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Gegen die Trübsal: In den USA ist ab heute ein neues Antidepressivum zugelassen - unter strengen Auflagen, um Missbrauch und Nebenwirkungen zu verhindern.
© imago/Ikon Images

US-Zulassung für Ketamin: Nach 30 Jahren: Ein neues Mittel gegen Depressionen

Es ist die wichtigste Entdeckung für Depressionspatienten seit Jahrzehnten: Ketamin kann die dunklen Gedanken vertreiben. Nun ist das Mittel zugelassen.

Weltweit leiden etwa 300 Millionen Menschen an Depression, in Deutschland sind es rund fünf Prozent der 18- bis 65-Jährigen. Das Arsenal an Medikamenten, so genannte Antidepressiva, hilft allerdings längst nicht allen. Etwa 15 bis 30 Prozent der Patienten spricht darauf nicht an.

Und Alternativen fehlen, seit 30 Jahren ist kein neuartiger Wirkstoff mehr auf den Markt gekommen. Zu allem Übel kommt hinzu, dass ein spürbarer Effekt der gängigen Antidepressiva in der Regel erst nach Wochen einsetzt - und damit oft zu spät kommt für die Patienten, deren Depression mit Selbstmordgedanken einhergeht.

Entsprechend große Hoffnungen setzen Ärzte und Patienten daher in einen neuen Wirkstoff, dem die amerikanische Zulassungsbehörde am Mittwoch den Markteintritt gewährt hat und der auch in der EU noch 2019 zugelassen werden könnte: Esketamin.

Die "spannendste Behandlung" - per Zufall entdeckt

Die Substanz, entwickelt von der belgischen Firma Janssen Pharmaceuticals, einem Tochterunternehmen des US-Pharmakonzerns Johnson & Johnson, wird mittels Nasenspray (Markenname "Spravato") über die Nasenschleimhaut ins Blut und Gehirn geschleust. Es ist die Spiegelbild-Version des altbekannten Narkosemittels Ketamin - wegen halluzinogener Nebenwirkungen schon seit den 1970ern auch als "Special K" bekannt und benutzt von Drogen zugewandten Partygängern.

Dass Ketamin (in weit geringerer Dosierung als zur Narkose) auch für die Behandlung von Depressionen in Frage kommen könnte, ist seit Ende der 1990er Jahre bekannt. John Krystal vom Connecticut Mental Health Center und der Yale University in New Haven entdeckte beim Behandlungsversuch von Schizophrenie-Patienten zufällig, dass sich ihre depressiven Symptome besserten, wenn er ihnen geringe Mengen von Ketamin spritzte.

Gemeinsam mit Carlos Zarate vom National Institute of Mental Health in Bethesda ging er dem Effekt jahrelang nach und konnte ihn bei Depressionspatienten wiederholen. Es sei "die spannendste Behandlung für Störungen des Gemütszustandes der vergangenen 50 Jahre", kommentierte der Ketamin-Forscher Gerard Sanacora von der Yale School of Medicine später.

Ähnlich urteilte nun das Expertengremium der FDA, das über die Zulassung des Medikaments zu entscheiden hatte. „Esketamin hat das Potenzial, ein Wendepunkt bei der Behandlungen von Depressionen zu sein“, wird einer der Spezialisten, der Psychologe Walter Dunn von der University of California in Los Angeles von der US-Nachrichtenagentur Bloomberg zitiert. Kein anderes zugelassenes Medikament helfe den Patienten schneller.

In diversen Studien hatte sich gezeigt, dass die Wirkung des Ketamins sich binnen 24 Stunden, mitunter schon nach 40 Minuten, einstellt. Bei einigen (allerdings nicht allen) Patienten werden die Symptome der Depression spürbar gelindert oder verschwinden sogar völlig. Allerdings hält der Effekt nur vorübergehend an, in der Regel nur wenige, maximal zehn Tage - was eigentlich erstaunlich lange ist, da Ketamin im Körper innerhalb von zwei bis drei Stunden etwa zur Hälfte abgebaut wird.

Wie Ketamin auf das Gehirn Depressiver wirkt, ist kaum erforscht

So groß die Hoffnungen, so groß ist der Haken an der Ketamin-Geschichte: Wie die Substanzklasse so schnell Veränderungen im Gehirn bewirken kann, ist bislang kaum verstanden. Anders als bisherige Antidepressiva, die etwa Serotonin- oder Dopamin-gesteuerte Prozesse der Signalübertragung zwischen Nervenzellen modulieren, greift Esketamin in die NDMA-Glutamat-Signalkaskade ein. Allerdings scheinen auch die Abbauprodukte von Ketamin in den Wirkmechanismus involviert zu sein, die wiederum andere Nervenrezeptoren beeinflussen. Sicher ist aber, dass am Ende die Bildung von neuen Nervenverbindungen (Synapsen) angeregt wird.

Für die Behandlung der Patienten ist vor allem die Beobachtung wichtig, dass eventuelle Selbstmordgedanken rasch verschwinden und auch das "Grübeln" reduziert wird. Dadurch wird der Patient für die eigentliche Behandlung, eine Psychotherapie, überhaupt erst zugänglich.

Aufgrund dieser positiven Effekte hat die FDA offenbar entschieden, dass die nicht unerheblichen Unwägbarkeiten und Nebenwirkungen - etwa das weitgehend fehlende Wissen über die Folgen einer langfristigen, dauerhaften Anwendung oder das generelle Missbrauchs- und Suchtpotenzial eines Nasensprays, das die Seele aufhellt - mit strengen Auflagen kontrollierbar sind.

Demnach müssen Patienten das Medikament in einer Arztpraxis oder medizinischen Einrichtung einnehmen und dürfen es nicht mit nach Hause nehmen. Ein schwarz umrandeter Hinweis auf der Verpackung, das stärkste Mittel der FDA zur Warnung der Patienten, macht auf die Nebenwirkungen aufmerksam - darunter Aufmerksamkeitsstörungen und auch jene "Selbstmordgedanken", die das Medikament eigentlich verschwinden lassen soll. (mit Reuters)

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