Risiken und Nebenwirkungen: Mogelpackung Bioethanol
Biosprit – das klingt gut. Doch der forcierte Anbau von Energiepflanzen hat teilweise Auswirkungen, die alles andere als nachhaltig sind.
Die Deutschen und E10, das ist eine schwierige Angelegenheit. Seit der flächendeckenden Einführung des Kraftstoffs vor einem Jahr wird darüber gestritten. Zunächst stand die Sorge ums eigene Auto im Vordergrund: Verträgt der Motor das Benzin, das bis zu zehn Prozent Bioethanol enthält? Das ist mittlerweile geklärt – durch konsequentes Festhalten am konventionellen, teureren Sprit oder durch die Erkenntnis, dass die Maschine auch mit E10 läuft wie gewohnt.
Nun provoziert der Biosprit erneut Diskussionen. Eine ungewöhnliche Allianz, zu der unter anderem Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP), Umweltverbände wie Greenpeace und der BUND sowie Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina gehören, sehen in dem gut gemeinten Biokraftstoff eine Gefahr für Menschen, Natur und Umwelt. Sie fordern die Bundesregierung auf, ihre Bioenergie-Strategie zu ändern.
E10: Vom Acker in den Tank
Das im E10 enthaltene Bioethanol wird durch die Vergärung von zucker- und stärkehaltigen Pflanzen hergestellt. Dazu zählen Zuckerrohr, -rüben, Getreide und Mais (siehe Grafik). Neue Verfahren, die holzige Pflanzenteile oder Algen nutzen, sind noch nicht im großen Maßstab einsetzbar.
Lage in Deutschland
Insgesamt wurden hierzulande 2011 rund 1,18 Millionen Tonnen Bioethanol dem Kraftstoff beigemengt. Rund die Hälfte kam aus einheimischer Produktion, der Rest aus dem Ausland. „Vor allem aus Europa, teilweise aus den USA, aus Brasilien nur zu einem geringen Teil“, sagt Frank Brühning, Sprecher des Verbands der Deutschen Biokraftstoffindustrie. Das in Deutschland hergestellte Bioethanol stamme zu etwa einem Drittel aus Zuckerrüben und zwei Dritteln aus Getreide. Was die ausländische Produktion betrifft, so schätzt Brühning, dass der europäische Biosprit in ähnlichen Mengenverhältnissen aus Getreide und Rüben gewonnen wird, während in den USA Mais eine große Rolle spielt.
Tank oder Teller
Aktuell wird E10 oft mit dem Hunger in anderen Teilen der Welt in Zusammenhang gebracht. Das ist sehr vereinfacht, wenn man die Maßstäbe betrachtet. Gerade drei Prozent der deutschen Getreideproduktion wird zu Bioethanol. Auch Importe, vor allem aus Nicht-EU-Staaten, spielen bezogen auf Deutschland mengenmäßig eine kleine Rolle. Das ändert sich, wenn man alle Länder betrachtet. „Weltweit werden jährlich 150 Millionen Tonnen Getreide zu Ethanol verarbeitet“, argumentiert Greenpeace in einer Mitteilung. „Gäbe es die Ethanolerzeugung nicht, wären die Getreidelager gut gefüllt und es gäbe keine Knappheit.“
Natürlich kommt der Mangel nicht nur durch die Spritherstellung zustande, auch das Bevölkerungswachstum, zunehmender Wohlstand mit veränderten Ernährungsgewohnheiten sowie Missernten und Bodenspekulationen treiben die Entwicklung voran. Wenn aber mehrere Industrieländer den Anteil der Bioenergie ausbauen, werden sich die Probleme verschärfen.
Flächenverbrauch, Treibhausgase und Engergieausbeute im Check
Flächenverbrauch
Wer mehr Bioenergie haben will, benötigt mehr Anbaufläche. Die wird zukünftig vor allem im Ausland erschlossen werden müssen, weil die heimischen Äcker bereits heute zu einem Fünftel als Energielieferanten dienen – vor allem für Mais zur Biogasgewinnung. Zwar gibt es Nachhaltigkeitskriterien, die Biosprit erfüllen muss. So darf er nicht aus ehemaligen Regenwäldern oder anderen geschützten Flächen kommen. Doch Umweltverbände fürchten, dass es global zu einer Verdrängung kommt: Biotreibstoffe werden „sauber“ angebaut, und Nahrungsmittel kommen zunehmend aus „kritischen“ Gebieten. „Indirekte Landnutzungsänderung“ sagen Fachleute dazu.
Die EU-Biostrategie könnte dazu führen, dass global bis 69 000 Quadratkilometer Fläche – immerhin doppelt so groß wie Belgien – dieser Änderung unterliegen, besagt eine Untersuchung des Londoner Instituts für Europäische Umweltpolitik. Allerdings muss man beachten, dass die Studie von europäischen Umweltverbänden beauftragt wurde, die seit Langem gegen „Agrosprit“ sind, weil er Monokulturen befördert und intensive Landwirtschaft mit den bekannten Folgen wie erhöhter Wasserverbrauch, Dünger- und Pestizideinsatz.
Hinzu kommt, dass die fraglichen Äcker nicht ausschließlich der Biospritproduktion dienen. Bei der Ethanolgewinnung aus Getreide zum Beispiel fallen Reststoffe an, die als Futtermittel dienen.
Treibhausgase
Biosprit soll dazu beitragen, den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) und anderen Treibhausgasen zu verringern. Doch beim Anbau der Pflanzen fällt einiges davon an. Die „Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung“ schreibt vor, dass Bioethanol einschließlich aller Produktionsschritte gegenüber Sprit aus Erdöl mindestes 35 Prozent CO2-Emissionen sparen muss. Infolge des Mischungsverhältnisses spart E-10-Benzin also nur rund 3,5 Prozent CO2. „Mehr noch, es bestehen große Zweifel, ob wirklich alle Biospriterzeugnisse weltweit klimafreundlicher erzeugt werden als die gleiche Menge fossiler Treibstoffe“, sagt Bernhard Schink, Mikrobiologe an der Uni Konstanz und einer der Hauptautoren der kürzlich erschienen Leopoldina-Studie „Bioenergie: Möglichkeiten und Grenzen“.
Energieausbeute
„Der Energieertrag ist bei Bioethanol sehr gering“, sagt Schink. Es enthalte gerade das doppelte der Energiemenge, die in Form von Treibstoff, Düngemitteln und für die Verarbeitung der Pflanzen aufgewendet werden muss. Da die Fotosynthese in den Blättern mit einem Wirkungsgrad von einem Prozent auch zukünftig unverändert niedrig sein wird, sieht der Forscher nur wenige Chancen, Biotreibstoffe langfristig effizienter herzustellen. „Die Bundesregierung hat sehr ambitionierte Ziele, man sollte darüber nachdenken, ob man an diesen festhält“, sagt Schink. Was den Anteil des Bioethanols im Sprit von derzeit zehn Prozent betrifft, ist sein Urteil eindeutig: „Es ist illusorisch, nennenswert über diesen Wert hinauszugehen.“ Allenfalls in Abfällen aus Landwirtschaft und Haushalten sieht er noch Potenzial. „Eine Kombination von Biogas- und -spritherstellung in kleinen Anlagen kann nachhaltig betrieben werden“, sagt Schink.
Fazit
In der Gesamteinschätzung zu Biotreibstoffen fällt die Bilanz der Wissenschaftler aber ernüchternd aus. Die Leopoldina kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Acatech, die Akademie deutscher Technikwissenschaften. Sie schreibt: „Der Konflikt zwischen Tank und Teller kann nur entschärft werden, wenn zur Kraftstoffversorgung mit Bioethanol und -gas nicht für Lebensmittel geeignete Roh- und Reststoffe verwendet werden.“
Ralf Nestler
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