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Lästiger Pieks. Der Blutzucker des kranken Kindes muss ständig kontrolliert werden. Das kann auch ein Sensor übernehmen.
© picture alliance / dpa

Kinder mit Diabetes: Nachts passt der Zucker-Sitter auf

Unterzuckerung ist für Kinder mit Diabetes schlimmer als jeder Albtraum. Es drohen Krämpfe und Bewusstlosigkeit. Eine neue Technik soll sie schützen.

Für Kinder mit einem Diabetes vom Typ I und für ihre Familien ist das Leben in den letzten Jahrzehnten allmählich leichter geworden: Ehemals strenge Regeln für Zeitpunkt und Zusammensetzung der Mahlzeiten sind gelockert. Unterschiedliche Insulinpräparate helfen dabei, den Alltag flexibler zu gestalten. Pumpen, die das lebenswichtige Hormon kontinuierlich abgeben, und Sensoren, die den Zuckerspiegel im Unterhautfettgewebe messen, lassen die chronische Krankheit zeitweise in den Hintergrund treten.

Trotzdem ist die Diagnose für jede Familie zunächst ein Schock. Denn die Stoffwechselkrankheit wird das Kind ein Leben lang begleiten; anders als bei Diabetes vom Typ II, dem „Altersdiabetes“, hilft eine gesündere Lebensweise nicht. Zwar dreht sich bei beiden alles um das Hormon Insulin, das den Energieträger Zucker aus dem Blut lockt. Doch während beim Typ-II-Diabetes die Körperzellen für das Hormon weniger empfindlich werden, stellt bei der selteneren Autoimmunerkrankung Typ-I-Diabetes die Bauchspeicheldrüse dessen Produktion nach und nach ein. Wie man das früh erkennen und möglicherweise mit einer Art Impfung stoppen kann, wird zwar erforscht. Für bereits Erkrankte kommt sie aber zu spät.

Mehr als 30.000 Kinder sind betroffen

Die wünschen sich eine künstliche Bauchspeicheldrüse. Eine, die sich nicht davon abbringen lässt, Insulin zu produzieren und nach Bedarf ins Blut abzugeben. Mit einem computergestützten System, zu dem in dieser Woche auf dem Diabetes-Kongress in Berlin neue Studien vorgestellt werden, sind Forscher aus Hannover, aus Israel und Slowenien diesem Traum ein Stück näher gekommen. Es könnte die Eltern der rund 30 500 Minderjährigen, die allein in Deutschland an der häufigsten Stoffwechselkrankheit leiden, in Zukunft etwas ruhiger schlafen lassen – weil eine zuverlässige Software dafür sorgt, dass die Zuckerwerte auch nachts stimmen.

So funktioniert die künstliche Bauchspeicheldrüse.
So funktioniert die künstliche Bauchspeicheldrüse.
© DREAM/TSP

Wenn in der Nacht die Insulindosis im Verhältnis zum kursierenden Zucker zu hoch ist, drohen Unterzuckerungen und damit Krämpfe und Bewusstlosigkeit. Die Patienten zahlen für ihre Behandlung, die langfristige Folgen der Zuckerkrankheit wie Schäden an Niere, Augen und Gefäßen verhindern soll, einen hohen Preis: Bei fast jedem zwanzigsten jungen Mensch, der einem Diabetes vom Typ I erliegt, ist die Todesursache eine schwere Hypoglykämie während des Schlafs. Häufiger sind leichte Unterzuckerungen, sie können auf die Dauer zu Problemen beim Lernen und mit dem Gedächtnis führen.

Der Sensor gibt Alarm, doch die Kinder schlafen weiter

„Viele Eltern stehen nachts mehrfach auf, um den Zucker ihrer Kinder durch einen Fingerpieks zu messen“, berichtet Thomas Danne, Chefarzt am Kinderkrankenhaus Auf der Bult in Hannover und Vorstandsvorsitzender der Organisation diabetesDE. Zwar kann man die Insulinpumpen, die die Mehrheit der betroffenen Kinder trägt, mit einem Sensor kombinieren, der den Zucker im Fettgewebe unter der Haut misst. Den Alarm, den der Glukosesensor auslöst, überhören Heranwachsende aber nachts meist, wie Studien gezeigt haben.

Thomas Danne und Olga Kordonouri entwickelten und testeten deshalb gemeinsam mit Kollegen aus anderen Ländern einen geschlossenen Kreislauf, ein „Closed Loop“-System (siehe Grafik). Es könnte Eltern und Kindern in Zukunft größere Sicherheit geben. Ein unter der Haut befestigter Sensor misst den Zuckerwert im Gewebe, anschließend wird er kabellos an einen Laptop weitergegeben, der auf dem Nachttisch steht. Dort wird aus den Daten des Sensors mithilfe einer speziellen Software die Insulindosis berechnet, die der Patient braucht, und an die Insulinpumpe übermittelt, die der Schläfer dicht am Körper trägt. Die Pumpe gibt dann das erforderliche Insulin über einen Schlauch in den Körper ab. Der Sensor misst wiederum die neuen Werte, gibt sie an den Rechner weiter – und so weiter, die ganze Nacht hindurch, während der Diabetiker und seine Familie dank der künstlichen Bauchspeicheldrüse ruhig schlafen können.

Das Gerät arbeitet zuverlässig, zeigt eine Studie

Dass das softwaregestützte System besser vor Unterzuckerungen schützt als eine Kombination von Sensor und Pumpe, zeigten die Ärzte des SchneiderKinderzentrums in Israel, der slowenischen Uni-Kinderklinik und des Kinder- und Jugendkrankenhauses Auf der Bult in einer Studie, die sie im Februar letzten Jahres im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ vorstellten: 56 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 18 Jahren, die alle seit mindestens einem Jahr einen insulinpflichtigen Diabetes vom Typ I hatten (darunter 30 aus Hannover), nahmen für das Projekt an einem Freizeitwochenende teil: Tagsüber gingen sie schwimmen, sie spielten und aßen gemeinsam. In einer von zwei Nächten wurde die Kombination aus Insulinpumpe und Sensor für die Blutzuckerkontrolle an das Closed-Loop-System angeschlossen, die andere fungierte als Kontrollnacht. Offensichtlich leistete der „Zucker-Sitter“ ganze Arbeit. Er bewahrte die schlafenden Kinder und Jugendliche nicht nur vor einzelnen Phasen der Unterzuckerung, sondern sorgte die ganze Nacht hindurch für eine gleichmäßigere, näher an der gesunden Norm liegende „Einstellung“ ihres Zuckerstoffwechsels.

Künftig soll der Apparat auch tagsüber eingesetzt werden

Dass die „künstliche Bauchspeicheldrüse“ in der Klinik sicher angewandt werden kann, hatten die Forscher vorher bei Erwachsenen und bei Heranwachsenden belegt. In einer Folgestudie, deren Ergebnisse noch nicht publiziert sind, wird das System nun auch zu Hause eingesetzt, in einem Pilotprojekt in Israel sogar sechs Wochen lang. Danach soll es auch tagsüber getestet werden.

Noch geschieht das alles ganz behutsam, im Rahmen von wissenschaftlichen Studien und mit Begleitung von Ärzten, die die Daten in einem anderen Raum überwachen, berichtet Danne. „Doch unsere Probanden wollen das Gerät nicht zurückgeben“, sagt er. „Sie möchten es auch tagsüber benutzen.“

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