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Friedliches Zusammenleben quer durch die Religionen verlangt Toleranz von allen – wie hier während einer Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin.
© picture alliance / dpa

Antisemitismusforschung: Nahostkonflikt und nationalistische Traditionen

Neue Sichtweisen: Seit sechs Jahren leitet Stefanie Schüler-Springorum das Zentrum für Antisemitismusforschung.

Um ihr Büro ist sie zu beneiden. TU-Hochhaus am Ernst-Reuter-Platz, hoch oben im 9. Stock. Hätte Stefanie Schüler-Springorum Muße hinunterzuschauen auf die Straße des 17. Juni in Richtung Siegessäule, sähe sie die unaufhörlich rollenden Autos. Alles ist im Fluss. Genau wie in ihrem Fach. Seit sechs Jahren leitet die Historikerin das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. „Bei unseren Themen gibt es immer eine große Dynamik zwischen den Fächern“, sagt sie. Lange sei die Geschichtswissenschaft tonangebend gewesen, „in den vergangenen Jahren kamen wegweisende Arbeiten eher aus der Soziologie, aber auch die Literatur- und Islamwissenschaft können wichtige Beiträge leisten. Zudem verändern sich die Perspektiven, und wir stellen neue Fragen an altbekannte Quellen, wie jetzt zum Beispiel durch die Einbeziehung der Emotionsforschung.“

Das 1982 gegründete Zentrum für Antisemitismusforschung gehört zu den weltweit bedeutendsten Einrichtungen seiner Art. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die interdisziplinäre Grundlagenforschung zum Antisemitismus in seinen vielfältigen Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen in Vergangenheit und Gegenwart. Stefanie Schüler- Springorum selbst hat einen klar markierten Schwerpunkt in der Geschlechtergeschichte des Antisemitismus: Das Gleichheitsversprechen der Aufklärung wurde sofort relativiert und galt weder für Frauen noch für Juden. Zugleich stellte man jüdische Männer im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend als verweiblicht, hysterisch und zugleich lüstern dar, gewissermaßen als Gegenteil des militärisch-heroischen, rationalen und sittlich kontrollierten christlich-„deutschen“ Mannes. Eine geschlechterhistorische Perspektive bietet zudem interessante Einblicke in die Verschränkungen, aber auch Unterschiede zu anderen Rassismen in der europäischen Geschichte, wie die Direktorin sie gerade in einem Seminar mit den Studierenden des Masterstudiengangs „Interdisziplinäre Antisemitismusforschung“ erarbeitet.

Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und Homophobie hängen zusammen

Das Zentrum für Antisemitismusforschung hat schon seit vielen Jahren seine Themenfelder erweitert und forscht nicht nur zu antijüdischen Ressentiments. Es geht auch um andere Ausprägungen von Rassismus oder Gewalt und um Diskriminierung anderer Minderheiten. Denn dahinter steht immer dieselbe Fantasie einer angeblich konfliktfreien, harmonischen Gemeinschaft, die auf größtmöglicher Homogenität und „Reinheit“ beruht und keine Abweichungen duldet, seien sie religiöser oder ethnischer, aber auch sexueller oder sozialer Natur. So eine Gesellschaft habe es historisch nie gegeben, betont Schüler-Springorum, dies hinderte völkische Denker jedoch seit über 100 Jahren nicht daran, sie immer wieder in den schönsten Farben zu entwerfen und entsprechende Ausgrenzungen gleich mitzuliefern.

Schon vor vielen Jahren wies der große deutsch-jüdische, aus Berlin stammende Historiker George L. Mosse auf diesen Konnex von Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und Homophobie hin. Heute, so die Wissenschaftlerin, könne man Ähnliches in großem Variantenreichtum bei der AfD beobachten. So sitzt der 2004 wegen antisemitischer Äußerungen aus der CDU ausgeschlossene Martin Hohmann nun für die AfD im Deutschen Bundestag, während seine neuen Parteikollegen in diversen Landtagen gegen den „Genderwahn“ und die „Ehe für alle“ mobil machen.

Stefanie Schüler-Springorum will auch globale Entwicklungen im Blick behalten.
Stefanie Schüler-Springorum will auch globale Entwicklungen im Blick behalten.
© Prof. Dr. Stefanie Schüler-Sprin

Ihr frisch gekürter Bundessprecher Alexander Gauland fiel im Wahlkampf durch rassistische Ausfälle etwa gegen die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz auf, kurz darauf forderte er einen „Schlussstrich“ unter die sogenannte Vergangenheitsbewältigung und auf das „Recht“, auch auf die Wehrmacht stolz sein zu dürfen. Björn Höcke wiederum bezeichnete das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“. Die beiden AfD-Politiker und etliche ihrer Parteikollegen provozieren bewusst – und erklären später, sie seien „falsch verstanden“ worden.

„Das Muster ist immer gleich“, beurteilt Stefanie Schüler-Springorum das Verhalten dieser Vertreter im Deutschen Bundestag. Man provoziere einen Skandal, rudere dann ein bisschen zurück und erweitere so nach und nach den Raum für das rassistisch und antisemitisch Sagbare. Es sei kein Zufall, so Schüler-Springorum, dass sich die Vertreter der AfD dabei meist des Umwegs über eine „verfehlte“ Vergangenheitspolitik oder einen „unterdrückten“ Nationalstolz bedienen, die immer auch antijüdische Ressentiments mittransportieren, jedoch nicht offen als antisemitisch gebrandmarkt werden können.

Es ist ein alarmierendes Signal, dass antisemitische und rassistische Positionen vertritt

Irritiert zeigt sich die Historikerin allerdings über die Tatsache, wie wenig der Partei auch offen antisemitische Positionen schaden würden, wie sie etwa von Wolfgang Gedeon in Baden-Württemberg vertreten wurden, um nur ein Beispiel zu nennen, zu dem ein Forscher des Zentrums sich seinerzeit öffentlich äußerte. „Wir wissen, dass Antisemitismus ein inhärenter Teil der westlichen Kultur und damit auch unserer Gesellschaft ist“, so die Historikerin, „aber dass nun eine Partei im Bundestag sitzt, die antisemitische und rassistische Positionen vertritt, ist ein alarmierendes Signal – und dass wir uns damit kaum noch von unseren europäischen Nachbarn unterscheiden, macht die Sache keineswegs besser, im Gegenteil.“ Auch wenn, wie aktuell, das Thema Antisemitismus in den Medien vorwiegend im Kontext des Nahostkonflikts behandelt wird, dürfe dies keineswegs davon ablenken, dass wir es hierzulande immer noch mit einem dominant hausgemachten, auf christlichen und völkisch-nationalistischen Traditionen beruhenden Phänomen zu tun haben.

Nicht nur die deutsche, sondern auch die europäische Entwicklung historisch wie auch aktuell im Blick zu behalten, sieht die 55-Jährige daher als zentrale Aufgabe des Zentrums für Antisemitismusforschung an. Deshalb ist sie auf die vielen internationalen Doktoranden und Postdoktoranden, die am Zentrum arbeiten und ihre jeweiligen Sichtweisen mit einbringen, sehr stolz. Historisch-kulturelles Grundlagenwissen und natürlich entsprechende Sprachkenntnisse seien vonnöten, um die jeweiligen aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus analysieren zu können. „Der globale Zusammenhang von Ressentiment und Krise wird uns auch in Zukunft weiter beschäftigen“, da ist sich Stefanie Schüler-Springorum sicher.

Anna König

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