichsweise lange Dauer im Zulassungsprozess der EU keinen Einfluss auf die Menge der Impfdosen, die das Mainzer Unternehmen vorproduziert hat. „Wir hatten schon vorab seit November eine Aufteilung der Impfdosen geplant, an die halten wir uns auch. Was sich geändert hat, ist natürlich die Zahl, die wir dieses Jahr ausliefern können. Aber insgesamt wird sich die Zahl der Dosen, die wir der EU versprochen haben, nicht ändern.“
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Die am Montag erfolgte EU-Genehmigung für den Biontech-Impfstoff nannte er die „historisch mit großem Abstand schnellste Arzneimittelzulassung“. Biontech habe nicht nur die Fragen der EU-Behörde beantworten müssen, sondern auch viele Fragen aus einzelnen Ländern. „Der Prozess war dadurch anstrengender, aber es gehörte einfach dazu, sich um die Prozeduren in der EU entsprechend Zug um Zug korrekt zu kümmern.“
Die bedingte Zulassung des Biontech-Impfstoffs in der EU sei „großartig“. Er fügte hinzu: „Dass uns die EU jetzt die Möglichkeit gibt, die Menschen mit unserem Covid-19-Impfstoff zu versorgen, erleichtert uns und macht uns glücklich. Wir haben vielerorts den Wunsch gesehen, dass die Menschen einen Impfstoff haben wollen.“
Weder er selbst noch seine Frau, die Biontech-Mitgründerin und medizinische Geschäftsführerin Özlem Türeci, haben sich nach seinen Worten bislang mit dem Wirkstoff ihrer Firma impfen lassen. „Wir möchten das aber, sobald wir eine entsprechende Grundlage dafür haben“, sagte er. „Für uns ist es wichtig, dass wir unseren Mitarbeitern in der Produktion entsprechende Impfstoffdosen zukommen lassen.“ Es gehe darum, in den nächsten zwölf Monaten eine unterbrechungsfreie Herstellung von Impfstoffen im Produktionsnetzwerk von Biontech zu gewährleisten. „Wir überlegen uns daher, eine vom EU Kontingent unabhängige kleine Charge für diesen Zweck zu nutzen.“
Biontech hofft, mehr und schneller liefern zu können
Sahin deutete an, dass Biontech neben seinen Werken in Mainz und Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz und demnächst auch im hessischen Marburg weitere Produktionsstätten für den Impfstoff ins Auge fasst. „Wir sprechen darüber, über eine Partnerschaft eine weitere Produktionsstätte zu aktivieren“, sagte er.
Zudem gebe es noch die bereits bekannte Partnerschaft mit dem Pharmaunternehmen Dermapharm, das auch für Biontech produziere. „Wir versuchen jetzt, weitere Partner zu gewinnen. Wir streben danach, Dosen, die für die zweite Hälfte 2021 geplant waren, schon in der ersten Hälfte verfügbar zu machen.“ Der „Bild“ sagte Sahin: „Unsere große Zielsetzung jetzt für 2021 ist mindestens 1,3 Milliarden Impfstoff herzustellen. Wir überlegen uns jetzt auch, wie wir unter Umständen möglich machen können, noch mehr Impfstoffdosen herzustellen.
Das bedarf aber einer extrem sorgfältigen Planung und Zusammenarbeit mit multiplen Unternehmen, mit Kooperationspartnern aus Deutschland in den USA mit Zulieferern – das ist eine sehr komplexe Angelegenheit und das ist, was uns momentan sehr beschäftigt.“ (dpa, AFP, Tsp)