Sebastian Thrun im Interview: „MOOCs sind bisher nicht gut genug“
MOOCs, kostenlose Onlineseminare von Eliteuni, sollen die Bildung revolutionieren. Doch im Gespräch mit dem Tagesspiegel sagt MOOC-Erfinder und Udacity-Gründer Sebastian Thrun jetzt: Es gibt didaktische und finanzielle Grenzen.
Herr Thrun, Sie haben vor zwei Jahren mit einem einzigen Seminar zum Thema künstliche Intelligenz 160 000 Studenten weltweit übers Internet erreicht – das war die Geburtsstunde der MOOCs, der „Massive Open Online Courses“. Seitdem haben etliche Unis kostenlose Kurse ins Netz gestellt. Große Hoffnungen gehen mit den MOOCs einher, viele sprechen von einer beginnenden Bildungsrevolution. Jetzt hat ausgerechnet Ihre Plattform Udacity angekündigt, das MOOC-Modell grundlegend zu überarbeiten. Woher der Sinneswandel?
Es hat sich herausgestellt, dass die erste Version, der MOOC 1.0, einfach noch nicht gut genug ist. Der MOOC 1.0 hat zwar eine Menge Erfolg gehabt beim Erreichen von Hunderttausenden von Studenten. Einer unserer Kurse bei Udacity hatte sogar fast 400 000 Studenten. Aber wir beobachten, dass es die meisten Lernenden nicht bis zum Ende schaffen. Das hat uns immer beunruhigt. Deswegen haben wir angefangen zu experimentieren, haben Variationen von MOOCs entwickelt. Und mit dem MOOC 2.0 konnten wir die Erfolgsquoten auf 60 bis 80 Prozent erhöhen. Das haben wir erreicht, indem wir auch alte Ideen aufgegriffen haben – die Einführung von Mentoren zum Beispiel, die den Lernenden ein persönliches Feedback geben.
Die Abbrecherquoten bei den MOOCs sind überall hoch, auch bei anderen Plattformen. Nur redet kaum jemand darüber. Warum stoßen Sie jetzt diese selbstkritische Diskussion an?
Es ist wichtig, dass man das ganze Thema mit offenen Augen angeht. Und gemeinsam ehrlich die Daten darlegt, so wie sie sind, sonst können wir daraus nicht lernen und uns nicht verbessern.
Bei Ihrem ersten Kurs haben 23 000 Teilnehmer bestanden, das waren fast 15 Prozent. Wann fiel Ihnen auf, dass es im Schnitt meist deutlich unter zehn Prozent sind?
Die Erkenntnis kam relativ schnell, nicht nur bei Udacity, sondern bei allen MOOC-Anbietern. Die Professoren, die auf anderen Plattformen unterrichten, publizieren ja auch ihre Daten. Die Erfolgsquoten liegen durchschnittlich bei drei bis zehn Prozent. Und es gibt eine Studie, die nachweist, dass höhere Anforderungen zu geringeren Abschlusszahlen führen. Bei schwierigen Kursen halten noch weniger bis zum Ende durch.
Warum schielen Sie überhaupt derart auf die Abschlussquoten? Man könnte doch auch argumentieren: Wenn Millionen kostenlos studieren können und davon einige zehntausend ein Zertifikat erhalten, sind das immer noch großartige Zahlen.
Mag sein. Das hängt davon ab, welche Ambitionen man hat. Mein Wunsch ist es, nicht nur für hoch selbstmotivierte Individuen ein Angebot zu designen. Auch die breite Masse soll eine Chance haben. Das ist für mich ein zentraler Gedanke der MOOCs. Wenn jemand sagt, Abbrecherquoten sind mir egal, solange ich 100 000 Studenten habe und am Ende 5000 bestehen – dann ist das nicht meine Sichtweise.
Warum brechen überhaupt so viele MOOC-Teilnehmer ab?
Ein Problem ist die unterschiedliche Vorbildung der Studenten. Manche sind Experten, andere suchen sich einen Kurs aus, der einfach zu schwer ist. Außerdem kommt fast jeder mal an den Punkt, wo er stecken bleibt. Da hat es sich als extrem hilfreich erwiesen, dass wir eine 24-Stunden-Hotline eingerichtet haben. Manchmal brauchen die Studenten Hilfe bei fachlichen Problemen, manchmal bei technischen. Allein die Tatsache, dass wir jetzt eine Hotline haben, hat einen wahnsinnigen Effekt auf die Quoten gehabt. Dazu kommt ein zweiter Service: Wir haben jetzt Tutoren, die mit den Studenten tatsächlich reden, die sie erinnern und motivieren. Wenn man sich völlig allein fühlt und den sozialen Kontext nicht hat, ist es sehr viel schwerer, zu lernen.
Aber es hieß doch immer, dass die MOOC-Teilnehmer sich in Onlineforen selbst helfen sollen, dass sie Lerngruppen bilden sollen. Tun sie das nicht?
Nach meiner Erfahrung hat sich das mit den Foren nicht so realisiert wie erhofft. Ein Großteil der Studenten hat Angst, Kommentare zu posten, weil die von zehntausenden anderen gelesen werden können. Die Foren sind sehr publik. Bei uns gibt es aber mittlerweile auch professionelle Plattformtutoren. Seitdem funktionieren die Foren viel besser.
Hilfsbereite Tutoren, persönliche Betreuung, motivierende Ansprache: Das klingt, als ob Sie sich vom Internet abwenden und wieder mehr an der klassischen Universität mit ihrem analogen Lehrideal orientieren?
Ich würde das nicht so drastisch sagen. Zum einen benutzen wir nach wie vor das Internet und betreuen fast zwei Millionen Studenten. Und selbst die Mentorenprogramme auf unserer Webseite sind extrem optimiert. Wir können Betreuung in sehr viel größerem Maßstab als Universitäten gewährleisten, können viel mehr Menschen auf der ganzen Welt erreichen.
Aber von dem Ideal, dass diese Bildung kostenlos sein soll, haben Sie sich verabschiedet. Wer etwa das Mentorenprogramm nutzen will, muss bei Udacity zahlen.
Unsere Materialien sind immer noch im Internet verfügbar. Und wer motiviert ist und nicht stecken bleibt, kann damit kostenlos lernen, das hat sich nicht geändert.
Trotzdem entsteht nun auch bei den MOOCs eine Zweiklassengesellschaft. Weil die, die sich Betreuung leisten können, bessere Chancen haben, zu bestehen.
Wir lassen ja wie bisher alles kostenlos im Netz stehen. Was wir dazupacken, ist ein Premium-Service. Und der kostet Geld – allerdings nur einen Bruchteil dessen, was Eliteuniversitäten in den USA verlangen. Natürlich können wir die Studenten nicht kostenlos betreuen. Da würde unsere Firma schnell pleitegehen.
Udacity ist ein Start-up, genauso wie die Konkurrenzplattformen Coursera und edX. Sie haben Investorengelder erhalten und müssen irgendwann rentabel sein. Ist das ein Problem, dass die MOOC-Plattformen unter Druck stehen, ein Geschäftsmodell entwickeln zu müssen?
Ich finde es richtig, wenn Organisationen, die Wert schaffen und Menschen helfen, sich zu verbessern, dafür auch Geld bekommen. Im Moment nehmen wir mehr Geld von Firmen ein, die uns unterstützen, als von Kunden. Und wir helfen anderen, effizienter zu werden. Um ein Beispiel zu geben: Die Universität Georgia Tech verlangt für ihr Masterprogramm bislang 45 000 Dollar. In Zusammenarbeit mit Udacity hat sie es geschafft, die Kosten auf 6600 Dollar zu senken – für das gleiche Studium.
In Deutschland wird die Debatte um MOOCs unter anderen Vorzeichen geführt. Es geht eher um den Gedanken, dass Unis ihre Forschung der Öffentlichkeit frei zugänglich machen. Dass die Abbrecherquoten hoch sind, interessiert kaum jemanden.
Es ist eine gute Idee, Forschung verfügbar zu machen. MOOCs können dabei eine ähnliche Rolle spielen wie ein Fachbuch. Aber wenn man von den Kursen mehr erwartet, wenn sie die Zukunft der Hochschulbildung werden sollen, dann ist die Lösung, die wir im Moment haben, einfach nicht gut genug. Denn dann kommt es darauf an, dass die Lernenden nicht nur Zugang, sondern auch Erfolg haben. Und jeder, der MOOCs nicht nur als Kuriosität auffasst, sondern als ernsthaften Bildungsweg, wird sich letztlich fragen müssen: Wie effektiv ist diese Ausbildung? Und die ehrliche Antwort lautet: nicht ganz so effektiv, wie man gehofft hat.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität