Suche nach den Genen für ein langes Leben: Muntere Methusaleme
Altern? Polypen kennen das Problem nicht. Nun weisen sie Forschern den Weg zum Quell der ewigen Regeneration.
Herakles war um diese Aufgabe nicht zu beneiden: Wie sollte er die Hydra besiegen, das Wesen mit den vielen Köpfen, dem auf der Stelle zwei davon nachwuchsen, wenn ihr einer abgeschlagen wurde? Zumal das garstige Tier in der Mitte ohnehin einen unsterblichen Kopf trug?
Auch einem kaum einen Zentimeter langen, filigranen Süßwasserpolypen haben Biologen den Namen Hydra gegeben. Unsterblich ist der vergleichsweise einfache Organismus zwar nicht, doch seit Jahren fasziniert er Forscher, die sich dem menschlichen Sehnsuchtsthema Langlebigkeit widmen. Denn Hydras haben eine beneidenswerte Regenerationskraft: Nimmermüde Stammzellen mit konstanter Teilungsrate ermöglichen es ihnen nicht nur, verletzte oder zerstörte Körperteile nachzubauen. Sie können auch binnen weniger Wochen alle Zellen ihres Körpers komplett erneuern. Gute Voraussetzungen, um den Prozessen des Alterns und Sterbens zu entkommen. Aber kann sie Hydra wirklich nutzen?
Langzeitexperiment mit Tieren, die jahrtausendelang leben
Am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock wurde im Jahr 2006 ein einzigartiges Langzeitexperiment gestartet, dessen Ergebnisse Institutsdirektor James Vaupel und sein Team zusammen mit Daniel Martinez vom Pomona College in Kalifornien nun im Fachjournal „PNAS“ veröffentlichten.
Schon seit fast zehn Jahren versorgen die Mitarbeiter des Rostocker Instituts tagaus tagein an die 1800 der winzigen Tierchen, die sie einzeln in Glasgefäßen halten. Pro Untersuchungsjahr starben dabei im Durchschnitt nur fünf – und das meistens nicht an „Altersschwäche“, sondern durch Unfälle in den Glasbehältern, in denen sie einzeln und vor Feinden geschützt leben. Fünf Prozent eines Jahrgangs könnten auf diese Art ihren 500. Geburtstag erreichen, meinen die Forscher. In zwei der fünf Kohorten bestehe sogar die Chance, dass jeder Zwanzigste 3000 Jahre alt werde.
Zudem gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Fruchtbarkeit der Winzlinge mit den Jahren abnimmt. Als Singles greifen die Versuchstiere dabei auf die ungeschlechtliche Vermehrung zurück, bei der Zellen in Knospen am Körper der „Mutter“ heranreifen. „Im kalifornischen Arm der Studie wurde aber auch beobachtet, dass die Hydras Samen- und Eizellen für die geschlechtliche Fortpflanzung produzieren“, sagte Mitautor Ralf Schaible. Frühere Studien anderer Arbeitsgruppen haben bereits gezeigt, dass die Polypen, wenn sie gemeinsam im Süßwasser leben, die Art ihrer Fortpflanzung von äußeren Umständen wie der Wassertemperatur abhängig machen. Entscheidend ist: Welchen der beiden Wege zur Fortpflanzung sie auch wählten, ihre Fruchtbarkeit nahm mit den Jahren nicht ab.
Die Langlebigkeit der Polypen stellt die Theorien des Alterns in Frage
Zugleich nahm das Sterberisiko mit zunehmendem Lebensalter nicht zu – im Unterschied zum Menschen, bei dem sich das Risiko, im nächsten Jahr zu sterben, ab dem Alter von 35 Jahren alle acht Jahre verdoppelt und am 80. Geburtstag bei eins zu zehn liegt. Gehört ein Mensch zu der Handvoll Zeitgenossen, die derzeit in Deutschland 110 Jahre alt sind, so liegen seine Chancen, den nächsten Geburtstag zu erreichen, sogar nur bei 50 Prozent. Und das trotz aller gesundheitlichen Robustheit, die sie oder er schon unter Beweis gestellt hat: Gebrechlichkeit, körperlicher und geistiger Abbau, sie schienen bisher unausweichlich. „Unsere Ergebnisse fordern allerdings die gängigen Theorien zur Evolution des Alterns heraus“, kommentiert Schaible den bisherigen Stand des akribisch geplanten und dokumentierten Langzeitversuchs mit den Hydras.
Als nützlich könnten sich die Süßwasserpolypen auch im Kampf gegen eine Krankheit erweisen, die viele Menschen vor Erreichen eines „gesegneten Alters“ dahinrafft: Krebs. „Die Krebszelle teilt sich schließlich wie die Zellen der Hydra unaufhörlich,“ sagt Schaible. An den Polypen könnte man deshalb studieren, wie Zellen sich davon abbringen lassen.
Suche nach den Genen für das Altern in kurzlebigen Fischen
Wenn nicht alle mehrzelligen, fortpflanzungsfähigen Lebewesen altern, stellen sich aber auch die alten Grundsatzfragen neu: Was bedeutet Altern? Warum altern die allermeisten Lebewesen? Und: Kann man das nicht auch bei komplexen Organismen wie dem Menschen verhindern? Aufschlüsse über die letzte Frage erhoffen sich Forscher allerdings eher von Organismen, die nicht alt werden. Etwa vom Türkisen Prachtgrundkärpfling, einem kleinen Fisch aus Südostafrika, der rasant wächst, früh geschlechtsreif wird, im Zeitraffer altert – und dessen Lebensspanne meist nur eine Regenzeit umfasst. Am Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena haben Matthias Platzer und seine Kollegen im Jahr 2013 das Genom des Fischs mit dem zoologischen Namen Nothobranchius furzeri entschlüsselt. Nun versuchen sie, gezielt Gene des Fischs auszuschalten oder zu aktivieren, um herauszufinden, wo im Genom die Regionen für das Altern liegen. Würmer und Fliegen wurden zuvor schon von anderen Arbeitsgruppen ausgiebig untersucht. Der Türkise Prachtgrundkärpfling ist immerhin ein Wirbeltier – und unter den Wirbeltieren, die man im Labor züchten kann, dasjenige mit dem kürzesten Leben.
Ob man sein kurzes Dasein dennoch „glücklich“ nennen kann, wird sich wohl für immer der Kenntnis von Wissenschaftlern entziehen. Für Menschen sind Glücksgefühle, wenn es um die Frage nach dem guten Leben geht, aber womöglich ein wichtigeres Kriterium als seine schiere Länge. Zudem haben Studien Hinweise dafür geliefert, dass beides zusammenhängt, dass also optimistische Lebenseinstellung und großes subjektives Wohlbefinden sich letztlich auch auf die Lebenserwartung auswirken.
Glücklich altern
Wer hat, dem wird gegeben? Wer schon das Glück hat, glücklich zu sein, dem wird auch noch ein langes Leben geschenkt? Dieser These widerspricht jetzt eine in „Lancet“ erschienene Langzeituntersuchung von über 700 000 Frauen aus der britischen Million Women Study: Die Selbsteinstufung als „glücklich“ hatte bei ihnen keine direkten Auswirkungen auf die Wahrscheinlichkeit, in zehn Jahren noch zu leben.
Einen indirekten Zusammenhang gibt es aber trotzdem, denn viele Frauen, die zum Zeitpunkt der Befragung krank waren, fühlten sich deshalb auch psychisch schlechter, und sie lebten mit größerer Wahrscheinlichkeit zehn Jahre später nicht mehr. Betrachteten die Forscher jedoch nur die Frauen, die zu Beginn bei guter Gesundheit waren, konnten sie keinen „glücksbedingten“ Unterschied in der Lebenserwartung finden.
Den Winzlingen in den Rostocker Laborgefäßen geben die Forscher sicherheitshalber seit Jahren alles, was sie zu ihrem Glück brauchen – um ihre Chancen auf ein extrem langes Leben zu maximieren. Ihre Ansprüche sind ja auch vergleichsweise bescheiden: Wasser mit Mineralstoffen und konstanter Temperatur, Sicherheit vor Feinden, die ihnen ans Leben wollen. Und jeden Tag kleine Krebse, ihre Lieblingsspeise.